"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)Erbteil des fluches, hässlicher sünde blutige wunde, schmerzen, wer trüge sie? quälen, wer stillte sie? wehe weh! Einzig der erbe heilet des hauses eiternde wunde, einzig mit blut'gem schnitt. götter der finsternis rief mein lied. Sel'ge geister drunten in der tiefe, wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet, bringt den kindern hilfe, bringt den sieg. Aischylos, Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist. William Penn, Die HochzeitAm folgenden Nachmittag standen Harry, Ron, Fred und George um drei Uhr vor dem großen weißen Festzelt im Obstgarten und warteten auf die Ankunft der Hochzeitsgäste. Harry hatte eine große Portion Vielsaft-Trank eingenommen und war jetzt das Ebenbild eines rothaarigen Muggeljungen aus dem nahe gelegenen Dorf Ottery St. Catchpole, dem Fred mit einem Aufrufezauber Haare gestohlen hatte. Sie hatten ausgemacht, Harry als »Cousin Barny« vorzustellen und darauf zu bauen, dass er in der großen Verwandtschaft der Weasleys nicht weiter auffallen würde. Alle vier hatten Sitzpläne in den Händen, um den Gästen behilflich zu sein und ihnen ihre Plätze zeigen zu können. Eine Stunde zuvor war ein Heer von Kellnern in weißen Umhängen eingetroffen, zusammen mit einer Band in goldenen Jacketts, und all diese Zauberer saßen jetzt nicht weit entfernt unter einem Baum; Harry sah einen blauen Dunst von Pfeifenrauch von dort aufsteigen. Hinter Harry konnte man durch den Zelteingang Reihe um Reihe zierlicher goldener Stühle erkennen, die zu beiden Seiten eines langen lila Teppichs aufgestellt waren. An den Stützstangen rankten sich weiße und goldene Blumen empor. Fred und George hatten einen riesigen Bund goldener Ballons genau über der Stelle angebracht, wo Bill und Fleur in Kürze Mann und Frau werden würden. Draußen schwebten Schmetterlinge und Bienen gemächlich über das Gras und die Hecke. Harry war ziemlich unwohl in seiner Haut. Der Muggeljunge, dessen Äußeres er angenommen hatte, war ein wenig dicker als er, und Harrys Festumhang war ihm in der grellen Sonne des Sommertages zu heiß und zu eng. »Wenn ich mal heirate«, sagte Fred und zupfte am Kragen seines Umhangs, »dann halte ich mich gar nicht erst mit dem ganzen Quatsch auf. Ihr könnt alle anziehen, was ihr wollt, und Mum verpasse ich eine komplette Ganzkörperklammer, bis alles vorbei ist.« »Sie war heute Morgen gar nicht so übel drauf, den Umständen entsprechend«, sagte George. »Hat ein bisschen geweint, weil Percy nicht da ist, aber wer will ihn schon haben? Oh, verdammt, reißt euch zusammen – da kommen sie, seht mal.« Am äußersten Ende des Hofes erschienen Gestalten in leuchtenden Farben der Reihe nach aus dem Nichts. Innerhalb von wenigen Minuten hatte sich ein Umzug gebildet, der sich durch den Garten auf das Zelt zuschlängelte. Auf den Hüten der Hexen flatterten exotische Blumen und verzauberte Vögel, und an den Krawatten vieler der Zauberer funkelten wertvolle Edelsteine; als die Menge sich dem Zelt näherte, wurde das aufgeregte Summen vieler Stimmen immer lauter und übertönte allmählich das Geräusch der Bienen. »Bestens, ich glaub, da sind ein paar Veela-Cousinen dabei«, sagte George und reckte den Hals, um besser zu sehen. »Die brauchen sicher Hilfe, damit sie unsere englischen Sitten und Gebräuche verstehen, ich kümmer mich um sie ...« »Nicht so hastig, du Löffelloser«, sagte Fred und sauste pfeilschnell an der schnatternden Schar Hexen mittleren Alters vorbei, die den Umzug anführte. »Bitte sehr – »Tag auch«, sagte eine vertraute Stimme, als er wieder vor das Zelt trat und Tonks und Lupin am Anfang der Schlange bemerkte. Tonks hatte sich zur Feier des Tages blond werden lassen. »Arthur hat uns gesagt, dass du der mit den Locken bist. Entschuldige wegen gestern Abend«, fügte sie flüsternd hinzu, während Harry die beiden zwischen den Stuhlreihen entlangführte. »Das Ministerium ist im Moment ziemlich werwolffeindlich, und wir dachten, dass unsere Anwesenheit dir nicht gerade helfen würde.« »Schon gut, versteh ich«, sagte Harry, mehr zu Lupin gewandt als zu Tonks. Lupin lächelte ihm flüchtig zu, doch während sie sich umdrehten, sah Harry, wie in Lupins Gesicht erneut Sorgenfalten traten. Harry begriff es nicht, hatte jedoch keine Zeit, darüber nachzugrübeln: Hagrid verursachte gerade einigen Tumult. Er hatte Freds Anweisungen falsch verstanden und sich nicht auf den magisch vergrößerten und verstärkten Sitz gesetzt, den man eigens für ihn in der hinteren Reihe aufgestellt hatte, sondern auf fünf Stühle, die jetzt an einen großen Haufen goldener Streichhölzer erinnerten. Während Mr Weasley den Schaden beseitigte und Hagrid jedem, der es hören wollte, Entschuldigungen zurief, kehrte Harry rasch zum Eingang zurück und sah Ron einem höchst exzentrisch wirkenden Zauberer gegenüberstehen. Er schielte leicht, hatte schulterlanges weißes Haar wie aus Zuckerwatte, trug eine Mütze, deren Quaste vor seiner Nase baumelte, und einen Umhang in einem Dottergelb, das einem die Tränen in die Augen trieb. An einer Goldkette um seinen Hals glitzerte ein merkwürdiges Symbol, etwas wie ein dreieckiges Auge. »Xenophilius Lovegood«, sagte er und streckte Harry die Hand entgegen, »meine Tochter und ich leben gleich hinter dem Hügel, sehr nett von den guten Weasleys, uns einzuladen. Aber ich glaube, Sie kennen meine Luna?