"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Kreachers Geschichte

Harry erwachte früh am nächsten Morgen, auf dem Fußboden des Salons in einen Schlafsack gehüllt. Zwischen den schweren Vorhängen war ein schmaler Spalt vom Himmel zu sehen: Er hatte das kühle, klare Blau von Tusche, irgendwo zwischen Nacht und Morgendämmerung, und es war ganz still, nur Rons und Hermines langsame, tiefe Atemzüge waren zu hören. Harry spähte hinüber zu den dunklen Schemen, die sie auf dem Boden neben ihm bildeten. Ron hatte in einem Anfall von Ritterlichkeit darauf bestanden, dass Hermine auf den Sofakissen schlief, deshalb ragte ihre Silhouette nun höher als seine. Ihr Arm war zum Boden geschwungen, die Finger nur Zentimeter von Rons entfernt. Harry fragte sich, ob sie Hand in Hand eingeschlafen waren. Bei dieser Vorstellung fühlte er sich merkwürdig einsam.

Er blickte auf zu der düsteren Decke, zu dem mit Spinnweben überzogenen Kronleuchter. Vor kaum vierundzwanzig Stunden hatte er am Eingang des Zeltes in der Sonne gestanden und auf Hochzeitsgäste gewartet, um sie hineinzuführen. Es kam ihm vor wie in einem anderen Leben. Was würde jetzt geschehen? Er lag auf dem Boden und dachte an die Horkruxe, an die beängstigende und schwierige Mission, die Dumbledore ihm aufgetragen hatte ... Dumbledore ...

Der Kummer, der ihn seit Dumbledores Tod erfüllt hatte, fühlte sich nun anders an. Die Anschuldigungen, die er bei der Hochzeit von Muriel gehört hatte, schienen sich in seinem Gehirn eingenistet zu haben wie eine Krankheit und vergifteten seine Erinnerungen an den Zauberer, den er abgöttisch verehrt hatte. Könnte Dumbledore solche Dinge geschehen haben lassen? War er wie Dudley gewesen, der zufrieden zusah, wenn jemand vernachlässigt und misshandelt wurde, solange es nicht ihn betraf?

Könnte er einer Schwester den Rücken zugekehrt haben, die eingesperrt und versteckt wurde?

Harry dachte an Godric's Hollow, an die Gräber dort, die Dumbledore nie erwähnt hatte; er dachte an mysteriöse Gegenstände, die ihnen Dumbledore in seinem Testament ohne Erklärung vermacht hatte, und er spürte in der Dunkelheit wachsenden Unmut. Warum hatte Dumbledore es ihm nicht gesagt? Warum hatte er es nicht erklärt? War Harry für Dumbledore überhaupt wichtig gewesen? Oder war Harry nichts als ein Werkzeug gewesen, das man schleift und poliert, dem man aber nicht trauen und niemals etwas anvertrauen würde?

Harry hielt es nicht mehr länger aus, dazuliegen und sich nur mit bitteren Gedanken zu beschäftigen. Um endlich etwas zu tun und sich abzulenken, schlüpfte er aus dem Schlafsack, nahm seinen Zauberstab und schlich aus dem Salon. Auf dem Treppenabsatz flüsterte er »Lumos« und stieg im Licht des Zauberstabs die Stufen hinauf.

Im zweiten Stock lag das Zimmer, in dem er und Ron bei ihrem letzten Aufenthalt hier geschlafen hatten; er warf einen Blick hinein. Die Schranktüren standen offen und das Bettzeug war weggerissen worden.

Harry dachte an das umgekippte Trollbein im Erdgeschoss. Jemand hatte das Haus durchsucht, nachdem der Orden es verlassen hatte. Snape? Oder vielleicht Mundungus, der etliches aus diesem Haus geklaut hatte, sowohl vor als auch nach Sirius' Tod? Harrys Blick wanderte zu dem Bilderrahmen, in dem manchmal Phineas Nigellus Black zu sehen war, Sirius' Ururgroßvater, doch er war leer und zeigte nichts als ein Stück schmutzig graue Hintergrundfläche. Phineas Nigellus verbrachte die Nacht offenbar im Büro des Schulleiters von Hogwarts.

Harry ging weiter die Treppe hinauf, bis er das oberste Stockwerk erreicht hatte, wo es nur zwei Türen gab. Die eine ihm gegenüber trug ein Schild, auf dem Sirius stand. Harry hatte das Zimmer seines Paten noch nie betreten. Er drückte die Tür auf und hielt seinen Zauberstab hoch, um möglichst viel Licht zu verbreiten.

Das Zimmer war geräumig und musste früher einmal hübsch gewesen sein. Es gab ein großes Bett darin mit einem verzierten hölzernen Kopfbrett, ein hohes Fenster, das mit langen Samtvorhängen verdunkelt war, und einen dick mit Staub bedeckten Kronleuchter, dessen Kerzenstummel immer noch in ihren Haltern steckten, von denen harte Wachstropfen wie Eiszapfen herunterhingen. Eine feine Staubschicht lag auf den Bildern an den Wänden und auf dem Kopfbrett des Bettes; eine Spinnwebe spannte sich zwischen dem Kronleuchter und der Oberkante des großen Holzschranks, und als Harry weiter in das Zimmer hineinging, hörte er aufgeschreckte Mäuse umhertrippeln.

Sirius hatte die Wände als Teenager mit so vielen Postern und Bildern bepflastert, dass nur noch wenig von der silbergrauen Seidentapete zu sehen war. Harry konnte nur vermuten, dass es Sirius' Eltern nicht gelungen war, den Dauerklebefluch, der die Bilder an der Wand hielt, zu entfernen, denn er war sicher, dass sie es nicht geschätzt hatten, wie ihr ältester Sohn sein Zimmer dekorierte. Sirius schien sich ausgesprochen Mühe gegeben zu haben, seine Eltern zu ärgern. Die verschiedenen großen Gryffindor-Banner in ausgeblichenem Scharlachrot und Gold sollten nur noch deutlicher machen, dass er anders war als der Rest der Slytherin-Familie. Es gab viele Bilder von Muggel-Motorrädern und außerdem (Harry bewunderte unwillkürlich Sirius' Unverfrorenheit) mehrere Poster mit Muggelmädchen in Bikinis; Harry erkannte, dass es Muggel waren, weil sie völlig unbewegt in ihren Bildern verharrten, ihr verblasstes Lächeln und die glasigen Augen waren auf dem Papier erstarrt. Ganz anders verhielt es sich mit dem einzigen Zaubererfoto an den Wänden, einem Bild von vier Hogwarts-Schülern, die Arm in Arm dastanden und in die Kamera lachten.

