"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Magie ist Macht

Der August zog sich hin, der ungepflegte Flecken Gras in der Mitte des Grimmauldplatzes verdorrte in der Sonne und wurde spröde und braun.

Niemand aus den benachbarten Häusern bekam die Bewohner von Nummer zwölf je zu Gesicht, auch das Haus selbst nicht. Die Muggel, die am Grimmauldplatz lebten, hatten sich schon seit langem mit dem komischen Fehler in der Nummerierung abgefunden, durch den Nummer elf neben Nummer dreizehn stand.

Und doch lockte der Platz nun kleine Besuchergruppen an, die diese Eigentümlichkeit offenbar höchst faszinierend fanden. Kaum ein Tag verging, ohne dass ein, zwei Leute zum Grimmauldplatz kamen, die dem Anschein nach nichts anderes im Sinn hatten, als sich an das Gitter gegenüber von Nummer elf und dreizehn zu lehnen und die Verbindungsstelle zwischen den beiden Häusern zu beobachten. Nie kam es vor, dass zwei Tage hintereinander dieselben Leute herumlungerten, doch hegten sie offenbar alle die gleiche Abneigung gegen normale Kleidung. Die meisten Londoner, die an ihnen vorbeigingen, waren an exzentrisch gekleidete Leute gewöhnt und nahmen kaum Notiz von ihnen, mochte auch der ein oder andere gelegentlich kurz zurückblicken und sich fragen, wie jemand in dieser Hitze so lange Umhänge tragen konnte.

Das Aufpassen schien für die Beobachter wenig befriedigend zu sein.

Manchmal schrak einer von ihnen auf und wollte erregt losstürmen, als ob er endlich etwas Interessantes erspäht hätte, lehnte sich dann aber nur mit enttäuschtem Gesicht wieder zurück.

Am ersten Septembertag lungerten noch mehr Leute als sonst auf dem Platz herum. Ein halbes Dutzend Männer in langen Umhängen standen stumm und aufmerksam da und starrten wie immer auf die Häuser Nummer elf und dreizehn, doch das, worauf sie warteten, schien nach wie vor nicht greifbar. Als der Abend anbrach und zum ersten Mal seit Wochen einen unerwarteten kalten Regenschauer mit sich brachte, trat wieder einer jener unerklärlichen Momente ein, in denen es so aussah, als hätten sie etwas Interessantes entdeckt. Der Mann mit dem verzerrten Gesicht deutete auf etwas, und der ihm am nächsten stehende Gefährte, ein dicklicher, bleicher Mann, wollte schon losstürmen, doch einen Augenblick später waren sie wieder entspannt und gaben sich mit frustrierten und enttäuschten Mienen erneut ihrem Nichtstun hin.

Unterdessen hatte Harry in Haus Nummer zwölf gerade die Eingangshalle betreten. Er hatte fast das Gleichgewicht verloren, als er auf die oberste Stufe direkt vor der Haustür appariert war, und dachte, dass die Todesser vielleicht einen Blick auf seinen kurz sichtbaren Ellbogen erhascht hatten. Er schloss die Tür sorgfältig hinter sich ab, zog den Tarnumhang aus, warf ihn sich über den Arm und eilte mit einem gestohlenen Tagespropheten in der Hand durch die düstere Halle auf die Tür zu, die in den Keller führte.

Wie üblich empfing ihn das leise geflüsterte »Severus Snape?«, der kalte Wind fegte über ihn hinweg, und seine Zunge rollte sich für einen Moment zusammen.

»Ich habe Sie nicht getötet«, sagte er, sobald sich seine Zunge wieder gelöst hatte, dann hielt er den Atem an, als die staubige Zaubergestalt zerbarst. Er wartete, bis er die Treppe zur Küche halb hinunter war, außer Hörweite von Mrs Black und weg von der Staubwolke, dann rief er: »Ich hab Neuigkeiten und die werden euch nicht gefallen.«

Die Küche war kaum wiederzuerkennen. Sämtliche Flächen blitzten: Kupfertöpfe und -pfannen waren poliert worden und hatten einen rosigen Glanz angenommen, die Platte des Holztisches funkelte, die Kelche und Teller, die schon zum Abendessen bereitstanden, glitzerten im Schein eines munter lodernden Feuers, auf dem ein Kessel köchelte. Doch nichts im Raum hatte sich so drastisch verändert wie der Hauself, der nun auf Harry zugeeilt kam; er war in ein schneeweißes Handtuch gekleidet, sein Ohrenhaar war sauber und flauschig wie Watte, und an seiner schmächtigen Brust baumelte das Medaillon von Regulus.