«, fügte er an Ron gewandt hinzu. »Ja«, sagte Ron. »Ist sie nicht mitgekommen?« »Sie verweilt in diesem reizenden kleinen Garten, um den Gnomen guten Tag zu sagen, was für eine herrliche Heimsuchung! Nur wenige Zauberer erkennen, wie viel wir im Grunde von den weisen kleinen Gnomen lernen können – oder, um sie bei ihrem richtigen Namen zu nennen, den »Unsere kennen eine Menge fabelhafter Schimpfwörter«, sagte Ron, »aber die haben wohl Fred und George ihnen beigebracht.« Er führte eine Gruppe von Hexern in das Zelt, als Luna herbeigeeilt kam. »Hallo, Harry!«, sagte sie. »Ähm – mein Name ist Barny«, sagte Harry fassungslos. »Oh, den hast du auch geändert?«, fragte sie munter. »Woher wusstest du -?« »Oh, allein dein Gesichtsausdruck«, sagte sie. Luna trug wie ihr Vater einen leuchtend gelben Umhang und hatte als passenden Schmuck eine große Sonnenblume im Haar. Wenn man sich einmal an die Helligkeit des Ganzen gewöhnt hatte, war der Gesamteindruck recht angenehm. Wenigstens baumelten keine Radieschen von ihren Ohren. Xenophilius war ins Gespräch mit einem Bekannten vertieft und hatte den Wortwechsel zwischen Luna und Harry nicht mitbekommen. Er verabschiedete sich von dem Zauberer und wandte sich seiner Tochter zu, die einen Finger hochhielt und sagte: »Daddy, schau mal – einer von den Gnomen hat mich doch tatsächlich gebissen!« »Wie wunderbar! Gnomenspeichel ist enorm förderlich!«, sagte Mr Lovegood, ergriff Lunas ausgestreckten Finger und untersuchte die blutenden Bisslöcher. »Luna, meine Liebe, falls du heute irgendein aufkeimendes Talent verspüren solltest – vielleicht das unerwartete Bedürfnis, eine Arie zu singen oder etwas auf Meerisch zu rezitieren –, unterdrücke es nicht! Es könnte ein Geschenk der Ron, der gerade aus der anderen Richtung an ihnen vorbeikam, lachte schnaubend auf. »Ron soll nur lachen«, sagte Luna gelassen, während Harry sie und Xenophilius zu ihren Plätzen führte, »aber mein Vater hat viel über die Magie der »Tatsächlich?«, sagte Harry, der schon vor langem beschlossen hatte, die eigentümlichen Ansichten von Luna oder ihrem Vater nicht in Frage zu stellen. »Aber bist du sicher, dass du nichts auf diesen Biss tun willst?« »Oh, ist schon gut«, sagte Luna, lutschte träumerisch an ihrem Finger und musterte Harry von Kopf bis Fuß. »Du siehst schick aus. Ich hab Daddy gesagt, dass die meisten Leute wahrscheinlich in Festumhängen kommen würden, aber er glaubt, dass man bei einer Hochzeit Sonnenfarben tragen sollte, das bringt Glück, weißt du?« Als sie hinter ihrem Vater her entschwebte, tauchte Ron mit einer älteren Hexe am Arm auf. Mit ihrem Zinken von einer Nase, den rot geränderten Augen und dem federbesetzten rosa Hut sah sie aus wie ein angriffslustiger Flamingo. »... und dein Haar ist viel zu lang, Ronald, einen Moment dachte ich, du wärst Ginevra. Beim Barte des Merlin, was trägt denn Xenophilius Lovegood? Er sieht aus wie ein Omelett. Und wer bist du?«, blaffte sie Harry an. »Ach ja, Tantchen Muriel, das ist unser Cousin Barny.« »Noch ein Weasley? Ihr vermehrt euch ja wie die Gnomen. Ist Harry Potter nicht hier? Ich hatte gehofft, ihn zu treffen. Ich dachte, er wäre ein Freund von dir, Ronald, oder hast du nur angegeben?« »Nein – er konnte nicht kommen -« »Hmm. Hat sich eine Ausrede einfallen lassen, stimmt's? Ist wohl gar nicht so doof, wie er auf den Pressefotos aussieht. Ich hab gerade der Braut gezeigt, wie sie mein Diadem am besten trägt«, rief sie Harry zu. »Von Kobolden gefertigt, musst du wissen, und seit Jahrhunderten in meiner Familie. Sie ist ein gut aussehendes Mädchen, aber trotzdem – Also dann, gib mir einen guten Platz, Ronald, ich bin hundertsieben und sollte nicht zu lange stehen.« Ron warf Harry im Vorbeigehen einen bedeutungsvollen Blick zu und blieb eine ganze Zeit lang verschwunden: Als sie sich wieder am Eingang trafen, hatte Harry schon ein Dutzend weitere Gäste zu ihren Plätzen geführt. Das Zelt war jetzt fast voll und zum ersten Mal stand draußen niemand Schlange. »Ein Alptraum, diese Muriel«, sagte Ron und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Früher ist sie jedes Jahr an Weihnachten gekommen, aber dann war sie Gott sei Dank beleidigt, weil Fred und George beim Abendessen eine Stinkbombe unter ihrem Stuhl hochgehen ließen. Dad sagt immer, dass sie die beiden enterbt hat – als ob die das kümmern würde, die sind am Ende reicher als sonst jemand in der Familie, so wie's bei denen gerade läuft... wow«, fügte er hinzu und blinzelte ziemlich schnell, als Hermine auf sie zugeeilt kam. »Du siehst großartig aus!« »Immer dieser überraschte Unterton«, sagte Hermine, lächelte aber. Sie trug ein luftiges, lilafarbenes Kleid mit dazu passenden Stöckelschuhen; ihr Haar war glatt und glänzte. »Deine Großtante Muriel findet das nicht, ich hab sie gerade oben getroffen, als sie Fleur das Diadem gab. Sie meinte: gt;Oje, ist das die Muggelstämmige?lt; und dann: gt;Schlechte Haltung und magere Fesseln.lt;« »Nimm's nicht persönlich, sie ist zu allen unverschämt«, sagte Ron. »Redet ihr über Muriel?