Harrys Herz schlug höher, als er seinen Vater erkannte; sein zerstrubbeltes schwarzes Haar stand im Nacken ab wie bei Harry, und auch er trug eine Brille. Neben ihm war Sirius, unverschämt hübsch, sein leicht arrogantes Gesicht so viel jünger und glücklicher, als Harry es zu seinen Lebzeiten je gesehen hatte. Rechts von Sirius stand Pettigrew, gut einen Kopf kleiner, pummelig und mit wässrigen Augen, das Gesicht gerötet vor Freude darüber, dass er zu dieser coolsten aller Banden gehörte, zu den viel bewunderten Rebellen, die James und Sirius gewesen waren. Links von James war Lupin, der schon damals ein wenig schäbig aussah, doch auch er machte den Eindruck, freudig überrascht zu sein, dass man ihn schätzte und aufgenommen hatte ... oder las Harry diese Dinge nur deshalb aus dem Bild heraus, weil er wusste, wie es gewesen war? Er versuchte es von der Wand zu nehmen; schließlich gehörte es jetzt ihm – Sirius hatte ihm alles vermacht –, aber es rührte sich nicht von der Stelle. Sirius war kein Risiko eingegangen, als er verhindern wollte, dass seine Eltern den Raum anders gestalteten.

Harry blickte auf dem Fußboden umher. Der Himmel draußen wurde heller: Ein Lichtstrahl ließ einzelne Papierfetzen erkennen, Bücher und kleine Gegenstände, die auf dem Teppich verstreut lagen. Offensichtlich war auch Sirius' Zimmer durchsucht worden, obwohl die meisten Sachen hier, wenn nicht alle, offenbar für wertlos erachtet worden waren. Einige von den Büchern waren so grob geschüttelt worden, dass sich die Einbände gelöst hatten, und allerlei Seiten lagen auf dem Boden herum. Harry bückte sich, hob ein paar von den einzelnen Blättern auf und betrachtete sie. In einem erkannte er eine Seite aus einer alten Ausgabe der Geschichte der Zauberei von Bathilda Bagshot und ein weiteres gehörte zu einer Wartungsanleitung für ein Motorrad. Das dritte war von Hand beschrieben und zusammengeknüllt. Er strich es glatt.

Lieber Tatze,

danke, danke für Harrys Geburtstagsgeschenk! Es war bei weitem sein liebstes. Ein Jahr alt, und schon mit einem Spielzeugbesen herumfliegen –er sah so zufrieden mit sich aus, ich füge ein Bild bei, damit du es sehen kannst. Du weißt, der Besen steigt nur etwa einen halben Meter hoch, aber er hat fast die Katze umgebracht und eine schreckliche Vase zerdeppert, die Petunia mir zu Weihnachten geschickt hat (ich will mich nicht beklagen).

Natürlich fand James es furchtbar lustig, er meint, der wird mal ein großer Quidditch-Spieler, aber wir mussten sämtlichen Zierrat wegpacken und behalten ihn immer im Auge, wenn er losfliegt,

Wir hatten einen sehr beschaulichen Geburtstagstee, nur wir und die alte Bathilda, die immer nett zu uns war und ganz vernarrt ist in Harry. Es tat uns so leid, dass du nicht kommen konntest, aber der Orden hat Vorrang, und Harry ist sowieso noch nicht alt genug, um zu verstehen, dass es sein Geburtstag ist! James ist allmählich etwas frustriert, weil er hier eingesperrt ist, er versucht, es nicht zu zeigen, aber ich merke es -und Dumbledore hat immer noch seinen Tarnumhang, daher ist es nichts mit kleinen Ausflügen.

Wenn du uns besuchen könntest, würde ihn das wirklich aufmuntern.

Würmchen war hier, letztes Wochenende, er kam mir niedergeschlagen vor, aber das lag wohl an der Nachricht von den McKinnons; ich hab den ganzen Abend geweint, als ich davon hörte. Bathilda schaut fast jeden Tag vorbei, sie ist eine hinreißende alte Dame und kennt die erstaunlichsten Geschichten über Dumbledore, ich bin nicht sicher, ob er erfreut wäre, wenn er das wüsste! Ich weiß nicht, wie viel davon wirklich wahr ist, denn es erscheint unglaublich, dass Dumbledore

Harrys Glieder waren offenbar taub geworden. Er stand stocksteif da, das wunderbare Papier in seinen gefühllosen Fingern, während mit lautloser Wucht Freude und Trauer gleichermaßen durch seine Adern rauschten. Taumelnd ging er zum Bett und setzte sich hin. Er las den Brief noch einmal durch, konnte aber nicht mehr darin finden als beim ersten Mal, und schließlich starrte er nur noch auf die Handschrift. Sie hatte ihre

»g« genauso gemacht wie er: Er suchte den Brief nach jedem einzelnen davon ab, und jedes war wie ein freundliches kleines Winken, das er flüchtig hinter einem Schleier erspähen konnte. Der Brief war ein ungeheurer Schatz, ein Beweis dafür, dass Lily Potter gelebt hatte, wirklich gelebt hatte, dass ihre warme Hand sich einst über dieses Pergament bewegt hatte, die Tintenspur dieser Buchstaben gezogen hatte, dieser Wörter, Wörter über ihn, Harry, ihren Sohn.

Ungeduldig rieb er sich die Feuchtigkeit aus den Augen und las den Brief noch einmal, und diesmal konzentrierte er sich auf die Bedeutung. Es war, als würde er einer Stimme lauschen, an die er sich vage erinnerte.

Sie hatten eine Katze gehabt... vielleicht war sie, wie seine Eltern, in Godric's Hollow umgekommen ... oder aber geflohen, als niemand mehr da war, um sie zu füttern ... Sirius hatte ihm seinen ersten Besen gekauft ...

seine Eltern hatten Bathilda Bagshot gekannt; hatte Dumbledore sie einander vorgestellt? Dumbledore hat immer noch seinen Tarnumhang ...

das kam ihm irgendwie komisch vor ...

Harry hielt inne und dachte über die Worte seiner Mutter nach. Warum hatte Dumbledore James' Tarnumhang an sich genommen? Harry erinnerte sich deutlich daran, dass sein Schulleiter vor Jahren zu ihm gesagt hatte: Ich brauche keinen Umhang, um unsichtbar zu werden. Vielleicht hatte ein weniger begabtes Ordensmitglied ihn zu Hilfe nehmen müssen und Dumbledore hatte ihn überbracht? Harry las weiter ...

Würmchen war hier ... Pettigrew, der Verräter, wirkte

»niedergeschlagen«, tatsächlich? War ihm bewusst, dass er James und Lily zum letzten Mal lebend sah?

