"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Ein Versteck

Alles schien verschwommen, langsam. Harry und Hermine sprangen auf und zogen ihre Zauberstäbe. Viele erkannten erst jetzt, dass etwas Merkwürdiges geschehen war; als die silberne Katze verschwand, drehten sich immer noch Köpfe nach ihr um. Stille breitete sich in kalten Wellen von dort aus, wo der Patronus gelandet war. Dann schrie jemand auf.

Harry und Hermine stürzten sich in die panische Menge. Gäste stoben in alle Richtungen davon; viele disapparierten; die Schutzzauber rund um den Fuchsbau waren gebrochen.

»Ron!«, schrie Hermine. »Ron, wo bist du?«

Während sie sich einen Weg über die Tanzfläche bahnten, sah Harry maskierte Gestalten in Kapuzenumhängen in der Menge auftauchen; dann sah er Lupin und Tonks, beide mit erhobenem Zauberstab, er hörte sie

»Protego!« rufen, und rundum taten es ihnen andere nach -

»Ron! Ron!«, schrie Hermine, fast schluchzend, während sie und Harry von verängstigten Gästen angerempelt wurden: Harry packte ihre Hand, um sicherzugehen, dass sie sich nicht verloren, als ein Lichtstrahl über ihre Köpfe hinwegjagte, ob ein Schutzzauber oder etwas Finsteres, wusste Harry nicht -

Und dann war Ron da. Er ergriff Hermines freien Arm, und Harry spürte, wie sie sich auf der Stelle drehte; eine plötzlich über ihn hereinbrechende Dunkelheit erstickte Licht und Lärm; er spürte nur noch Hermines Hand, während er durch Zeit und Raum gepresst wurde, fort vom Fuchsbau, fort von den herabsteigenden Todessern, vielleicht fort von Voldemort selbst ...

»Wo sind wir?«, sagte Rons Stimme.

Harry öffnete die Augen. Einen Moment lang dachte er, sie hätten die Hochzeit gar nicht verlassen: Offenbar waren immer noch überall Menschen.

»Tottenham Court Road«, keuchte Hermine. »Weitergehen, einfach weitergehen, wir müssen irgendetwas finden, wo ihr euch umziehen könnt.«

Harry tat, was sie verlangte. Halb gehend, halb rennend eilten sie unter funkelnden Sternen die breite, dunkle Straße entlang, an Trauben von Nachtschwärmern und geschlossenen Geschäften vorbei. Ein Doppeldeckerbus brauste vorüber, und eine Gruppe angeheiterter Kneipenbesucher gaffte nach ihnen, während sie vorbeigingen; Harry und Ron trugen immer noch ihre Festumhänge.

»Hermine, wir haben nichts anderes zum Anziehen«, sagte Ron zu ihr, als eine junge Frau bei seinem Anblick in heiseres Kichern ausbrach.

»Warum hab ich nicht daran gedacht, den Tarnumhang mitzunehmen?«, sagte Harry und fluchte insgeheim über seine Dummheit. »Das ganze letzte Jahr hatte ich ihn bei mir und -«

»Schon gut, ich hab den Umhang und ich hab Klamotten für euch beide«, sagte Hermine. »Versucht einfach, euch normal zu verhalten, bis –hier ist es gut.«

Sie führte sie in eine Seitenstraße, dann in den Schutz eines düsteren schmalen Durchgangs.

»Wenn du sagst, du hättest den Umhang und Klamotten ...«, sagte Harry und sah Hermine stirnrunzelnd an, die nichts bei sich hatte außer ihrer kleinen, mit Perlen verzierten Handtasche, in der sie jetzt herumstöberte.

»Ja, sie sind hier«, sagte Hermine, und Harry und Ron waren sprachlos, als sie eine Jeans, ein Sweatshirt, ein Paar kastanienbraune Socken und schließlich den silbrigen Tarnumhang herauszog.