«, wollte George wissen, der gerade wieder mit Fred aus dem Zelt kam. »Tja, sie hat eben zu mir gesagt, dass meine Ohren nicht zueinander passen. Alte Schreckschraube. Wenn doch nur Onkel Bilius noch unter uns wäre; der war bei Hochzeiten immer der Brüller.« »War das nicht der, der einen Grimm gesehen hat und vierundzwanzig Stunden später starb?«, fragte Hermine. »Nun ja, am Ende wurde er dann ein bisschen merkwürdig«, gab George zu. »Aber bevor er meschugge wurde, brachte er Schwung in jede Party«, sagte Fred. »Er kippte immer eine ganze Flasche Feuerwhisky, rannte dann auf die Tanzfläche, raffte seinen Umhang und fing an, sich Blumen aus dem -« »Klingt ja nach einem richtigen Charmeur«, sagte Hermine, während Harry vor Lachen brüllte. »Er hat nie geheiratet, warum auch immer«, sagte Ron. »Das überrascht mich jetzt«, erwiderte Hermine. Sie lachten alle so heftig, dass keiner von ihnen den späten Gast bemerkte, einen dunkelhaarigen jungen Mann mit einer langen krummen Nase und dichten schwarzen Augenbrauen, bis er Ron seine Einladung hinstreckte und mit Blick auf Hermine sagte: »Du siehst wunderbar aus.« »Viktor!«, kreischte sie und ließ ihre kleine perlenverzierte Handtasche fallen, die mit einem lauten, dumpfen Schlag aufprallte, der gar nicht zu ihrer Größe passte. Hermine bückte sich errötend, um sie aufzuheben, und sagte: »Ich wusste nicht, dass du – Himmel – schön, dich zu – wie geht es dir?« Rons Ohren waren wieder leuchtend rot geworden. Nachdem er kurz auf Krums Einladung geschaut hatte, so als würde er kein Wort davon glauben, sagte er viel zu laut: »Wie kommst du denn hierher?« »Flor hat mich eingeladen«, antwortete Krum mit hochgezogenen Brauen. Harry, der keinen Groll gegen Krum hegte, schüttelte ihm die Hand; da er spürte, dass es am klügsten wäre, Krum aus Rons Umgebung zu entfernen, bot er dann an, ihm seinen Platz zu zeigen. »Deine Freund ist nicht froh, mich zu sehen«, sagte Krum, als sie das nun brechend volle Zelt betraten. »Oder ist er ein Verwandter?«, fügte er mit einem kurzen Blick auf Harrys rote Locken hinzu. »Cousin«, murmelte Harry, aber Krum hörte nicht richtig hin. Sein Erscheinen verursachte Aufruhr, besonders unter den Veela-Cousinen: Er war immerhin ein berühmter Quidditch-Spieler. Während manche sich nach wie vor die Hälse verrenkten, um ihn besser sehen zu können, eilten Ron, Hermine, Fred und George den Gang zwischen den Stühlen entlang. »Höchste Zeit, dass wir uns setzen«, sagte Fred zu Harry, »sonst werden wir noch von der Braut umgerannt.« Harry, Ron und Hermine nahmen ihre Plätze in der zweiten Reihe hinter Fred und George ein. Hermine war ziemlich rosa im Gesicht und Rons Ohren waren immer noch scharlachrot. Ein wenig später murmelte er Harry zu: »Hast du gesehen, er hat sich einen bescheuerten kleinen Bart wachsen lassen!« Harry antwortete mit einem unverbindlichen Grunzen. In dem warmen Zelt waren inzwischen alle in gespannter Erwartung, gelegentlich unterbrach kurzes aufgeregtes Gelächter das allgemeine Gemurmel. Mr und Mrs Weasley spazierten den Mittelgang entlang und winkten lächelnd ihren Verwandten zu; Mrs Weasley trug einen brandneuen amethystfarbenen Festumhang mit einem dazu passenden Hut. Einen Moment später erhoben sich Bill und Charlie vorne im Zelt, beide in Festgewändern, mit großen weißen Rosen in ihren Knopflöchern; Fred stieß einen bewundernden Pfiff aus und die Veela-Cousinen fingen an zu kichern. Dann schwoll Musik an, und es war, als würde sie von den goldenen Ballons herrühren, und die Menge verstummte. »Ooooh!«, sagte Hermine, wirbelte auf ihrem Platz herum und blickte zum Eingang. Ein einziger lauter Seufzer entfuhr den versammelten Hexen und Zauberern, als Monsieur Delacour und Fleur den Mittelgang entlangkamen, Fleur glitt dahin, Monsieur Delacour hüpfte und strahlte. Fleur trug ein ganz schlichtes weißes Kleid und es schien ein kräftiges silbriges Leuchten von ihr auszugehen. Während ihr Glanz für gewöhnlich alle anderen im Umkreis verblassen ließ, machte er heute alle schöner, auf die er fiel. Ginny und Gabrielle, die beide goldene Kleider trugen, sahen sogar noch hübscher aus als sonst, und sobald Fleur Bill erreicht hatte, schien es, als wäre er niemals Fenrir Greyback begegnet. »Meine Damen und Herren«, sagte eine leicht leiernde Stimme, und Harry bemerkte mit einem leisen Schrecken, dass derselbe kleine Zauberer mit den büscheligen Haaren, der Dumbledores Begräbniszeremonie geleitet hatte, jetzt vor Bill und Fleur stand. »Wir sind heute hier versammelt, um die Verbindung zweier treuer Seelen festlich zu begehen ...« »Ja, mein Diadem bringt die ganze Sache doch hübsch zur Geltung«, flüsterte Tantchen Muriel recht deutlich vernehmbar. »Aber ich muss sagen, Ginevras Kleid ist viel zu tief ausgeschnitten.« Ginny spähte nach hinten, grinste, zwinkerte Harry zu und wandte sich dann rasch wieder nach vorn. Harrys Gedanken schweiften weit weg von dem Zelt, zu den Nachmittagen zurück, die er mit Ginny allein an lauschigen Plätzen des Schulgeländes verbracht hatte. Sie schienen so weit zurückzuliegen; sie waren ihm immer zu schön vorgekommen, um wahr zu sein, als hätte er einem gewöhnlichen Menschen glanzvolle Stunden seines Lebens gestohlen, einem Menschen ohne Blitznarbe auf der Stirn ... »William Arthur, willst du Fleur Isabelle ...?