Und schließlich wieder Bathilda, die erstaunliche Geschichten über Dumbledore erzählte: es erscheint unglaublich, dass Dumbledore -

Dass Dumbledore was? Doch es gab eine Vielzahl von Dingen, die bei Dumbledore unglaublich erscheinen könnten; dass er einmal schlechte Noten in einer Prüfung in Verwandlung bekommen hatte, zum Beispiel, oder dass er wie Aberforth angefangen hatte, mit Ziegen zu zaubern ...

Harry stand auf und ließ den Blick über den Boden schweifen: Vielleicht lag hier irgendwo der Rest des Briefes. Er hob Papiere auf und behandelte sie in seinem Eifer genauso rücksichtslos wie der Erste, der hier alles durchsucht hatte; er riss Schubladen auf, schüttelte Bücher aus, stieg auf einen Stuhl, um mit der Hand über den Schrank zu streichen, und kroch unter das Bett und einen Sessel.

Endlich, er lag gerade mit dem Kopf auf dem Boden, entdeckte er etwas wie einen Papierfetzen unter der Kommode. Als er ihn hervorzog, stellte sich heraus, dass es das weitgehend erhaltene Foto war, das Lily in ihrem Brief erwähnt hatte. Ein schwarzhaariges Baby flog auf einem winzigen Besen ins Bild und wieder hinaus, mit schallendem Gelächter, und ein Paar Beine, die zu James gehört haben mussten, jagten ihm hinterher. Harry steckte das Foto zusammen mit Lilys Brief in seine Tasche und suchte dann wieder nach dem zweiten Blatt.

Nach einer weiteren Viertelstunde musste er sich jedoch eingestehen, dass der Rest des Briefes seiner Mutter verschwunden war. War er einfach verloren gegangen in den sechzehn Jahren, seit er geschrieben worden war, oder war er von dem, der das Zimmer durchsucht hatte, mitgenommen worden, wer auch immer es war? Harry las das erste Blatt erneut durch und suchte diesmal nach Hinweisen, weshalb das zweite Blatt wertvoll hätte sein können. Sein Spielzeugbesen war für die Todesser wohl kaum interessant ... das Einzige, was in seinen Augen hier vielleicht einen Nutzen haben konnte, war die mögliche Information über Dumbledore. Es erscheint unglaublich, dass Dumbledore – was ?

»Harry? Harry! Harry!«

»Ich bin hier!«, rief er. »Was ist passiert?«

Draußen vor der Tür war Fußgetrappel zu hören und Hermine stürzte herein.

»Wir sind aufgewacht und wussten nicht, wo du bist!«, sagte sie atemlos. Sie wandte den Kopf und rief über die Schulter: »Ron! Ich hab ihn gefunden!«

Rons verärgerte Stimme tönte von weit entfernt, einige Stockwerke tiefer.

»Gut! Sag ihm von mir, dass er 'n Mistkerl ist!«

»Harry, verschwinde bitte nicht einfach, wir hatten so was von Angst!

Wieso bist du eigentlich hier raufgegangen?« Sie sah sich in dem durchwühlten Zimmer um. »Was hast du gemacht?«

»Sieh mal, was ich eben gefunden habe.«

Er hielt ihr den Brief seiner Mutter hin. Hermine nahm ihn und las ihn, während Harry sie beobachtete. Als sie das Ende der Seite erreicht hatte, blickte sie zu ihm auf.

» Oh, Harry ...«

»Und das hier hab ich auch noch.«

Er reichte ihr das eingerissene Foto, und Hermine lächelte über das Baby, das auf dem Spielzeugbesen ständig herbeigeflogen kam und wieder verschwand.

»Ich hab nach dem Rest des Briefes gesucht«, sagte Harry, »aber er ist nicht hier.«

Hermine sah sich um.

»Hast du dieses ganze Chaos veranstaltet, oder war das schon so, als du reinkamst?«

»Jemand hat vor mir alles durchsucht«, sagte Harry.

»Das hab ich mir gedacht. Jedes Zimmer, in das ich auf dem Weg nach oben geschaut habe, war durcheinander. Worauf, glaubst du, waren die aus?«

»Auf Informationen über den Orden, falls es Snape war.«

»Aber eigentlich hat er schon alles, was er braucht, ich meine, er war doch im Orden, oder? «

»Nun ja«, sagte Harry, der erpicht darauf war, über seine Theorie zu sprechen, »was ist mit Informationen über Dumbledore? Die zweite Seite dieses Briefes zum Beispiel. Kennst du diese Bathilda, die meine Mum erwähnt, weißt du, wer sie ist?«

»Wer?«

»Bathilda Bagshot, die Autorin von -«

»Geschichte der Zauberei«, sagte Hermine und sah interessiert aus.

»Deine Eltern haben sie also gekannt? Sie war eine sagenhafte magische Historikerin.«

»Und sie lebt noch«, sagte Harry, »und zwar in Godric's Hollow, Rons Tantchen Muriel hat bei der Hochzeit von ihr gesprochen. Sie kannte außerdem Dumbledores Familie. Wär doch ziemlich interessant, mit ihr zu reden, oder?«

Das Lächeln, das Hermine ihm schenkte, war Harry ein wenig zu verständnisvoll. Er nahm den Brief und das Foto wieder an sich und steckte sie in den Beutel um seinen Hals, damit er Hermine nicht anschauen und sich verraten musste.

»Ich verstehe, warum du liebend gern mit ihr über deine Mum und deinen Dad reden würdest, und auch über Dumbledore«, sagte Hermine.

»Aber das würde uns bei unserer Suche nach den Horkruxen nicht so recht weiterbringen, oder?« Harry antwortete nicht und sie fuhr eilig fort:

»Harry, ich weiß, dass du unbedingt nach Godric's Hollow willst, aber ich habe Angst... Ich habe Angst, weil diese Todesser uns gestern so leicht gefunden haben. Ich habe einfach mehr denn je das Gefühl, dass wir den Ort meiden sollten, wo deine Eltern begraben sind, ich bin sicher, die erwarten, dass du ihn besuchst.«

»Es ist nicht nur das«, sagte Harry und vermied es nach wie vor, sie anzusehen. »Muriel hat bei der Hochzeit so einiges über Dumbledore erzählt. Ich will die Wahrheit wissen ...«

Er berichtete Hermine alles, was Muriel ihm erzählt hatte. Als er fertig war, sagte Hermine: »Natürlich, ich verstehe, warum dich das geärgert hat, Harry – «

»Ich bin nicht verärgert«, log er. »Ich würde nur gerne wissen, ob es wahr ist oder nicht -«

»Harry, glaubst du wirklich, dass du die Wahrheit von einer gehässigen alten Frau wie Muriel erfährst, oder von Rita Kimmkorn? Wie kannst du ihnen glauben? Du kanntest Dumbledore!«

»Das dachte ich auch«, murmelte er.