»Wie zum Teufel noch mal -? «

»Unaufspürbarer Ausdehnungszauber«, sagte Hermine. »Knifflig, aber ich glaub, ich hab ihn einigermaßen hinbekommen; jedenfalls hab ich es geschafft, alles, was wir brauchen, hier reinzukriegen.« Sie schüttelte kurz die zierlich wirkende Tasche, und es hallte darin wie in einem Laderaum, in dem etliche schwere Gegenstände herumrutschen. »O verdammt, das sind sicher die Bücher«, sagte sie und spähte hinein. »Und ich hatte sie doch alle nach Themen aufgestapelt ... na gut ... Harry, du nimmst am besten den Tarnumhang. Ron, zieh dich schnell um ...«

»Wann hast du das alles gemacht?«, fragte Harry, während Ron seinen Festumhang abstreifte.

»Ich hab dir doch im Fuchsbau gesagt, dass ich die wichtigen Sachen schon seit Tagen gepackt hatte, für den Fall, dass wir rasch abhauen müssten. Deinen Rucksack hab ich heute Morgen gepackt, Harry, nachdem du dich verwandelt hattest, und ihn hier reingetan ... es war nur ein Gefühl

...«

»Du bist echt irre«, sagte Ron und reichte ihr seinen zusammengeknüllten Umhang.

»Danke«, sagte Hermine und brachte ein leises Lächeln zustande, als sie den Umhang in die Tasche stopfte. »Bitte, Harry, zieh endlich den Umhang über!«

Harry warf sich den Tarnumhang um die Schultern, und als er ihn über den Kopf zog, verschwand er. Erst allmählich wurde ihm bewusst, was geschehen war.

»Die anderen – all die Leute auf der Hochzeit -«

»Darüber können wir uns jetzt keine Gedanken machen«, flüsterte Hermine. »Du bist der, hinter dem sie her sind, Harry, und wir würden alle nur noch mehr in Gefahr bringen, wenn wir zurückgingen.«

»Sie hat Recht«, sagte Ron, der offenbar wusste, dass Harry gleich widersprechen wollte, obwohl er sein Gesicht nicht sehen konnte. »Fast alle vom Orden waren da, die werden sich um die Leute kümmern.«

Harry nickte, dann fiel ihm ein, dass sie ihn nicht sehen konnten, und er sagte: »Jaah.« Doch er dachte an Ginny und Angst schäumte wie Säure in seinem Magen.

»Kommt, ich glaube, wir sollten weiter«, sagte Hermine.

Sie kehrten durch die Seitenstraße zurück auf die große Straße, wo auf der anderen Seite einige Männer sangen und im Zickzack über den Bürgersteig liefen.

»Rein aus Neugier, warum gerade Tottenham Court Road?«, fragte Ron Hermine.

»Ich hab keine Ahnung, das ist mir einfach so eingefallen, aber ich bin sicher, dass wir hier draußen in der Muggelwelt weniger in Gefahr sind, die erwarten nicht, dass wir hier sind.«

»Stimmt«, sagte Ron und sah sich um, »aber fühlst du dich nicht ein bisschen – ungeschützt?«

»Wo können wir sonst hin?«, fragte Hermine und zuckte zusammen, als die Männer auf der anderen Straßenseite anfingen, ihr hinterherzupfeifen.

»Wir können ja wohl kaum Zimmer im Tropfenden Kessel mieten, oder?

Und der Grimmauldplatz kommt nicht in Frage, wenn Snape da reinkann ...

Wir könnten es vielleicht mit dem Haus meiner Eltern probieren, aber möglicherweise kommen die Todesser, um dort nachzusehen ... oh, wenn die nur endlich die Klappe halten würden!«

»Alles klar, Süße?«, schrie der betrunkenste Mann auf dem Bürgersteig gegenüber. »Lust auf'n Drink? Gib dem Rotfuchs den Laufpass und komm mit auf'n Bier!«

»Am besten, wir setzen uns mal irgendwo rein«, sagte Hermine rasch, als Ron den Mund aufmachte, um über die Straße zurückzubrüllen. »Seht mal, das hier ist gut, los, hinein!«

Es war ein kleines, heruntergekommenes Nachtcafe. Eine dünne Fettschicht lag auf allen Resopaltischen, doch es war zumindest leer. Harry rutschte als Erster auf eine Sitzbank, und Ron nahm neben ihm und gegenüber von Hermine Platz, die es gar nicht mochte, mit dem Rücken zum Eingang zu sitzen: Sie blickte so oft über die Schulter, dass es aussah, als würde sie unter einem nervösen Zucken leiden. Harry behagte das Sitzen nicht; beim Gehen hatte er sich vormachen können, dass sie ein Ziel hatten. Unter dem Tarnumhang konnte er spüren, wie die letzten Reste des Vielsaft-Tranks ihre Wirkung verloren, seine Hände nahmen wieder ihre normale Länge und Form an. Er zog seine Brille aus der Tasche und setzte sie auf.