« In der vorderen Reihe schluchzten Mrs Weasley und Madame Delacour leise in ihre Spitzentaschentücher. Trompetenartige Geräusche vom hinteren Teil des Zeltes verrieten allen, dass Hagrid eines von seinen tischtuchgroßen Taschentüchern hervorgeholt hatte. Hermine drehte sich zur Seite und strahlte Harry an; auch ihre Augen waren voller Tränen. »... dann seid ihr hiermit im Leben vereint.« Der Zauberer mit den büscheligen Haaren hob seinen Zauberstab hoch über die Köpfe von Bill und Fleur, und ein silberner Sternenschauer überrieselte sie und wand sich spiralförmig um ihre jetzt eng umschlungenen Gestalten. Fred und George klatschten als Erste los, und stürmischer Beifall folgte, während die goldenen Ballons über den Köpfen platzten: Paradiesvögel und goldene Glöckchen flogen und schwebten daraus hervor und stimmten zwitschernd und bimmelnd in den lauten Trubel ein. »Meine Damen und Herren!«, rief der Zauberer mit den büscheligen Haaren. »Würden Sie sich bitte erheben!« Alle erhoben sich, Tantchen Muriel hörbar murrend; er schwang seinen Zauberstab. Die Stühle, auf denen sie gesessen hatten, stiegen elegant in die Höhe, und die seitlichen Leinwände des Zeltes verschwanden, so dass sie nun unter einem Baldachin standen, der von goldenen Pfosten getragen wurde, mit einem herrlichen Blick über den sonnenbeschienenen Obstgarten und das umliegende Land. Gleich darauf verbreitete sich von der Zeltmitte her eine Lache aus flüssigem Gold und bildete eine schimmernde Tanzfläche; die schwebenden Stühle gruppierten sich um kleine, weiß gedeckte Tische, alles sank elegant wieder zu Boden, rund um die Tanzfläche herum, und die Band mit den goldenen Jacketts marschierte zu einem Podium. »Scharf«, sagte Ron beifällig, als nun von allen Seiten her die Kellner auftauchten, manche mit Silbertabletts voller Kürbissaft, Butterbier und Feuerwhisky, andere mit schwankenden Bergen von Törtchen und Sandwiches. »Wir sollten hingehen und ihnen Glück wünschen!«, sagte Hermine, die auf Zehenspitzen stand und zu der Stelle hinüberspähte, wo Bill und Fleur in einer Traube von Gratulanten verschwunden waren. »Dazu haben wir später noch Zeit«, erwiderte Ron achselzuckend, griff sich drei Butterbiere von einem vorbeischwebenden Tablett und gab eines Harry. »Hermine, los, schnappen wir uns einen Tisch ... nicht da! Möglichst weit weg von Muriel -« Ron führte sie über die leere Tanzfläche, wobei er immer wieder nach links und rechts sah: Harry war sicher, dass er nach Krum Ausschau hielt. Als sie die andere Seite des Zeltes erreicht hatten, waren die meisten Tische besetzt. Der leerste war der, an dem Luna allein saß. »Was dagegen, wenn wir uns zu dir setzen?«, fragte Ron. »Überhaupt nicht«, sagte sie erfreut. »Daddy ist gerade weggegangen, um Bill und Fleur unser Geschenk zu geben.« »Was ist es denn, ein Gutschein für Spulenwurzeln auf Lebenszeit?«, fragte Ron. Hermine trat unter dem Tisch nach ihm, erwischte aber stattdessen Harry. Der Schmerz trieb Harry Tränen in die Augen, so dass er kurz der Unterhaltung nicht folgen konnte. Die Band hatte zu spielen begonnen. Bill und Fleur betraten unter großem Beifall als Erste die Tanzfläche; wenig später führte Mr Weasley Madame Delacour zum Tanz, ihnen folgten Mrs Weasley und Fleurs Vater. »Ich mag dieses Lied«, sagte Luna und wiegte sich im Takt der walzerartigen Melodie, und nach ein paar Sekunden stand sie auf und schwebte auf die Tanzfläche, wo sie sich auf der Stelle drehte, ganz allein, mit geschlossenen Augen und schwingenden Armen. »Sie ist großartig, nicht?«, sagte Ron bewundernd. »Echt 'ne Nummer.« Doch mit einem Schlag verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht: Viktor Krum hatte sich auf Lunas leeren Stuhl fallen lassen. Hermine schien auf angenehme Weise verwirrt, doch diesmal war Krum nicht gekommen, um ihr Komplimente zu machen. Mit finsterer Miene sagte er: »Wer ist diese Mann in dem Gelb?« »Das ist Xenophilius Lovegood, er ist der Vater einer Freundin von uns«, sagte Ron. Sein bissiger Ton gab zu verstehen, dass sie nicht über Xenophilius lachen würden, obwohl er deutlich provozierend wirkte. »Komm tanzen«, fügte Ron abrupt an Hermine gewandt hinzu. Sie sah überrascht aus, aber auch erfreut, und erhob sich: Gemeinsam verschwanden sie in dem wachsenden Gedränge auf der Tanzfläche. »Ah, die sind jetzt zusammen?«, fragte Krum, kurz abgelenkt. »Ähm – irgendwie schon«, sagte Harry. »Wer bist du?«, fragte Krum. »Barny Weasley.« Sie schüttelten sich die Hände. »Du, Barny – kennst du diese Lovegood-Mann gutt?« »Nein, ich sehe ihn heute zum ersten Mal. Warum?« Krum blickte düster über seinen Drink hinweg und beobachtete Xenophilius, der auf der anderen Seite der Tanzfläche mit mehreren Hexern plauderte. »Weil«, sagte Krum, »wenn er nicht eine Gast von Flör wäre, dann würde ich ihn duellieren, auf der Stelle, dafür, dass er diese dreckige Zeichen auf der Brust trägt.« »Zeichen?«, sagte Harry und sah nun auch zu Xenophilius hinüber. Das seltsame dreieckige Auge schimmerte auf seiner Brust. »Warum? Was stimmt damit nicht?« »Grindelwald. Das ist Zeichen von Grindelwald.« »Grindelwald ... der schwarze Magier, den Dumbledore besiegt hat?« »Genau.