»Aber du weißt, wie viel Wahrheit in allem steckte, was Rita Kimmkorn über dich geschrieben hat! Doge hat Recht, wie kannst du es zulassen, dass diese Leute de'ne Erinnerungen an Dumbledore trüben?«

Er sah weg, wollte den Unmut nicht zeigen, den er verspürte. Da war es wieder: Such dir aus, was du glauben willst. Er wollte die Wahrheit.

Warum waren alle so dahinterher, dass er sie nicht erfahren sollte?

»Wollen wir runter in die Küche?«, schlug Hermine nach einer kleinen Weile vor. »Was zum Frühstücken suchen?«

Er willigte ein, wenn auch widerstrebend, und folgte ihr hinaus auf den Treppenabsatz, an der zweiten Tür vorbei, die sich hier befand. Unter einem kleinen Schild, das er im Dunkeln nicht bemerkt hatte, waren tiefe Kratzer im Lack. Er blieb oben an der Treppe stehen, um es zu lesen. Es war ein wichtigtuerisches Schildchen, sorgfältig mit der Hand beschriftet, etwa von der Art, wie Percy Weasley es an seiner Schlafzimmertür befestigt hätte:

Kein Eintritt

ohne die ausdrückliche Erlaubnis von

Regulus Arcturus Black

Harry spürte, wie Erregung ihn durchsickerte, war sich aber zunächst nicht sicher, warum. Er las die Aufschrift noch einmal. Hermine war schon eine Treppe weiter unten.

»Hermine«, sagte er und war überrascht, dass seine Stimme so ruhig klang. »Komm noch mal hier hoch. «

»Was ist los?«

»R. A. B. Ich glaube, ich habe ihn gefunden.«

Ein Keuchen war zu hören, dann rannte Hermine die Stufen wieder herauf.

»In dem Brief von deiner Mutter? Aber mir ist nichts aufgefallen -«

Harry schüttelte den Kopf und deutete auf das Schild von Regulus. Sie las es, dann packte sie Harry so fest am Arm, dass er zusammenzuckte.

»Sirius' Bruder?«, flüsterte sie.

»Er war ein Todesser«, sagte Harry. »Sirius hat mir von ihm erzählt, er hat sich ihnen angeschlossen, als er noch ganz jung war, und dann bekam er kalte Füße und versuchte auszusteigen – deshalb haben sie ihn getötet.«

»Das passt!«, keuchte Hermine. »Wenn er ein Todesser war, dann hatte er Zugang zu Voldemort, und als er seine Illusionen verloren hatte, wollte er Voldemort vermutlich stürzen!«

Sie ließ Harry los, beugte sich über das Treppengeländer und schrie:

»Ron! RON! Komm hier rauf, schnell!«

Eine Minute später tauchte Ron auf, schnaufend und den Zauberstab in seiner Hand bereit.

»Was ist los? Wenn es wieder Riesenspinnen sind, will ich erst frühstücken, bevor ich -«

Stirnrunzelnd betrachtete er das Schild an Regulus' Tür, auf das Hermine stumm deutete.

»Was? Das war Sirius' Bruder, oder? Regulus Arcturus ... Regulus ...

R.A. B.! Das Medaillon – meint ihr nicht -?«

»Das werden wir gleich herausfinden«, sagte Harry. Er drückte gegen die Tür: Sie war verschlossen. Hermine richtete ihren Zauberstab auf die Klinke und sagte: »Alohomora.« Ein Klicken war zu hören und die Tür schwang auf.

Sie traten gemeinsam über die Schwelle und spähten umher. Das Schlafzimmer von Regulus war ein wenig kleiner als das von Sirius, doch auch hier konnte man vergangene Pracht erahnen. Während Sirius unbedingt seine Verschiedenheit vom Rest der Familie hatte kundtun wollen, war Regulus bemüht gewesen, das Gegenteil zu betonen. Die Slytherin-Farben Smaragdgrün und Silber waren hier überall zu sehen, sie schmückten das Bett, die Wände und die Fenster. Das Familienwappen der Blacks war detailgetreu über das Bett gemalt, zusammen mit ihrem Wahlspruch Toujours pur. Darunter hing eine Sammlung vergilbter Zeitungsausschnitte, nebeneinandergeklebt zu einer vieleckigen Collage.

Hermine durchquerte das Zimmer, um sie näher in Augenschein zu nehmen.

»Die sind alle über Voldemort«, sagte sie. »Regulus war offenbar schon einige Jahre lang Fan von ihm, bis er sich dann den Todessern anschloss

...«

Eine kleine Staubwolke stieg von den Bettbezügen auf, als sie sich setzte, um die Zeitungsausschnitte zu lesen. Harry hatte unterdessen noch ein Foto entdeckt; eine Quidditch-Mannschaft aus Hogwarts lächelte und winkte aus dem Bilderrahmen. Er trat näher und sah die Schlangenembleme auf ihren Brüsten: Slytherins. Regulus war sofort zu erkennen, er war der Junge, der in der Mitte der vorderen Reihe saß: Er hatte das gleiche dunkle Haar und den leicht hochmütigen Blick seines Bruders, allerdings war er kleiner, schmächtiger und um einiges weniger hübsch, als Sirius es gewesen war.

»Er hat als Sucher gespielt«, sagte Harry.

»Was?«, sagte Hermine geistesabwesend; sie war immer noch in die Zeitungsausschnitte über Voldemort vertieft.

»Er sitzt in der Mitte der vorderen Reihe, da, wo der Sucher ... ist ja auch egal«, sagte Harry, als ihm klar wurde, dass niemand zuhörte: Ron suchte auf Händen und Knien unter dem Kleiderschrank. Harry sah sich im Zimmer nach möglichen Verstecken um und ging zum Schreibtisch. Doch wieder hatte jemand vor ihnen dort gesucht. Die Schubladen waren vor kurzem durchstöbert, ihr Staub aufgewirbelt worden, doch es war nichts Wertvolles darin: alte Schreibfedern, überholte Lehrbücher, die so aussahen, als wären sie grob behandelt worden, ein vor kurzem zertrümmertes Tintenfass, dessen klebriger Rest den Inhalt der Schublade bedeckte.

»Es gibt eine einfachere Methode«, sagte Hermine, als Harry sich die Tintenfinger an seiner Jeans abwischte. Sie hob ihren Zauberstab und sagte:

»Accio Medaillon!«

Nichts geschah. Ron, der in den Falten der ausgebleichten Vorhänge gesucht hatte, sah enttäuscht aus.