Nach ein oder zwei Minuten sagte Ron: »Wir sind hier nicht weit weg vom Tropfenden Kessel, wisst ihr, der ist gerade mal in der Charing Cross -

«

»Ron, das geht nicht!«, sagte Hermine sofort.

»Nicht um dort zu bleiben, sondern um rauszufinden, was los ist!«

»Wir wissen, was los ist! Voldemort hat das Ministerium erobert, was müssen wir sonst noch wissen?«

»Okay, okay, es war nur 'ne Idee!«

Sie verfielen erneut in ein angespanntes Schweigen. Die Kaugummi kauende Bedienung schlurfte herüber und Hermine bestellte zwei Cappuccino: Da Harry unsichtbar war, hätte es komisch gewirkt, auch für ihn einen zu bestellen. Zwei stämmige Arbeiter betraten das Cafe und quetschten sich auf die benachbarte Sitzgruppe. Hermine senkte die Stimme und flüsterte.

»Ich würde sagen, wir suchen uns einen ruhigen Platz zum Disapparieren und verschwinden aufs Land. Wenn wir dort sind, können wir dem Orden eine Nachricht schicken.«

»Du kriegst das also hin mit diesem sprechenden Patronus?«, fragte Ron.

»Ich denk schon, ich hab geübt«, sagte Hermine.

»Von mir aus, solange die dadurch nicht in Schwierigkeiten geraten, aber vielleicht sind sie ja auch schon verhaftet«, sagte Ron. »Gott, ist das widerlich«, fügte er nach einem kleinen Schluck von dem schaumigen, gräulichen Kaffee hinzu. Die Bedienung hatte es gehört; sie warf Ron einen bösen Blick zu, während sie davonschlurfte, um die Bestellungen der neuen Gäste aufzunehmen. Der größere der beiden Arbeiter, der blond und ziemlich hünenhaft war, wie Harry jetzt erst bemerkte, scheuchte sie weg.

Sie starrte beleidigt zurück.

»Lasst uns mal gehen, ich will diese Brühe nicht trinken«, sagte Ron.

»Hermine, hast du Muggelgeld, um das zu bezahlen?«

»Ja, ich hab mein ganzes Bausparkonto geleert, bevor ich zum Fuchsbau kam. Ich wette, das Kleingeld ist ganz unten«, seufzte Hermine und griff nach ihrer Perlentasche.

Die Arbeiter machten beide dieselbe Bewegung, und Harry ahmte sie ganz automatisch nach: Alle drei zogen ihre Zauberstäbe. Ron, der ein paar Sekunden brauchte, bis er begriffen hatte, was los war, warf sich über den Tisch und stieß Hermine auf ihrer Bank um. Die Wucht der Todesserflüche zertrümmerte die geflieste Wand, dort, wo eben noch Rons Kopf gewesen war, und Harry schrie, immer noch unsichtbar: »Stupor!«

Ein roter Lichtstrahl traf den großen blonden Todesser im Gesicht: Er sackte ohnmächtig zur Seite. Sein Begleiter, der nicht sehen konnte, von wem der Fluch gekommen war, feuerte einen weiteren auf Ron: Glänzende schwarze Seile flogen aus der Spitze seines Zauberstabs und fesselten Ron am ganzen Körper – die Bedienung schrie und rannte zur Tür – Harry schoss einen weiteren Schockzauber auf den Todesser mit dem verzerrten Gesicht ab, der Ron gefesselt hatte, doch er verfehlte ihn, prallte am Fenster ab und traf die Bedienung, die an der Tür zusammenbrach.