« Krums Kiefermuskeln arbeiteten, als würden sie etwas zermalmen, dann sagte er: »Grindelwald hat viele Menschen umgebracht, meine Großvater zum Beispiel. Natürlich war er nie mächtig in diese Land, es heißt, er fürchtete Dumbledore -und zu Recht, wenn man bedenkt, wie er erledigt wurde. Aber das -« Er deutete mit dem Finger auf Xenophilius. »Das ist sein Symbol, ich habe es sofort erkannt: Grindelwald hat es in eine Wand von Durmstrang gemeißelt, als er dort Schüler war. Ein paar Trottel haben es in ihre Bücher und auf ihre Kleider kopiert, sie wollten schockieren, sich wichtig machen – bis die von uns, denen Grindelwald Familienmitglieder genommen hat, sie eines Besseren belehrten.« Krum knackte drohend mit den Knöcheln und schaute finster zu Xenophilius hinüber. Harry war verblüfft. Es kam ihm höchst unwahrscheinlich vor, dass Lunas Vater ein Anhänger der dunklen Künste sein sollte, und offenbar hatte niemand sonst im Zelt die dreieckige, runenartige Form wiedererkannt. »Bist du – ähm – ganz sicher, dass es Grindelwalds -?« »Ich irre mich nicht«, sagte Krum kühl. »Ich bin mehrere Jahre lang an diese Zeichen vorbeigegangen, ich kenne es gutt.« »Nun ja, es wäre möglich«, sagte Harry, »dass Xenophilius gar nicht wirklich weiß, was das Symbol bedeutet. Die Lovegoods sind ziemlich ... ungewöhnlich. Er könnte einfach irgendwo darauf gestoßen sein und glauben, dass es der Querschnitt vom Kopf eines Schrumpfhörnigen Schnarchkacklers oder irgend so was ist.« »Der Querschnitt von was?« »Also, ich weiß auch nicht, was das ist, aber anscheinend geht er mit seiner Tochter in den Ferien nach ihnen suchen ...« Harry hatte das Gefühl, dass er nicht gerade besonders gut erklärte, was es mit Luna und ihrem Vater auf sich hatte. »Das ist sie«, sagte er und zeigte auf Luna, die immer noch allein tanzte und dabei mit den Armen um den Kopf wedelte wie jemand, der versucht Stechmücken abzuwehren. »Warum tutt sie das?«, fragte Krum. »Wahrscheinlich, um einen Schlickschlupf loszuwerden«, sagte Harry, der die Symptome erkannte. Krum schien sich nicht im Klaren, ob ihn Harry veralbern wollte oder nicht. Er zog seinen Zauberstab aus dem Umhang und klopfte damit drohend auf seinen Oberschenkel; Funken stoben aus der Spitze des Stabs. »Gregorowitsch!«, sagte Harry laut, und Krum zuckte zusammen, doch Harry war zu erregt, als dass es ihn gekümmert hätte. Beim Anblick von Krums Zauberstab hatte er sich wieder erinnert: Ollivander hatte ihn vor dem Trimagischen Turnier an sich genommen und sorgfältig geprüft. »Was ist mit dem?«, fragte Krum argwöhnisch. »Er ist ein Zauberstabmacher!« »Das weiß ich«, sagte Krum. »Er hat deinen Zauberstab gemacht! Deshalb dachte ich – Quidditch ...« Krum blickte immer argwöhnischer. »Woher weißt du, dass Gregorowitsch meine Zauberstab gemacht hat?« »Ich ... ich hab es irgendwo gelesen, glaub ich«, sagte Harry. »In einem – einem Fan-Magazin«, fabulierte er wild und Krum schien besänftigt. »Ich wusste nicht, dass ich jemals mit Fans über meine Zauberstab gesprochen habe«, sagte er. »Also ... ähm ... wo steckt eigentlich Gregorowitsch zurzeit?« Krum sah verwirrt aus. »Er hat sich vor einigen Jahren zur Ruhe gesetzt. Ich war einer der Letzten, die eine Zauberstab von Gregorowitsch gekauft haben. Es sind die besten – obwohl ich natürlich weiß, dass ihr Briten viel von Ollivander haltet.« Harry antwortete nicht. Er tat so, als würde er wie Krum den Tanzenden zusehen, doch er dachte scharf nach. Voldemort suchte also nach einem berühmten Zauberstabmacher, und Harry musste sich nicht lange den Kopf zerbrechen, warum: Der Grund dafür war sicher das, was Harrys Zauberstab in jener Nacht getan hatte, als Voldemort ihn quer über den Himmel gejagt hatte. Der Zauberstab aus Stechpalme und Phönixfeder hatte den geborgten Zauberstab besiegt, was Ollivander weder vorausgesehen noch verstanden hatte. Würde es Gregorowitsch besser wissen? War er tatsächlich fähiger als Ollivander, kannte er Geheimnisse von Zauberstäben, die Ollivander nicht kannte? »Dieses Mädchen sieht sehr gutt aus«, sagte Krum und holte Harry damit zurück in die Wirklichkeit. Krum deutete auf Ginny, die sich eben Luna angeschlossen hatte. »Sie ist auch eine Verwandte von dir? « »Jaah«, sagte Harry, plötzlich gereizt, »und sie hat einen Freund. Eifersüchtiger Typ. Riesenkerl. Dem kommst du besser nicht in die Quere.« Kram grunzte. »Wozu«, sagte er, leerte seinen Kelch und stand auf, »wozu ist man eigentlich internationaler Quidditch-Spieler, wenn alle gutt aussehende Mädchen schon vergeben sind?