»Das war's dann also? Es ist nicht hier?«

»Oh, es könnte trotzdem hier sein, aber unter Gegenzaubern«, sagte Hermine. »Unter Zaubern, die verhindern, dass es magisch aufgerufen wird, weißt du?«

»Wie die, die Voldemort auf das steinerne Becken in der Höhle gelegt hat«, sagte Harry und erinnerte sich, dass er das falsche Medaillon nicht hatte aufrufen können.

»Wie sollen wir es dann finden?«, fragte Ron.

»Wir suchen per Hand«, sagte Hermine.

»Das ist eine gute Idee«, erwiderte Ron, verdrehte die Augen und fing wieder an, die Vorhänge abzusuchen.

Sie durchkämmten über eine Stunde lang jeden Zentimeter des Zimmers, mussten am Ende jedoch feststellen, dass das Medaillon nicht da war.

Die Sonne war jetzt aufgegangen; ihr Licht blendete sie sogar durch die schmutzigen Treppenhausfenster hindurch.

»Es könnte doch irgendwo anders im Haus sein«, sagte Hermine in aufmunterndem Ton, während sie wieder nach unten gingen: So wie Harry und Ron mehr und mehr den Mut verloren hatten, schien sie immer entschlossener geworden zu sein. »Ob er es nun geschafft hat, das Medaillon zu zerstören, oder nicht, er wollte es doch sicher vor Voldemort verstecken, oder? Erinnert ihr euch an all diese schrecklichen Dinge, die wir loswerden mussten, als wir letztes Mal hier waren? Diese Uhr, die Schrauben auf jeden abschoss, und die alten Umhänge, die versucht haben, Ron zu erwürgen; Regulus hat sie vielleicht dort hingetan, um das Versteck des Medaillons zu schützen, auch wenn wir das damals nicht ... nicht ...«

Harry und Ron sahen sie an. Sie stand da mit einem Fuß in der Luft und mit verdatterter Miene, wie jemand, der gerade einen Gedächtniszauber verpasst bekommen hatte; sie schielte sogar ein wenig.

»... wussten«, schloss sie flüsternd.

»Stimmt was nicht?«, fragte Ron.

»Da war ein Medaillon.«

»Was?«, sagten Harry und Ron gleichzeitig.

»In dem Schrank im Salon. Keiner konnte es öffnen. Und wir ... wir ...«

Harry hatte das Gefühl, als wäre ihm ein Backstein durch die Brust und in den Magen gerutscht. Nun fiel es ihm ein: Er hatte das Ding sogar in der Hand gehabt, als sie es herumgehen ließen und einer nach dem anderen versuchte, es aufzustemmen. Sie hatten es in einen Müllsack geworfen, zusammen mit der Schnupftabaksdose voll Warzhautpulver und mit der Spieldose, die alle schläfrig gemacht hatte ...

»Kreacher hat jede Menge von diesen Sachen zurückgeklaut«, sagte Harry. Das war die einzige Chance, die einzige schwache Hoffnung, die ihnen blieb, und er wollte sich daran festklammern, bis er gezwungen war sie aufzugeben. »In seinem Schrank in der Küche hatte er ein richtiges Geheimlager. Kommt.«

Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte er die Treppe hinunter, und die anderen beiden polterten hinter ihm her. Sie machten so viel Lärm, dass sie auf dem Weg durch die Eingangshalle das Porträt von Sirius' Mutter aufweckten.

»Dreck! Schlammblüter! Abschaum!«, kreischte sie ihnen nach, als sie in die Kellerküche stürmten und die Tür hinter sich zuschlugen.

Harry rannte quer durch den Raum, kam schlitternd vor der Tür von Kreachers Schrank zum Stehen und riss ihn auf.

Da war das Nest aus schmutzigen alten Tüchern, in dem der Hauself einst geschlafen hatte, aber hier glitzerte nicht mehr der wertlose Plunder, den Kreacher geborgen hatte. Da war nichts weiter als ein altes Exemplar von Noblesse der Natur: Eine Genealogie der Zauberei. Harry wollte nicht glauben, was er sah, raffte die Tücher hoch und schüttelte sie. Eine tote Maus fiel heraus und kullerte jämmerlich über den Boden. Ron stöhnte und warf sich auf einen Küchenstuhl; Hermine schloss die Augen.

»Wir sind noch nicht fertig«, sagte Harry, und er hob die Stimme und rief: »Kreacher!«

Es gab einen lauten Knall, und der Hauself, den Harry so widerwillig von Sirius geerbt hatte, erschien aus dem Nichts vor dem kalten und leeren Kamin: Er war klein, halb so groß wie ein Mensch, die fahle Haut hing ihm in Falten herunter, und weißes Haar spross üppig aus seinen Fledermausohren. Er trug immer noch den schmutzigen Lumpen, in dem sie ihn erstmals getroffen hatten, und der verächtliche Blick, den er auf Harry richtete, zeigte, dass seine Haltung zu seinem Besitzerwechsel sich genauso wenig verändert hatte wie sein Äußeres.

»Herr«, krächzte Kreacher mit seiner Ochsenfroschstimme, verbeugte sich tief und murmelte zu seinen Knien: »Zurück im alten Haus meiner Herrin mit dem Blutsverräter Weasley und der Schlammblüterin -«

»Ich verbiete dir, irgendjemanden gt;Blutsverräterlt; oder gt;Schlammblutlt; zu nennen«, knurrte Harry. Er hätte Kreacher mit seiner Schnauzennase und seinen blutunterlaufenen Augen selbst dann für ein ausgesprochen unliebsames Etwas gehalten, wenn der Elf Sirius nicht an Voldemort verraten hätte.

»Ich habe eine Frage an dich«, sagte Harry, und sein Herz schlug ziemlich schnell, als er zu dem Elfen hinabblickte. »Und ich befehle dir, sie wahrheitsgemäß zu beantworten. Verstanden? «

»Ja, Herr«, sagte Kreacher mit einer neuerlichen tiefen Verbeugung.

Harry sah, wie sich seine Lippen lautlos bewegten und zweifellos die Beleidigungen formten, die er nun nicht mehr aussprechen durfte.

»Vor zwei Jahren«, sagte Harry und sein Herz hämmerte jetzt gegen seine Rippen, »war ein großes goldenes Medaillon oben im Salon. Wir haben es weggeworfen. Hast du es dir wieder genommen?«

Es blieb einen Moment lang still, in dem Kreacher sich aufrichtete und Harry direkt ins Gesicht sah. Dann sagte er: »Ja.«

»Wo ist es jetzt?«, fragte Harry triumphierend, während Ron und Hermine vor Freude strahlten.