»Expulso!«, brüllte der Todesser, und der Tisch, hinter dem Harry stand, flog in die Luft: Die Wucht der Explosion schmetterte ihn gegen die Wand, und er spürte, wie ihm der Zauberstab aus der Hand fiel und ihm der Tarnumhang herunterrutschte.

»Petrificus Totalus!«, kreischte Hermine von irgendwoher, und der Todesser kippte wie eine Statue mit einem dumpfen Knirschen vornüber auf das Durcheinander aus Porzellanscherben, Tischsplittern und Kaffee.

Hermine kroch unter der Bank hervor, am ganzen Leib zitternd, und schüttelte sich Scherben von einem gläsernen Aschenbecher aus den Haaren.

»D-Diffindo«, sagte sie und richtete dabei ihren Zauberstab auf Ron, der vor Schmerz schrie, weil sie seine Jeans am Knie aufschlitzte, was einen tiefen Schnitt hinterließ. »Oh, tut mir so leid, Ron, meine Hand zittert!

Diffindo!«

Die durchgetrennten Seile fielen von ihm ab. Ron stand auf und schüttelte seine Arme, um die Taubheit loszuwerden. Harry hob seinen Zauberstab auf und stieg über den ganzen Schutt zu dem großen blonden Todesser hinüber, der ausgestreckt über der Bank lag.

»Ich hätte ihn erkennen müssen, er war dabei in der Nacht, als Dumbledore starb«, sagte er. Er drehte den dunkleren Todesser mit dem Fuß um; die Augen des Mannes zuckten rasch zwischen Harry, Ron und Hermine hin und her.

»Das ist Dolohow«, sagte Ron. »Ich erkenne ihn von den alten Fahndungsplakaten her. Ich glaube, der Große ist Thorfinn Rowle.«

»Ist doch egal, wie sie heißen!«, sagte Hermine ein wenig hysterisch.

»Wie konnten die uns finden? Was sollen wir jetzt tun?«

Ihre Panik schien auf irgendeine Art zu bewirken, dass Harry einen klaren Kopf bekam.

»Schließ die Tür ab«, sagte er, »und Ron, mach die Lichter aus.«

Er blickte hinunter auf den gelähmten Dolohow und überlegte rasch, während das Türschloss zuschnappte und Ron das Cafe mit dem Deluminator in Dunkelheit tauchte. Aus der Ferne konnte Harry die Männer hören, die vorher Hermine verhöhnt hatten und nun ein anderes Mädchen anschrien.

»Was machen wir mit denen?«, flüsterte Ron im Dunklen Harry zu; dann sagte er, noch leiser: »Sie töten? Die würden uns auch töten. Eben waren sie kurz davor. «

Hermine schauderte und trat einen Schritt zurück. Harry schüttelte den Kopf.

»Wir müssen nur ihre Gedächtnisse löschen«, sagte Harry. »Das ist besser, es wird sie von der Fährte ablenken. Wenn wir sie umbringen würden, wäre es offensichtlich, dass wir hier waren.«

»Du bist der Chef«, sagte Ron und klang äußerst erleichtert. »Aber ich hab noch nie einen Gedächtniszauber ausgeführt.«

»Ich auch nicht«, sagte Hermine, »aber ich kann es theoretisch.«

Sie nahm einen tiefen, beruhigenden Atemzug, dann richtete sie ihren Zauberstab auf Dolohows Stirn und sagte: »Amnesia.«

Dolohows Blick wurde sofort verschwommen und träumerisch.

»Bestens!«, sagte Harry und klopfte ihr auf die Schulter. »Kümmer dich um den anderen und die Bedienung, Ron und ich räumen inzwischen auf.«

»Aufräumen?«, sagte Ron und sah sich in dem halb demolierten Cafe um. »Wieso?«

»Meinst du nicht, dass die sich fragen könnten, was passiert ist, wenn sie an einem Ort aufwachen, wo es aussieht, als hätte gerade eine Bombe eingeschlagen?«

»O ja, stimmt ...«

Ron hatte einen Augenblick damit zu tun, seinen Zauberstab aus der Tasche zu ziehen.