« Und er schritt von dannen, während Harry sich bei einem vorbeikommenden Kellner ein Sandwich nahm und am Rand der überfüllten Tanzfläche entlangging. Er hielt Ausschau nach Ron, dem er von Gregorowitsch erzählen wollte, aber Ron tanzte mit Hermine weit entfernt in der Mitte der Tanzfläche. Harry lehnte sich an einen der goldenen Pfosten und beobachtete Ginny, die jetzt mit Freds und Georges Freund Lee Jordan tanzte, und er versuchte sich nicht über das Versprechen zu ärgern, das er Ron gegeben hatte. Er war noch nie auf einer Hochzeit gewesen und konnte deshalb nicht beurteilen, wie ein Fest von Zauberern und Hexen sich von einem bei den Muggeln unterschied, obwohl er ziemlich sicher war, dass es bei den Muggeln keine Hochzeitstorte mit zwei nachgebildeten Phönixen darauf gab, die losflogen, wenn die Torte angeschnitten wurde, und auch keine Champagnerflaschen, die von allein durch die Menge schwebten. Als der Abend anbrach und erste Nachtfalter unter den Baldachin flatterten, den jetzt schwebende goldene Laternen beleuchteten, wurde der Trubel immer ausgelassener. Fred und George waren längst mit zwei von Fleurs Cousinen in die Dunkelheit verschwunden; Charlie, Hagrid und ein untersetzter Zauberer mit einem purpurroten Filzhut sangen in einer Ecke »Odo der Held«. Harry streifte durch die Menge, um einem betrunkenen Onkel von Ron zu entkommen, der unsicher schien, ob Harry sein Sohn war oder nicht, als er einen alten Zauberer bemerkte, der allein an einem Tisch saß. Mit seiner weißen Haarwolke, die ein mottenzerfressener Fes bedeckte, sah er eher aus wie eine nicht mehr ganz frische Pusteblume. Harry kannte ihn von irgendwoher: Er zermarterte sich das Hirn, bis ihm plötzlich einfiel, dass es Elphias Doge war, Mitglied des Phönixordens und Autor von Dumbledores Nachruf. Harry ging auf ihn zu. »Darf ich mich setzen?« »Natürlich, natürlich«, sagte Doge; er hatte eine ziemlich hohe, keuchende Stimme. Harry beugte sich zu ihm hin. »Mr Doge, ich bin Harry Potter.« Doge hielt den Atem an. »Mein lieber Junge! Arthur hat mir erzählt, dass du hier bist, getarnt ... ich bin entzückt, was für eine Ehre!« Freudig erregt schenkte Doge Harry hektisch einen Kelch Champagner ein. »Ich wollte dir eigentlich schreiben«, flüsterte er, »nachdem Dumbledore ... der Schock ... und für dich, da bin ich sicher ...« Doges kleine Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Ich habe den Nachruf gelesen, den Sie für den »Nicht besser als jeder andere«, sagte Doge und tupfte sich mit einer Serviette die Augen. »Ich kannte ihn zweifellos am längsten, wenn man Aberforth nicht mit einrechnet – und irgendwie scheinen die Leute Aberforth »Wo wir gerade beim »Oh, bitte, nenn mich Elphias, guter Junge.« »Elphias, ich weiß nicht, ob Sie das Interview gesehen haben, das Rita Kimmkorn über Dumbledore gegeben hat?« Zornesröte trat in Doges Gesicht. »O ja, Harry, das habe ich. Diese Frau, oder besser gesagt dieser Aasgeier, hat mich wahrhaft bis aufs Blut gequält, damit ich mit ihr rede. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich recht unhöflich wurde und sie eine vorlaute Forelle nannte, was, wie du vermutlich bemerkt hast, zu Verunglimpfungen meines Geisteszustands führte.« »Nun«, fuhr Harry fort, »in diesem Interview deutet Rita Kimmkorn an, dass Professor Dumbledore in seiner Jugend mit den dunklen Künsten zu tun hatte.« »Glaub kein Wort davon!«, sagte Doge sogleich. »Kein Wort, Harry! Lass es nicht zu, dass irgendetwas deine Erinnerungen an Albus Dumbledore trübt!« Harry blickte in Doges ernstes, gequältes Gesicht und fühlte sich nicht beruhigt, sondern enttäuscht. Glaubte Doge wirklich, dass es so leicht war, dass Harry sich einfach Vielleicht ahnte Doge, was in Harry vorging, denn er blickte besorgt und fuhr hastig fort: »Harry, Rita Kimmkorn ist eine schreckliche -« Doch er wurde von einem schrillen Gegacker unterbrochen. »Rita Kimmkorn? Oh, ich liebe sie, ich lese alles von ihr!« Harry und Doge blickten auf und sahen Tantchen Muriel vor sich stehen, mit wippenden Hutfedern und einem Champagnerkelch in der Hand. »Sie hat ein Buch über Dumbledore geschrieben, wisst ihr!« »Hallo, Muriel«, sagte Doge. »Ja, wir haben uns gerade darüber -« »He, du! Gib mir deinen Stuhl, ich bin hundertsieben!« Ein weiterer rothaariger Weasley-Cousin sprang alarmiert auf, und Tantchen Muriel schwang seinen Stuhl überraschend kraftvoll herum und ließ sich zwischen Doge und Harry darauf niederplumpsen. »Da bist du ja wieder, Barry, oder wie immer du heißt«, sagte sie zu Harry. »Nun, was wolltest du über Rita Kimmkorn sagen, Elphias? Du weißt, dass sie eine Biographie von Dumbledore geschrieben hat? Ich kann es kaum erwarten, sie zu lesen, ich darf nicht vergessen, sie bei Doge machte bei diesen Worten eine starre und ernste Miene, aber Tantchen Muriel leerte ihren Kelch, schnipste mit ihren knochigen Fingern nach einem vorbeigehenden Kellner und ließ sich einen neuen geben. Sie nahm einen neuerlichen großen Schluck Champagner, rülpste und sagte dann: »Ihr braucht nicht wie ein Paar ausgestopfter Frösche zu gucken! Bevor Albus so respektiert und respektabel wurde und all der Quark, gab es einige enorm komische Gerüchte über ihn!« »Haltlose und hinterhältige Gerüchte«, sagte Doge und lief wieder radieschenrot an. »War klar, dass du das sagst, Elphias«, gackerte Tantchen Muriel. »Mir ist nicht entgangen, wie du in deinem Nachruf die tückischen Stellen umkurvt hast!« »Ich bedaure, dass du so denkst«, sagte Doge noch kühler. »Ich versichere dir, dass ich aufrichtig geschrieben habe.« »Oh, wir wissen alle, dass du Dumbledore vergöttert hast; ich vermute, dass du ihn sogar dann noch für einen Heiligen halten wirst, wenn sich tatsächlich herausstellt, dass er seine Schwester, diese Squib, um die Ecke gebracht hat!« Ein Kältegefühl, das nichts mit dem eisgekühlten Champagner zu tun hatte, stahl sich in Harrys Brust. »Was soll das heißen?«, fragte er Muriel. »Wer hat behauptet, dass seine Schwester eine Squib war? Ich dachte, sie war krank?