Kreacher schloss die Augen, als könnte er es nicht ertragen, mit anzusehen, wie sie auf sein nächstes Wort reagieren würden.

»Weg.«

»Weg?«, wiederholte Harry und seine Hochstimmung verflog. »Was soll das heißen, es ist weg?«

Der Elf zitterte. Er schwankte.

»Kreacher«, sagte Harry scharf. »Ich befehle dir -«

»Mundungus Fletcher«, krächzte der Elf, die Augen immer noch fest geschlossen. »Mundungus Fletcher hat alles gestohlen: die Bilder von Miss Bella und Miss Zissy, die Handschuhe von meiner Herrin, den Merlinorden erster Klasse, die Kelche mit dem Familienwappen und, und -«

Kreacher schnappte nach Luft: Seine eingefallene Brust hob und senkte sich rasch, dann riss er die Augen auf und stieß einen markerschütternden Schrei aus.

»- und das Medaillon, das Medaillon von Herrn Regulus, Kreacher hat Unrecht getan, Kreacher hat seine Befehle nicht befolgt!«

Harry reagierte instinktiv: Als Kreacher sich auf den Schürhaken stürzte, der im Kaminrost stand, warf er sich auf den Elfen und drückte ihn flach zu Boden. Hermines Schrei verschmolz mit dem von Kreacher, doch Harry brüllte lauter als die beiden: »Kreacher, ich befehle dir stillzuhalten!

«

Er spürte, wie der Elf erstarrte, und ließ ihn los. Kreacher lag flach auf dem kalten Steinboden und Tränen strömten aus seinen faltigen Augen.

»Harry, lass ihn aufstehen!«, flüsterte Hermine.

»Damit er sich mit dem Schürhaken schlagen kann?«, schnaubte Harry und kniete sich neben dem Elfen nieder. »Besser nicht. Nun, Kreacher, ich will die Wahrheit: Woher weißt du, dass Mundungus Fletcher das Medaillon gestohlen hat?«

»Kreacher hat ihn gesehen!«, japste der Elf, und Tränen liefen ihm über die Schnauze und in den Mund voller angegrauter Zähne. »Kreacher hat gesehen, wie er aus Kreachers Schrank kam, die Hände voll mit Kreachers Schätzen. Kreacher sagte zu dem Tagedieb, dass er das lassen soll, aber Mundungus Fletcher lachte und – r-rannte ...«

»Du hast behauptet, dass das Medaillon gt;von Herrn Reguluslt; war«, sagte Harry. »Warum? Woher stammte es? Was hatte Regulus damit zu tun? Kreacher, setz dich auf und erzähl mir alles, was du über dieses Medaillon weißt, und alles, was Regulus damit zu tun hatte!«

Der Elf setzte sich auf und rollte sich zu einer Kugel zusammen, legte sein nasses Gesicht zwischen die Knie und begann sich vor und zurück zu wiegen. Dann sprach er mit einer gedämpften, in der stillen, hallenden Küche aber deutlich vernehmbaren Stimme.

»Herr Sirius ist von zu Hause weggerannt, und ein Schaden war es nicht, denn er war ein böser Junge und hat mit seiner liederlichen Art das Herz meiner Herrin gebrochen. Aber Herr Regulus hatte den gebührenden Stolz; er wusste, was er dem Namen der Blacks und der Würde seines reinen Blutes schuldig war. Jahrelang sprach er vom Dunklen Lord, der die Zauberer aus dem Verborgenen hinausführen würde, damit sie über die Muggel und die Muggelstämmigen herrschen ... und als er sechzehn Jahre alt war, schloss sich Herr Regulus dem Dunklen Lord an. So stolz, so stolz, so glücklich, dienen zu dürfen ...

Und eines Tages, ein Jahr nachdem er sich angeschlossen hatte, kam Herr Regulus herunter in die Küche, um Kreacher aufzusuchen. Herr Regulus hat Kreacher immer gemocht. Und Herr Regulus sagte ... er sagte

...«

Der Elf wiegte sich nun schneller.

»... er sagte, dass der Dunkle Lord nach einem Elfen verlange.«

»Voldemort brauchte einen Elfen?«, wiederholte Harry und wandte sich zu Ron und Hermine um, die genauso verdutzt wirkten wie er.

»O ja«, stöhnte Kreacher. »Und Herr Regulus hatte ihm Kreacher angeboten. Es sei eine Ehre, sagte Herr Regulus, eine Ehre für ihn und für Kreacher, der unbedingt alles tun müsse, was der Dunkle Lord ihm befehle

... und dann müsse er wieder nach Hause k-kommen.«

Kreacher wiegte sich noch schneller und schluchzte bei jedem seiner Atemzüge.

»Also ging Kreacher zum Dunklen Lord. Der Dunkle Lord sagte Kreacher nicht, was sie tun würden, aber er nahm Kreacher mit zu einer Höhle am Meer. Und nach der Höhle kam eine Felsenhalle und in der Felsenhalle war ein großer schwarzer See ...«

Harry sträubten sich die Haare im Nacken. Kreachers krächzende Stimme schien quer über dieses dunkle Wasser zu ihm zu kommen. Er hatte das, was geschehen war, so klar vor Augen, als ob er selbst dabei gewesen wäre.

»... da war ein Boot ...«

Natürlich war da ein Boot gewesen; Harry kannte das Boot, geisterhaft grün und klein, verhext, damit es einen Zauberer und ein Opfer auf die Insel in der Mitte bringen konnte. So also hatte Voldemort die magischen Barrieren um den Horkrux getestet: indem er sich ein Wegwerfgeschöpf auslieh, einen Hauselfen ...

»Da war ein B-Becken voller Zaubertrank auf der Insel. Der D-Dunkle Lord befahl Kreacher ihn zu trinken ... «

Den Elfen schüttelte es am ganzen Körper.

»Kreacher trank, und während er trank, sah er schreckliche Dinge ...

Kreachers Eingeweide brannten ... Kreacher schrie nach Herrn Regulus, dass er ihn rette, er schrie nach seiner Herrin Black, aber der Dunkle Lord lachte nur ... er befahl Kreacher, den ganzen Zaubertrank auszutrinken ... er ließ ein Medaillon in das leere Becken fallen ... er füllte es wieder mit Zaubertrank.

Und dann fuhr der Dunkle Lord davon und ließ Kreacher auf der Insel

...«

Harry konnte es vor sich sehen. Er sah Voldemorts weißes, schlangenartiges Gesicht in der Dunkelheit verschwinden, diese roten Augen, die mitleidlos auf den um sich schlagenden Elfen gerichtet waren, dessen Tod innerhalb von Minuten eintreten würde, sobald er dem verzweifelten Durst nachgeben würde, den der brennende Zaubertrank bei seinem Opfer verursachte ... doch an dieser Stelle setzte Harrys Phantasie aus, denn er konnte sich nicht vorstellen, wie Kreacher entkommen war.