»Schuhe ausziehen, wenn ich bitten darf, Meister Harry, und Hände waschen vor dem Abendessen«, krächzte Kreacher, nahm den Tarnumhang und schlurfte davon, um ihn an einen Haken an der Wand zu hängen, neben eine Reihe altmodischer, frisch gewaschener Umhänge.

»Was ist passiert?«, fragte Ron besorgt. Er und Hermine hatten gerade über einem Haufen handgeschriebener Notizen und selbst gezeichneter Karten gebrütet, die an einem Ende des langen Küchentisches herumlagen, doch nun beobachteten sie Harry, der mit großen Schritten auf sie zukam und die Zeitung auf ihre verstreuten Pergamentblätter warf.

Das große Bild eines altbekannten, hakennasigen, schwarzhaarigen Mannes starrte zu ihnen herauf, und die Schlagzeile darüber lautete: SEVERUS SNAPE ALS SCHULLEITER

VON HOGWARTS BESTÄTIGT

»Nein!«, sagten Ron und Hermine laut.

Hermine war am schnellsten; sie schnappte sich die Zeitung und begann den dazugehörigen Bericht laut vorzulesen.

»Severus Snape, langjähriger Lehrer für Zaubertränke an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, wurde heute zum Schulleiter ernannt, als wichtigste einer ganzen Reihe von personellen Veränderungen an der altehrwürdigen Schule. Nach dem Rücktritt der früheren Muggelkundelehrerin wird Alecto Carrow den Posten übernehmen, während ihr Bruder Amycus die Stelle des Professors für Verteidigung gegen die dunklen Künste einnimmt.

gt;Dies ist eine willkommene Gelegenheit für mich, die großen Traditionen und Werte unserer Zaubererwelt hochzuhalten -lt; Zum Beispiel Leute umbringen und ihnen die Ohren abschneiden, vermute ich mal! Snape und Schulleiter! Snape in Dumbledores Büro – bei Merlins Unterhose!«, kreischte Hermine, dass Harry und Ron zusammenzuckten.

Sie sprang vom Tisch auf und wirbelte mit den Worten »Bin gleich wieder zurück!« aus der Küche.

»Bei Merlins Unterhose?«, wiederholte Ron amüsiert. »Sie muss wirklich wütend sein.« Er zog die Zeitung zu sich her und las den Artikel über Snape durch.

»Das machen die anderen Lehrer nicht mit. McGonagall und Flitwick und Sprout kennen alle die Wahrheit, sie wissen, wie Dumbledore starb.

Die werden Snape nicht als Schulleiter akzeptieren. Und wer sind diese Carrows?«

»Todesser«, sagte Harry. »Im Innenteil sind Bilder von ihnen. Sie waren oben auf dem Turm, als Snape Dumbledore getötet hat, damit sind alle Freunde vereint. Außerdem«, fuhr Harry verbittert fort und zog einen Stuhl heran, »sehe ich nicht, dass die übrigen Lehrer eine andere Wahl haben, als zu bleiben. Wenn das Ministerium und Voldemort hinter Snape stehen, wird es die Wahl sein, ob sie bleiben und unterrichten oder aber ein paar nette Jahre in Askaban verbringen wollen -und das nur, wenn sie Glück haben. Ich schätze, sie bleiben und versuchen die Schüler zu schützen.«

Kreacher eilte mit einer großen Terrine in den Händen zum Tisch und schöpfte Suppe in blitzsaubere Schalen, während er durch die Zähne pfiff.

»Danke, Kreacher«, sagte Harry und drehte den Tagespropheten um, damit er Snapes Gesicht nicht sehen musste. »Na, wenigstens wissen wir jetzt genau, wo Snape ist.«

Er begann seine Suppe zu löffeln. Die Kochkünste Kreachers hatten sich deutlich verbessert, seit ihm Regulus' Medaillon geschenkt worden war: Die heutige französische Zwiebelsuppe war die beste, die Harry je probiert hatte.

»Draußen sind immer noch eine Menge Todesser, die das Haus beobachten«, berichtete er Ron, während er aß, »mehr als sonst. Als ob die hoffen würden, dass wir mit unseren Schulkoffern rausmarschieren und zum Hogwarts-Express laufen.«

Ron blickte auf seine Uhr.