»Kein Wunder, dass ich ihn nicht rauskriege, Hermine, du hast meine alte Jeans eingepackt, die ist zu eng.«

»Oh, das tut mir aber leid«, fauchte Hermine, und während sie die Kellnerin aus dem Sichtbereich der Fenster schleifte, hörte Harry, wie sie leise murmelnd vorschlug, wo Ron seinen Zauberstab sonst noch hinstecken könnte.

Sobald das Cafe wieder in seinem alten Zustand war, hievten sie die Todesser zurück an ihren Tisch und stützten sie so ab, dass sie einander gegenübersaßen.

»Wie haben die uns nur gefunden?«, fragte Hermine und sah von dem einen reglosen Mann zum anderen. »Woher wussten die, wo wir sind?«

Sie wandte sich zu Harry um.

»Du – du glaubst doch nicht, dass du immer noch die Spur auf dir hast, Harry?«

»Das kann nicht sein«, sagte Ron. »Die Spur löst sich, wenn man siebzehn wird, das ist magisches Gesetz, man kann sie keinem Erwachsenen auferlegen.«

»Soweit du weißt«, sagte Hermine. »Und wenn die Todesser nun einen Weg gefunden haben, sie auf einen Siebzehnjährigen zu legen?«

»Aber Harry war in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht in der Nähe eines Todessers. Wer sollte ihn denn wieder mit einer Spur belegt haben?«

Hermine antwortete nicht. Harry fühlte sich verseucht, befleckt: Hatten die Todesser ihn wirklich auf diese Weise gefunden?

»Wenn ich nicht zaubern kann und ihr nicht in meiner Nähe zaubern könnt, ohne dass wir unseren Standort verraten ...«, begann er.

»Wir trennen uns nicht!«, sagte Hermine entschieden.

»Wir brauchen ein sicheres Versteck«, sagte Ron. »Wo wir in Ruhe über alles nachdenken können.«

»Grimmauldplatz«, sagte Harry.

Den beiden anderen blieb der Mund offen stehen.

»Sei nicht albern, Harry, da kann Snape doch rein!«

»Rons Dad meinte, sie hätten Flüche gegen ihn in Stellung gebracht –und selbst wenn die nicht funktioniert haben«, fuhr er hastig fort, als Hermine widersprechen wollte, »was soll's? Ich schwöre, mir wäre nichts lieber, als Snape zu treffen!«

»Aber -«

»Was bleibt uns denn anderes übrig, Hermine? Eine bessere Möglichkeit gibt es nicht. Snape ist nur ein einzelner Todesser. Wenn ich die Spur immer noch auf mir habe, dann sind sie scharenweise hinter uns her, ganz gleich wo wir sonst hingehen.«

Sie konnte nicht widersprechen, auch wenn sie so aussah, als ob sie es gerne getan hätte. Als sie die Tür des Cafes aufschloss, ließ Ron den Deluminator klicken, um die Beleuchtung wieder freizugeben. Dann zählte Harry bis drei, sie lösten die Zauber von ihren drei Opfern, und noch ehe die Bedienung oder irgendeiner der beiden Todesser mehr als eine müde Bewegung machen konnten, hatten sich Harry, Ron und Hermine auf der Stelle gedreht und waren in der drückenden Dunkelheit verschwunden.

Sekunden später dehnte sich Harrys Lunge dankbar aus und er öffnete die Augen: Sie standen jetzt in der Mitte eines vertrauten kleinen und heruntergekommenen Platzes. Rundum ragten schäbige Häuser in die Höhe. Sie konnten Nummer zwölf sehen, denn Dumbledore, der Geheimniswahrer, hatte ihnen von der Existenz des Hauses erzählt, und schritten nun eilig darauf zu, wobei sie sich alle paar Meter vergewisserten, dass sie nicht verfolgt oder beobachtet wurden. Sie sprangen die Steinstufen hoch und Harry klopfte mit seinem Zauberstab ein Mal gegen die Haustür. Sie hörten mehrere metallische Klickgeräusche und das Rasseln einer Kette, dann schwang die Tür knarrend auf, und sie traten hastig über die Schwelle.

Als Harry die Tür hinter ihnen schloss, sprangen die altmodischen Gaslaternen an und warfen ihr flackerndes Licht durch die Eingangshalle.