»Kreacher brauchte Wasser, er kroch zum Rand der Insel, und er trank aus dem schwarzen See ... und Hände, tote Hände, kamen aus dem Wasser und zerrten Kreacher unter die Oberfläche ...«

»Wie bist du da rausgekommen?«, fragte Harry und war nicht überrascht, dass er sich selbst flüstern hörte.

Kreacher hob seinen hässlichen Kopf und sah Harry mit seinen großen, blutunterlaufenen Augen an.

»Herr Regulus hat Kreacher gesagt, dass er zurückkommen müsse«, sagte er.

»Ich weiß – aber wie bist du den Inferi entkommen?«

Kreacher schien nicht zu verstehen.

»Herr Regulus hat Kreacher gesagt, dass er zurückkommen müsse«, wiederholte er.

»Ich weiß, aber -«

»Na, das ist doch klar, Harry, oder?«, sagte Ron. »Er ist disappariert! «

»Aber ... man konnte in dieser Höhle nicht rein- und rausapparieren«, sagte Harry, »sonst hätte Dumbledore -«

»Elfenmagie ist anders als Zauberermagie, oder?«, sagte Ron. »Ich meine, sie können in Hogwarts rein- und rausapparieren, und wir nicht.«

Es herrschte Stille, während Harry all das verdaute. Wie hatte Voldemort einen solchen Fehler begehen können? Aber noch während er das dachte, fing Hermine an zu sprechen, und ihre Stimme war eisig.

»Natürlich hielt es Voldemort für weit unter seiner Würde, von den Eigenheiten der Hauselfen Notiz zu nehmen, genau wie all die Reinblüter, die sie wie Tiere behandeln ... es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass sie magische Kräfte besitzen könnten, die er nicht hat.«

»Das Geheiß seines Herrn ist das oberste Gesetz für den Hauselfen«, psalmodierte Kreacher. »Kreacher wurde befohlen, nach Hause zu kommen, also ist Kreacher nach Hause gekommen ...«

»Nun, dann hast du doch getan, was man dir befohlen hatte, oder?«, sagte Hermine freundlich. »Du hast überhaupt keine Befehle missachtet!«

Kreacher schüttelte den Kopf und wiegte sich so schnell wie zuvor.

»Also, was ist passiert, als du zurückkamst?«, fragte Harry. »Was hat Regulus gesagt, als du ihm erzählt hast, was geschehen war?«

»Herr Regulus war sehr beunruhigt, sehr beunruhigt«, krächzte Kreacher. »Herr Regulus hat Kreacher befohlen, versteckt zu bleiben und das Haus nicht zu verlassen. Und dann ... es war eine kleine Weile später ...

kam Herr Regulus eines Nachts zu Kreacher in seinem Schrank, und Herr Regulus war seltsam, nicht wie sonst, sein Geist war verwirrt, Kreacher hat das gespürt ... und er verlangte von Kreacher, dass er ihn zu der Höhle führt, der Höhle, in die Kreacher mit dem Dunklen Lord gegangen war ... «

Und so waren sie aufgebrochen. Harry konnte sich die beiden lebhaft vorstellen, den verängstigten alten Elfen und den dünnen dunkelhaarigen Sucher, der Sirius so ähnlich gewesen war ... Kreacher wusste, wie man den verborgenen Eingang zu der unterirdischen Felsenhalle öffnete, er wusste, wie man das kleine Boot hob; diesmal war es sein innig geliebter Regulus, der mit ihm zu der Insel mit dem Becken voll Gift übersetzte ...

»Und er ließ dich den Zaubertrank trinken?«, sagte Harry angewidert.

Aber Kreacher schüttelte den Kopf und weinte. Hermines Hände fuhren rasch zu ihrem Mund: Sie schien etwas verstanden zu haben.

»Herr R-Regulus nahm ein Medaillon aus seiner Tasche, das aussah wie das des Dunklen Lords«, sagte Kreacher und Tränen strömten zu beiden Seiten seiner Schnauzennase hinab. »Und er befahl Kreacher, es zu nehmen und die Medaillons auszutauschen, wenn das Becken leer sei ...«

Kreacher schluchzte nun mit einem Geräusch, das wie ein grobes Raspeln klang; Harry musste sich stark konzentrieren, um ihn zu verstehen.

»Und er befahl Kreacher – wegzugehen – ohne ihn. Und er sagte, Kreacher solle – nach Hause gehen – und meiner Herrin niemals erzählen –was er getan hatte – sondern das erste Medaillon – zerstören. Und er trank

– den ganzen Zaubertrank – und Kreacher vertauschte die Medaillons – und sah zu ... wie Herr Regulus ... unter Wasser gezogen wurde ... und ...«

»Oh, Kreacher!«, jammerte Hermine und weinte. Sie sank neben dem Elfen auf die Knie und wollte ihn umarmen. Schlagartig war Kreacher auf den Beinen und schreckte vor ihr zurück, ganz offensichtlich voller Abscheu.

»Das Schlammblut hat Kreacher berührt, er wird das nicht gestatten, was würde seine Herrin sagen?«

»Ich hab dir gesagt, dass du sie nicht gt;Schlammblutlt; nennen sollst«, fauchte Harry, aber der Elf war schon dabei, sich selbst zu bestrafen: Er ließ sich hinfallen und hämmerte mit seiner Stirn auf den Fußboden.

»Mach, dass er aufhört – er soll aufhören!«, schrie Hermine. »Oh, siehst du jetzt nicht, wie krank das ist, so wie sie gehorchen müssen?«

»Kreacher – hör auf, hör auf!«, rief Harry.

Der Elf lag auf dem Boden, keuchte und zitterte, rund um seine Schnauze glänzte grüner Schleim, dort, wo er sich geschlagen hatte, erschien bereits ein blauer Fleck auf seiner bleichen Stirn, seine Augen waren geschwollen, blutunterlaufen und schwammen in Tränen. Harry hatte noch nie etwas so Erbärmliches gesehen.

»Du hast also das Medaillon nach Hause gebracht«, drängte er unerbittlich weiter, denn er wollte unbedingt die ganze Geschichte erfahren.

»Und du hast versucht, es zu zerstören?«

»Nichts, was Kreacher tat, hat irgendeine Spur darauf hinterlassen«, stöhnte der Elf. »Kreacher hat alles versucht, alles, was er wusste, aber nichts, nichts hat gewirkt ... so viele mächtige Zauber auf dem Gehäuse.