»Daran hab ich den ganzen Tag schon gedacht. Er ist vor fast sechs Stunden losgefahren. Komisches Gefühl, dass wir nicht drinsitzen, oder?«

Vor seinem geistigen Auge sah Harry die scharlachrote Dampflok, wie er und Ron sie einst in der Luft verfolgt hatten, schimmernd zwischen Feldern und Hügeln, eine scharlachrote, sich auf und ab wiegende Raupe.

Er war sicher, dass Ginny, Neville und Luna in diesem Moment beisammensaßen, und vielleicht fragten sie sich, wo er, Ron und Hermine steckten, oder sprachen darüber, wie sie Snapes neues Regime am besten untergraben konnten.

»Die haben mich gerade eben, als ich zurückkam, fast gesehen«, sagte Harry. »Ich bin schlecht auf der obersten Stufe gelandet und der Tarnumhang ist verrutscht.«

»Das passiert mir auch jedes Mal. Oh, da ist sie ja«, fügte Ron hinzu und drehte sich auf seinem Stuhl zu Hermine um, die wieder in die Küche kam. »Und was im Namen von Merlins schlabberndster Feinrippunterhose hatte das zu bedeuten?«

»Mir ist das hier eingefallen«, keuchte Hermine.

Sie hatte ein großes, gerahmtes Bild dabei, legte es auf den Boden und nahm ihre kleine, mit Perlen verzierte Handtasche von der Küchenanrichte.

Sie öffnete die Tasche und zwängte das Gemälde hinein, und obwohl es eindeutig zu groß war, um in die winzige Tasche zu passen, verschwand es innerhalb weniger Sekunden wie so vieles andere in ihren geräumigen Tiefen.

»Phineas Nigellus«, erklärte Hermine und warf die Tasche auf den Küchentisch, wo sie wie üblich mit klangvollem Scheppern und Krachen landete.

»Wie bitte?«, sagte Ron, aber Harry hatte begriffen. Das gemalte Abbild von Phineas Nigellus Black konnte hin- und herflitzen zwischen seinem Porträt am Grimmauldplatz und dem in Hogwarts, das im Büro des Schulleiters hing: in dem kreisrunden Turmzimmer, wo Snape zweifellos in diesem Moment saß und den Triumph genoss, dass Dumbledores Sammlung empfindlicher silberner magischer Instrumente nun ihm gehörte, das steinerne Denkarium, der Sprechende Hut und, sofern es nicht anderswohin gebracht worden war, das Schwert von Gryffindor.

»Snape könnte Phineas Nigellus losschicken, damit er für ihn in dieses Haus hineinsieht«, erklärte Hermine Ron, als sie ihren Platz wieder einnahm. »Aber das soll er mal ruhig versuchen, das Einzige, was Phineas Nigellus jetzt sehen kann, ist das Innere meiner Handtasche.«

»Gut mitgedacht!«, sagte Ron beeindruckt.

»Danke«, erwiderte Hermine lächelnd und zog ihre Suppe zu sich heran.

»Also, Harry, was gab es heute sonst noch Neues?«

»Nichts«, sagte Harry. »Ich hab den Eingang zum Ministerium sieben Stunden lang beobachtet. Keine Spur von ihr. Aber deinen Dad hab ich gesehen, Ron. Er schaut richtig gut aus.«

Ron nickte, dankbar für diese Nachricht. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass es viel zu gefährlich war, Kontakt mit Mr Weasley aufzunehmen, während er ins Ministerium ging oder dort herauskam, da er ständig von anderen Ministeriumsangestellten umgeben war. Dennoch war es beruhigend, ihn ab und an kurz zu sehen, auch wenn er äußerst angespannt und besorgt wirkte.

»Dad hat uns immer erzählt, dass die meisten Ministeriumsleute das Flohnetzwerk benutzen, um zur Arbeit zu kommen«, sagte Ron. »Deshalb haben wir Umbridge nicht gesehen, die würde nie zu Fuß gehen, die hält sich für zu wichtig.«

»Und was ist mit dieser komischen alten Hexe und diesem kleinen Zauberer in dem marineblauen Umhang?«, fragte Hermine.

»Ach ja, der Typ von der Zauberei-Zentralverwaltung«, sagte Ron.

»Woher weißt du, dass er für die Zentralverwaltung arbeitet?«, fragte Hermine, den Suppenlöffel auf halbem Weg zum Mund.

»Dad hat gesagt, dass die in der Zauberei-Zentralverwaltung alle marineblaue Umhänge tragen.«

»Aber das hast du uns nie erzählt!«

Hermine ließ den Löffel sinken und zog den Haufen Notizzettel und Karten zu sich herüber, die sie und Ron studiert hatten, als Harry in die Küche gekommen war.