Hier sah es genauso aus, wie Harry es in Erinnerung hatte: unheimlich, voller Spinnweben, die Silhouetten der Hauselfenköpfe an der Wand warfen seltsame Schatten die Treppe hinauf. Lange, dunkle Vorhänge verdeckten das Porträt von Sirius' Mutter. Nur der Schirmständer aus einem Trollbein war nicht an seinem Platz, sondern lag seitlich auf dem Boden, als hätte Tonks ihn eben wieder umgestoßen.

»Ich glaube, hier war jemand«, flüsterte Hermine und deutete auf den Schirmständer.

»Das ist vielleicht passiert, als der Orden hier rausgegangen ist«, erwiderte Ron leise.

»Wo sind jetzt diese Flüche, die sie gegen Snape in Stellung gebracht haben?«, fragte Harry.

»Vielleicht werden sie nur ausgelöst, wenn er auftaucht?«, überlegte Ron.

Dennoch blieben sie eng zusammen auf der Türmatte stehen, mit dem Rücken zur Tür, voller Angst, weiter ins Haus hineinzugehen.

»Also, ewig können wir hier nicht bleiben«, sagte Harry und machte einen Schritt vorwärts.

»Severus Snape?«

Mad-Eye Moodys Stimme flüsterte aus der Dunkelheit und alle drei sprangen vor Schreck zurück. »Wir sind nicht Snape!«, krächzte Harry, bis etwas über ihn hinwegzischte wie ein kalter Luftzug und seine Zunge sich umstülpte, so dass er nicht mehr sprechen konnte. Aber noch bevor er in seine Mundhöhle tasten konnte, hatte sich seine Zunge wieder gelöst.

Die beiden anderen hatten offenbar das gleiche unangenehme Erlebnis gehabt. Ron machte Würgelaute; Hermine stammelte: »Das m-muss der Zunge-Fessel-Fluch g-gewesen sein, den Mad-Eye für Snape eingerichtet hat!«

Behutsam machte Harry noch einen Schritt vorwärts. In den Schatten am Ende der Halle bewegte sich etwas, und ehe einer von ihnen ein weiteres Wort sagen konnte, war eine Gestalt aus dem Teppich emporgewachsen, groß, Staubfarben und schrecklich: Hermine schrie, genau wie Mrs Black, deren Vorhänge zur Seite flogen; die graue Gestalt glitt auf sie zu, immer schneller, mit wehendem hüftlangem Haar und Bart, das Gesicht eingefallen, fleischlos, mit leeren Augenhöhlen: Schrecklich vertraut, entsetzlich verändert, hob sie einen abgezehrten Arm und richtete ihn auf Harry.

»Nein!«, schrie Harry, und obwohl er seinen Zauberstab erhoben hatte, fiel ihm kein Zauber ein. »Nein! Wir waren es nicht! Wir haben Sie nicht getötet -«

Bei dem Wort »getötet« zerbarst die Gestalt zu einer großen Staubwolke: Hustend und mit tränenden Augen schaute Harry sich um und sah Hermine an der Tür auf dem Boden kauern, die Arme über dem Kopf, während Ron, der am ganzen Leib zitterte, ihr unbeholfen die Schulter tätschelte und sagte: »Ist schon g-gut ... er ist w-weg ...«

Staub wirbelte um Harry herum wie Nebel und dämpfte das blaue Gaslicht, und dann fing Mrs Black wieder an zu schreien.

»Schlammblüter, Dreck, Schandflecke, Makel der Schmach auf dem Haus meiner Väter -«

»HALT DIE KLAPPE!«, brüllte Harry und richtete seinen Zauberstab auf sie, und mit einem Knall und einem roten Funkenschauer schwangen die Vorhänge wieder zu und ließen sie verstummen.

»Das ... das war ...«, wimmerte Hermine, während Ron ihr auf die Beine half.

»Jaah«, sagte Harry, »aber er war es nicht wirklich, oder? Nur etwas, das Snape Angst einjagen sollte.«

Hatte die Horrorgestalt ihren Zweck erfüllt, fragte sich Harry, oder hatte Snape sie schon aus dem Weg gesprengt, so lässig, wie er den echten Dumbledore getötet hatte? Immer noch nervös ging er den anderen beiden voran in die Halle hinein und rechnete fast damit, dass ein neuer Schrecken sich offenbaren würde, doch nichts regte sich außer einer Maus, die an der Fußleiste entlanghuschte.