« »Da lagst du allerdings falsch, Barry!«, sagte Tantchen Muriel, offenbar entzückt über die Wirkung, die sie erzielt hatte. »Und überhaupt, wie konntest du glauben, dass du irgendetwas darüber weißt? Das alles geschah, viele, viele Jahre bevor man überhaupt an dich dachte, mein Lieber, und Tatsache ist, dass die von uns, die damals schon lebten, nie erfuhren, was wirklich geschah. Darum kann ich es kaum erwarten, herauszufinden, was Kimmkorn ausgegraben hat! Dumbledore hat diese Schwester von ihm lange Zeit geheim gehalten!« »Falsch!«, stieß Doge keuchend hervor. »Vollkommen falsch!« »Er hat mir nie erzählt, dass seine Schwester eine Squib war«, sagte Harry, ohne nachzudenken, und nach wie vor war ihm kalt ums Herz. »Und warum, zum Henker, sollte er es dir erzählen?«, kreischte Muriel und schwankte ein wenig auf ihrem Stuhl, als sie versuchte Harry scharf zu fixieren. »Der Grund, weshalb Albus nie über Ariana sprach«, begann Elphias und seine Stimme war steif vor Ergriffenheit, »ist, wie ich meinen würde, ganz offensichtlich. Ihr Tod hat ihn so erschüttert -« »Warum hat niemand sie je gesehen, Elphias?«, keifte Muriel. »Warum hat die halbe Welt nicht mal gewusst, dass es sie gab, bis man den Sarg aus dem Haus trug und ihr ein Begräbnis bereitete? Wo war der heilige Albus, während Ariana im Keller eingesperrt war? Auf und davon in Hogwarts, um dort zu brillieren, ganz gleich was in seinem eigenen Haus vor sich ging!« »Was soll das heißen: gt;im Keller eingesperrtlt;?«, fragte Harry. »Was hat das zu bedeuten?« Doge sah deprimiert aus. Tantchen Muriel gackerte erneut und antwortete Harry. »Dumbledores Mutter war eine schreckliche Frau, einfach schrecklich. Muggelstämmig, obwohl ich gehört habe, dass sie das Gegenteil vortäuschte -« »Sie hat nie etwas Derartiges vorgetäuscht! Kendra war eine großartige Frau«, flüsterte Doge kläglich, aber Tantchen Muriel ignorierte ihn. »- stolz und sehr herrisch, die Sorte Hexe, die es wohl als tödliche Schande empfand, eine Squib zu gebären -« »Ariana war keine Squib!«, keuchte Doge. »Das behauptest du, Elphias, aber dann erklär mal, warum sie nie nach Hogwarts gegangen ist!«, sagte Tantchen Muriel. Sie wandte sich wieder an Harry. »Zu unserer Zeit wurde die Existenz von Squibs oft vertuscht. Es allerdings so weit zu treiben, dass man tatsächlich ein kleines Mädchen im Haus gefangen hält und so tut, als würde es nicht existieren -« »Ich versichere dir, das ist nicht geschehen!«, sagte Doge, aber Tantchen Muriel rollte wie eine Dampfwalze weiter, wobei sie immer noch an Harry gewandt sprach. »Squibs hat man normalerweise in Muggelschulen verfrachtet und ermuntert, sich in die Gesellschaft der Muggel einzugliedern ... viel netter, als wenn man versucht hätte, einen Platz in der Zaubererwelt für sie zu finden, wo sie immer zweitklassig sein müssen; aber natürlich hätte Kendra Dumbledore nicht im Traum daran gedacht, ihre Tochter auf eine Muggelschule gehen zu lassen -« »Ariana war von zarter Natur!«, sagte Doge verzweifelt. »Es ging ihr gesundheitlich immer zu schlecht, als dass man ihr hätte erlauben können - « »Erlauben können, das Haus zu verlassen?«, gackerte Muriel. »Und trotzdem wurde sie nie ins St. Mungo gebracht und kein Heiler wurde jemals zu ihr gerufen!« »Ich muss schon sagen, Muriel, du kannst doch unmöglich wissen, ob -« »Nur zu deiner Information, Elphias, mein Cousin Lancelot war zu dieser Zeit Heiler im St. Mungo, und er hat meiner Familie höchst vertraulich gesagt, dass man Ariana nie dort gesehen hat. Alles äußerst verdächtig, meinte Lancelot!« Doge wirkte den Tränen nahe. Tantchen Muriel, die sich prächtig zu amüsieren schien, schnalzte mit den Fingern nach mehr Champagner. Benommen dachte Harry daran, wie die Dursleys ihn einst eingesperrt hatten, ihn weggeschlossen, vor den anderen verborgen hatten, alles für das Verbrechen, ein Zauberer zu sein. Hatte Dumbledores Schwester das gleiche Schicksal erlitten, nur umgekehrt: eingesperrt, weil sie keine magischen Kräfte besaß? Und hatte Dumbledore sie wirklich ihrem Schicksal überlassen, während er nach Hogwarts ging, um zu beweisen, wie brillant und talentiert er war? »Nun, wenn Kendra nicht als Erste gestorben wäre«, begann Muriel von neuem, »dann hätte ich gesagt, dass sie es war, die Ariana erledigt hat -« »Wie kannst du nur, Muriel?«, stöhnte Doge. »Eine Mutter, die ihre eigene Tochter umbringt? Bedenke, was du da sagst!« »Wenn die fragliche Mutter dazu fähig war, ihre Tochter jahrelang ununterbrochen einzusperren, warum nicht?«, erwiderte Tantchen Muriel achselzuckend. »Aber wie gesagt, es passt ja nicht, weil Kendra vor Ariana gestorben ist – woran, wusste offenbar nie jemand genau -« »Oh, zweifellos hat Ariana sie ermordet«, sagte Doge in einem tapferen Versuch, Muriel zu verspotten. »Warum nicht?« »Ja, Ariana könnte verzweifelt versucht haben, sich zu befreien, und Kendra bei diesem Kampf getötet haben«, sagte Tantchen Muriel nachdenklich. »Da kannst du ruhig den Kopf schütteln, Elphias! Du warst bei Arianas Begräbnis dabei, nicht wahr?« »Ja, allerdings«, sagte Doge mit zitternden Lippen. »Und ich kann mich an kein erschütternderes und traurigeres Ereignis erinnern. Albus' Herz war gebrochen -« »Sein Herz war nicht das Einzige. Hat Aberforth ihm nicht mitten in der Trauerfeier die Nase gebrochen?