Kreacher war sicher, dass man es nur zerstören konnte, wenn man hineinkam, aber es wollte sich nicht öffnen ... Kreacher bestrafte sich, er versuchte es wieder, er bestrafte sich, er versuchte es wieder. Kreacher hat Befehle nicht befolgt, Kreacher konnte das Medaillon nicht zerstören! Und seine Herrin war verrückt vor Kummer, weil Herr Regulus verschwunden war, und Kreacher konnte ihr nicht sagen, was passiert war, nein, weil Herr Regulus ihm v-v-verboten hatte, irgendwem von der F-F-Familie zu erzählen, was in der Höhle p-passiert war ...«

Kreacher begann so heftig zu schluchzen, dass keine zusammenhängenden Wörter mehr zu hören waren. Hermine sah ihn mit tränenüberströmten Wangen an, wagte es jedoch nicht, ihn noch einmal anzufassen. Selbst Ron, der Kreacher nicht sonderlich leiden konnte, wirkte betrübt. Harry setzte sich auf die Fersen und schüttelte den Kopf, um vielleicht auf einen klaren Gedanken zu kommen.

»Ich verstehe dich nicht, Kreacher«, sagte er schließlich. »Voldemort hat versucht dich zu töten, Regulus starb, um Voldemort zu stürzen, und dennoch hast du Sirius mit Vergnügen an Voldemort verraten? Du bist mit Vergnügen zu Narzissa und Bellatrix gegangen und hast über sie Informationen an Voldemort weitergeleitet ...«

»Harry, so denkt Kreacher nicht«, sagte Hermine und wischte sich mit dem Handrücken die Augen. »Er ist ein Sklave; Hauselfen sind an schlechte, ja sogar grausame Behandlung gewöhnt; was Voldemort Kreacher angetan hat, war gar nicht so unüblich. Was bedeuten einem Elfen wie Kreacher schon Kriege unter Zauberern? Er ist den Leuten treu ergeben, die freundlich zu ihm sind, und Mrs Black muss das gewesen sein, und Regulus war es ganz sicher, und so hat er ihnen bereitwillig gedient und ihre Ansichten nachgeplappert. Ich weiß, was du sagen willst«, fuhr sie fort, als Harry gerade protestieren wollte, »nämlich dass Regulus es sich anders überlegt hat... aber das scheint er Kreacher nicht klargemacht zu haben, oder? Und ich glaube, ich weiß, warum. Kreacher und die Familie von Regulus waren alle sicherer, wenn sie sich an den alten Grundsatz des reinen Blutes hielten. Regulus versuchte sie alle zu schützen.«

»Sirius -«

»Sirius war schrecklich zu Kreacher, Harry, und da brauchst du gar nicht so zu schauen, du weißt, dass es stimmt. Kreacher war schon lange Zeit allein, als Sirius kam, um hier zu leben, und er lechzte vermutlich nach ein bisschen Zuneigung. Ich bin sicher, gt;Miss Zissylt; und gt;Miss Bellalt; waren furchtbar nett zu Kreacher, als er auftauchte, also hat er ihnen einen Gefallen getan und ihnen alles erzählt, was sie wissen wollten. Ich habe schon immer gesagt, dass die Zauberer eines Tages dafür bezahlen müssen, wie sie die Hauselfen behandeln. Nun, Voldemort hat bezahlt ... und Sirius auch. «

Harry konnte ihr nichts entgegensetzen. Während er Kreacher beobachtete, der am Boden schluchzte, fiel ihm ein, was Dumbledore nur Stunden nach Sirius' Tod zu ihm gesagt hatte: Ich glaube nicht, dass Sirius Kreacher jemals als ein Wesen mit Gefühlen betrachtete, die so heftig wie die eines Menschen sind ...

»Kreacher«, sagte Harry nach einer Weile, »wenn du meinst, du schaffst es, ähm ... dann setz dich bitte auf.«

Es dauerte einige Minuten, bis Kreachers Schluckauf sich beruhigt hatte und Stille eintrat. Dann stemmte er sich hoch in eine sitzende Haltung und rieb sich mit den Fingerknöcheln die Augen wie ein kleines Kind.

»Kreacher, ich werde dich bitten, etwas zu tun«, sagte Harry. Er warf Hermine einen Hilfe suchenden Blick zu: Er wollte den Befehl freundlich erteilen, konnte aber gleichzeitig nicht so tun, als wäre es keiner. Doch offenbar war sie damit einverstanden, wie er seinen Tonfall geändert hatte: Sie lächelte aufmunternd.

»Kreacher, ich möchte, dass du bitte gehst und Mundungus Fletcher findest. Wir müssen herausfinden, wo das Medaillon – wo das Medaillon von Herrn Regulus ist. Es ist wirklich wichtig. Wir wollen das Werk, das Herr Regulus begonnen hat, vollenden, wir wollen – ähm – dafür sorgen, dass er nicht umsonst gestorben ist.«

Kreacher ließ die Fäuste sinken und blickte zu Harry auf.

»Mundungus Fletcher finden?«, krächzte er.

»Und bring ihn hierher, zum Grimmauldplatz«, sagte Harry. »Meinst du, du könntest das für uns tun?«

Als Kreacher nickte und aufstand, kam Harry plötzlich eine Idee. Er zog Hagrids Beutel hervor und nahm den falschen Horkrux heraus, das Ersatzmedaillon, in das Regulus die Botschaft an Voldemort gesteckt hatte.

»Kreacher, ich, ähm, möchte, dass du das hier nimmst«, sagte er und drückte dem Elfen das Medaillon in die Hand. »Es gehörte Regulus, und ich bin sicher, dass es in seinem Sinne ist, wenn du es als Zeichen der Dankbarkeit für das bekommst, was du -«

»Das war der Overkill«, sagte Ron, als der Elf einen Blick auf das Medaillon warf, erschrocken und jammervoll aufschrie und sich wieder zu Boden stürzte.

Sie brauchten fast eine halbe Stunde, um Kreacher zu beruhigen, der so überwältigt war, ein Erbstück der Familie Black für sich ganz allein geschenkt zu bekommen, dass ihm die Knie zu weich wurden, um sich richtig auf den Beinen halten zu können. Als er endlich in der Lage war, ein paar wacklige Schritte zu machen, begleiteten sie ihn alle zu seinem Schrank, sahen zu, wie er das Medaillon gut in seine schmutzigen Tücher packte, und versicherten ihm, dass sie sich vorrangig um dessen Schutz kümmern würden, während er fort war. Dann verbeugte er sich jeweils tief vor Harry und Ron und machte sogar eine komische kleine Verrenkung in Hermines Richtung, vielleicht der Ansatz zu einem höflichen Gruß, ehe er mit dem üblichen lauten Knall disapparierte.