»Ich glaube, bevor wir noch weitergehen, sollten wir besser mal nachsehen«, flüsterte Hermine, hob ihren Zauberstab und sagte: »Homenum revelio.«

Nichts geschah.

»Na ja, du hast gerade einen schweren Schock erlitten«, sagte Ron freundlich. »Was sollte das denn bewirken?«

»Es hat bewirkt, was ich haben wollte!«, sagte Hermine ziemlich ärgerlich. »Das war ein Zauber, der die Anwesenheit von Menschen zeigt, und es ist niemand hier außer uns!«

»Und der alte Staubwedel«, sagte Ron und warf einen Blick auf die Stelle im Teppich, wo die Leichengestalt emporgestiegen war.

»Gehen wir nach oben«, sagte Hermine mit einem angsterfüllten Blick auf dieselbe Stelle, und sie ging voran, die knarrende Treppe hinauf in den Salon im ersten Stock.

Hermine schwang ihren Zauberstab, um die alten Gaslaternen anzuzünden, dann setzte sie sich, leicht schaudernd in dem zugigen Raum, auf das Sofa, die Arme eng um den Körper geschlungen. Ron ging hinüber zum Fenster und schob den schweren Samtvorhang einige Zentimeter zur Seite.

»Kann da draußen niemanden sehen«, berichtete er. »Und wenn Harry immer noch die Spur auf sich hätte, wären sie uns bis hierher gefolgt, schätze ich. Ich weiß, sie können nicht ins Haus, aber – was ist los, Harry?«

Harry hatte vor Schmerz aufgeschrien: Seine Narbe hatte wieder gebrannt, als ihm etwas durch den Kopf geschossen war, wie ein helles Licht über dem Wasser. Er sah einen großen Schatten und spürte Wut, die nicht seine eigene war, durch seinen Körper pulsieren, heftig und kurz wie ein elektrischer Schlag.

»Was hast du gesehen?«, fragte Ron und ging auf Harry zu. »Hast du ihn bei mir zu Hause gesehen?«

»Nein, ich hab nur Zorn gespürt – er ist richtig zornig -«

»Aber das könnte im Fuchsbau sein«, sagte Ron laut. »Wo sonst? Hast du nichts gesehen? Hat er jemand einen Fluch aufgehalst?«

»Nein, ich hab nur Zorn gespürt – ich wusste nicht -«

Harry fühlte sich erschlagen, durcheinander, und Hermine war ihm keine Hilfe, als sie mit ängstlicher Stimme fragte: »Deine Narbe, schon wieder? Aber was ist da los? Ich dachte, diese Verbindung hätte sich geschlossen! «

»Hat sie auch, eine Zeit lang«, murmelte Harry; seine Narbe schmerzte noch immer, weshalb es ihm schwerfiel, sich zu konzentrieren. »Ich – ich glaub, sie fängt wieder an, sich zu öffnen, immer wenn er die Beherrschung verliert, so war das auch, als -«

»Aber dann musst du deinen Geist verschließen!«, sagte Hermine schrill. »Harry, Dumbledore wollte nicht, dass du diese Verbindung benutzt, er wollte, dass du sie stilllegst, deshalb solltest du Okklumentik einsetzen! Denn sonst kann Voldemort falsche Bilder in dein Bewusstsein einpflanzen, erinner dich -«

»Jaah, ich erinnere mich gut, danke«, sagte Harry mit zusammengebissenen Zähnen; Hermine brauchte ihm nicht zu sagen, dass Voldemort einst genau diese Verbindung zwischen ihnen genutzt hatte, um ihn in eine Falle zu locken, und auch nicht, dass dies zu Sirius' Tod geführt hatte. Er wünschte, er hätte ihnen nicht erzählt, was er gesehen und gespürt hatte; es ließ Voldemort bedrohlicher wirken, so als ob er sich gerade gegen das Fenster des Salons pressen würde, und der Schmerz in seiner Narbe nahm immer noch zu, und er kämpfte dagegen an: Es war, als würde er sich gegen einen Brechreiz wehren.