« Wenn Doge zuvor entsetzt gewirkt hatte, dann war das nichts im Vergleich dazu, wie er jetzt aussah. Als ob Muriel ihm einen Messerstich verpasst hätte. Sie gackerte laut und nahm noch einen kräftigen Schluck Champagner, der ihr das Kinn hinabrann. »Wie kannst du -?«, krächzte Doge. »Meine Mutter war mit der alten Bathilda Bagshot befreundet«, sagte Tantchen Muriel heiter. »Bathilda hat Mutter die ganze Sache geschildert, während ich an der Tür lauschte. Eine Prügelei am offenen Grab! So wie Bathilda es erzählte, hat Aberforth geschrien, dass Albus allein die Schuld an Arianas Tod trage, und ihm dann ins Gesicht geschlagen. Laut Bathilda verteidigte Albus sich nicht einmal, und das ist an sich schon merkwürdig genug, Albus hätte Aberforth in einem Duell mit auf den Rücken gebundenen Händen vernichten können.« Muriel kippte noch mehr Champagner hinunter. Diese alten Skandale aufzuwärmen beschwingte sie offenbar so sehr, wie sie Doge mit Schrecken erfüllten. Harry wusste nicht, was er denken, was er glauben sollte: Er wollte die Wahrheit wissen, und doch tat Doge nichts weiter, als dazusitzen und leise zu wimmern, dass Ariana krank gewesen sei. Harry konnte kaum glauben, dass Dumbledore nicht eingegriffen hätte, wenn etwas so Grausames in seinem eigenen Haus passiert wäre, und doch war zweifellos etwas Sonderbares an der Geschichte. »Und ich werde euch noch etwas anderes erzählen«, sagte Muriel und setzte mit einem kleinen Hickser ihren Kelch ab. »Ich glaube, Bathilda hat Rita Kimmkorn gegenüber ausgepackt. All diese Andeutungen in Kimmkorns Interview über eine wichtige Quelle, die den Dumbledores nahestand – wer weiß, sie war während dieser ganzen Ariana-Geschichte dort, und es würde passen!« »Bathilda würde nie mit Rita Kimmkorn sprechen!«, flüsterte Doge. »Bathilda Bagshot?«., sagte Harry. »Die Autorin der Der Name stand auf einem von Harrys Schulbüchern, doch zugegebenermaßen gehörte es nicht zu denen, die er am aufmerksamsten gelesen hatte. »Ja«, sagte Doge und klammerte sich an Harrys Frage wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. »Eine höchst begabte magische Historikerin und eine alte Freundin von Albus.« »Heute ziemlich plemplem, hab ich gehört«, sagte Tantchen Muriel fröhlich. »Wenn das stimmt, dann ist es umso niederträchtiger von Kimmkorn, sie ausgenutzt zu haben«, sagte Doge, »und man kann nichts von dem, was Bathilda gesagt haben mag, für bare Münze nehmen!« »Oh, es gibt Methoden, Erinnerungen zurückzuholen, und ich bin sicher, dass Rita Kimmkorn sie alle kennt«, sagte Tantchen Muriel. »Aber selbst wenn Bathilda völlig bekloppt ist, hat sie bestimmt immer noch alte Fotos, vielleicht sogar Briefe. Sie kannte die Dumbledores schon seit vielen Jahren ... eine Reise nach Godric's Hollow war's durchaus wert, würde ich meinen.« Harry, der gerade an einem Butterbier genippt hatte, verschluckte sich. Doge schlug ihm auf den Rücken, während Harry hustete und mit tränenden Augen zu Tantchen Muriel sah. Als Harry seine Stimme wiederhatte, fragte er: »Bathilda Bagshot lebt in Godric's Hollow?« »O ja, schon seit einer Ewigkeit! Die Dumbledores sind dort hingezogen, nachdem Percival ins Gefängnis gekommen war, und sie war ihre Nachbarin.« »Die Dumbledores haben in Godric's Hollow gelebt?« »Ja, Barry, wie ich eben schon sagte«, entgegnete Tantchen Muriel unwirsch. Harry fühlte sich ausgepumpt, leer. Nicht ein einziges Mal, in sechs Jahren, hatte Dumbledore Harry erzählt, dass sie beide in Godric's Hollow gelebt und geliebte Menschen dort verloren hatten. Warum? Lagen Lily und James nahe bei Dumbledores Mutter und Schwester begraben? Hatte Dumbledore ihre Gräber besucht, war er dabei vielleicht an denen von Lily und James vorbeigegangen? Und er hatte es Harry nie erzählt ... es nie für erwähnenswert gehalten ... Und warum es so wichtig war, konnte Harry nicht erklären, nicht einmal sich selbst, doch er spürte, dass es einer Lüge gleichkam, ihm nicht zu sagen, dass sie diesen Ort und diese Erfahrungen miteinander gemein hatten. Er starrte vor sich hin, bemerkte kaum, was um ihn herum geschah, und nahm nicht wahr, dass Hermine aus dem Gedränge aufgetaucht war, bis sie einen Stuhl an seine Seite zog. »Ich kann einfach nicht mehr tanzen«, keuchte sie, streifte einen ihrer Schuhe ab und rieb sich die Fußsohle. »Ron ist mehr Butterbier holen gegangen. Es ist schon ein bisschen komisch, eben habe ich Viktor gesehen, wie er von Lunas Vater weggestürmt ist, es sah aus, als ob sie gestritten hätten -« Sie senkte die Stimme und starrte ihn an. »Harry, alles okay mit dir?« Harry wusste nicht, wo er anfangen sollte, aber es spielte keine Rolle. In diesem Moment fiel etwas Großes und Silbernes durch den Baldachin über der Tanzfläche. Graziös und schimmernd landete der Luchs leichtfüßig inmitten der verblüfften Tänzer. Köpfe wandten sich ihm zu, und die Gäste, die ihm am nächsten waren, erstarrten mitten im Tanz in grotesken Stellungen. Dann öffnete der Patronus weit das Maul und sprach mit der lauten, tiefen und langsamen Stimme von Kingsley Shacklebolt. |
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