Er wandte Ron und Hermine den Rücken zu und tat, als würde er den alten Wandteppich mit dem Stammbaum der Familie Black studieren. Dann stieß Hermine einen spitzen Schrei aus: Harry zückte erneut seinen Zauberstab, wirbelte herum und sah einen silbrigen Patronus durch das Fenster des Salons hereinschweben und auf dem Boden vor ihnen landen, wo er die Gestalt eines Wiesels annahm, das mit der Stimme von Rons Vater sprach.

»Familie sicher, nicht antworten, wir werden beobachtet.«

Der Patronus löste sich in nichts auf. Ron gab einen halb wimmernden, halb stöhnenden Laut von sich und ließ sich auf das Sofa fallen. Hermine rückte an ihn heran und ergriff seinen Arm.

»Es geht ihnen gut, es geht ihnen gut!«, flüsterte sie, und Ron lachte halbherzig und umarmte sie.

»Harry«, sagte er über Hermines Schulter, »ich -«

»Kein Problem«, sagte Harry, dem von dem Schmerz in seinem Kopf übel war. »Es ist deine Familie, 'türlich machst du dir Sorgen. Mir würde es genauso gehen.« Er dachte an Ginny. »Mir geht es genauso.«

Seine Narbe schmerzte höllisch, sie brannte wie im Garten des Fuchsbaus. Undeutlich hörte er Hermine sagen: »Ich will nicht alleine sein.

Können wir nicht die Schlafsäcke nehmen, die ich mitgebracht habe, und heute hier drin übernachten?«

Er hörte, wie Ron zustimmte. Er konnte sich nicht mehr länger gegen den Schmerz wehren: Er musste ihm nachgeben.

»Badezimmer«, murmelte er und ging, so schnell er konnte, ohne zu rennen, aus dem Salon.

Er schaffte es gerade noch: Mit zitternden Händen verriegelte er die Tür hinter sich, griff nach seinem hämmernden Kopf und stürzte zu Boden, und dann spürte er in einem plötzlichen Ausbruch unerträglicher Schmerzen, wie der Zorn, der nicht zu ihm gehörte, von seiner Seele Besitz ergriff, er sah einen langen Raum, nur von einem Kaminfeuer erleuchtet, und den großen blonden Todesser auf dem Boden, schreiend und sich krümmend, und eine schmächtigere Gestalt über ihm, den Zauberstab in der ausgestreckten Hand, während Harry mit einer hohen, kalten, gnadenlosen Stimme sprach.

»Noch mehr, Rowle, oder sollen wir Schluss machen und dich Nagini zum Fraß vorwerfen? Lord Voldemort ist nicht sicher, ob er dieses Mal verzeiht ... Dafür hast du mich zurückgerufen, um mir zu sagen, dass Harry Potter wieder entkommen ist? Draco, lass Rowle noch einmal von unserem Missvergnügen kosten ... tu es, oder du spürst selbst meinen Zorn! «

Im Feuer fiel ein Holzscheit: Flammen loderten auf, ihr Licht zuckte über ein von Grauen erfülltes, spitzes weißes Gesicht – mit dem Gefühl, als ob er aus tiefem Wasser auftauchen würde, schnappte Harry nach Luft und öffnete die Augen.

Er lag, alle viere von sich gestreckt, auf dem kalten schwarzen Marmorboden, die Nase nur Zentimeter von einem der silbernen Schlangenschwänze entfernt, die die große Badewanne trugen. Er setzte sich auf. Malfoys ausgemergeltes, versteinertes Gesicht schien ins Innere seiner Augen eingebrannt. Harry war übel von dem, was er gesehen hatte, von der Art, wie Draco nun von Voldemort benutzt wurde.

Es klopfte heftig an der Tür, und Harry zuckte zusammen, als Hermines Stimme ertönte:

»Harry, möchtest du deine Zahnbürste? Ich hab sie hier.«

»Jaah, prima, danke«, sagte er, nach Kräften bemüht, so lässig wie möglich zu klingen, und er stand auf, um Hermine hereinzulassen.