»Hier steht nichts von marineblauen Umhängen drin, gar nichts!«, sagte sie und durchblätterte fieberhaft die Seiten.

»Na und, ist das wirklich so wichtig?«

»Ron, es ist alles wichtig! Wenn wir in das Ministerium reinwollen und dabei nicht auffliegen wollen, wo sie doch ganz bestimmt auf der Hut sind vor Eindringlingen, dann ist jedes kleine Detail wichtig! Wir haben das hundertmal durchgesprochen, ich meine, wozu all diese Erkundungstrips, wenn du es nicht mal für nötig hältst, uns zu erzählen -«

»Zum Teufel, Hermine, da hab ich mal 'ne Kleinigkeit vergessen -«

»Dir ist hoffentlich klar, dass es für uns im Moment keinen gefährlicheren Ort auf der Welt gibt als das Zauberei-«

»Ich glaube, wir sollten es morgen machen«, sagte Harry.

Hermine hielt abrupt inne, mit herabhängender Kinnlade; Ron verschluckte sich kurz an seiner Suppe.

»Morgen?«, wiederholte Hermine. »Das meinst du nicht im Ernst, Harry? «

»Doch«, sagte Harry. »Ich glaube nicht, dass wir viel besser vorbereitet wären als jetzt, auch wenn wir noch einen Monat um den Ministeriumseingang herumschleichen würden. Je länger wir es rausschieben, umso weiter weg könnte dieses Medaillon sein. Es ist jetzt schon ziemlich wahrscheinlich, dass Umbridge es weggeworfen hat; das Ding lässt sich ja nicht öffnen.«

»Es sei denn«, sagte Ron, »sie hat eine Möglichkeit gefunden, es aufzukriegen, und ist jetzt besessen.«

»Würde bei der keinen Unterschied machen, so böse, wie die immer schon war«, entgegnete Harry achselzuckend.

Hermine biss sich auf die Lippen, tief in Gedanken versunken.

»Wir wissen alles, was wichtig ist«, fuhr Harry an Hermine gewandt fort. »Wir wissen, dass man nicht mehr ins Ministerium rein- und wieder rausapparieren kann. Wir wissen, dass es jetzt nur noch den ranghöchsten Ministeriumsmitarbeitern gestattet ist, ihre Privathäuser an das Flohnetzwerk anzuschließen, weil Ron gehört hat, wie diese beiden Unsäglichen sich darüber beklagt haben. Und wir wissen ungefähr, wo Umbridges Büro ist, weil du gehört hast, was dieser bärtige Typ zu seinem Kollegen gesagt hat -«

»Ich bin dann oben im ersten Stock, Dolores will mich sprechen«, deklamierte Hermine sofort.

»Genau«, sagte Harry. »Und wir wissen, dass man mit diesen komischen Münzen oder Marken oder was auch immer reinkommt, weil ich gesehen habe, wie sich diese Hexe eine von ihrer Freundin geborgt hat -

«

»Aber wir haben keine!«

»Wenn der Plan funktioniert, dann kriegen wir welche«, fuhr Harry ruhig fort.

»Ich weiß nicht, Harry, ich weiß nicht... es gibt schrecklich viele Dinge, die schiefgehen könnten, es hängt eine Menge vom Glück ab ...«

»Daran wird sich nichts ändern, selbst wenn wir uns noch drei Monate lang vorbereiten«, sagte Harry. »Es ist Zeit, zu handeln.«

Er konnte von Rons und Hermines Gesichtern ablesen, dass sie Angst hatten; er war selbst nicht besonders zuversichtlich, und doch war er sicher, dass die Zeit gekommen war, ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Während der letzten vier Wochen hatten sie sich abwechselnd den Tarnumhang angezogen und den offiziellen Eingang zum Ministerium ausspioniert, den Ron dank Mr Weasley seit seiner Kindheit kannte. Sie hatten Ministeriumsangestellte auf ihrem Weg hinein beschattet, ihre Gespräche belauscht und durch sorgfältige Beobachtungen erfahren, welcher von ihnen zuverlässig jeden Tag zur selben Zeit allein auftauchte.

Ab und zu hatten sie eine Gelegenheit genutzt, jemandem einen Tagespropheten aus der Aktentasche zu stibitzen. Ganz allmählich hatten sie die skizzierten Etagenpläne und die Notizen zusammengestellt, die sich nun vor Hermine stapelten.

»Na gut«, sagte Ron langsam, »dann sagen wir eben, wir legen morgen los ... ich denke, Harry und ich sollten es alleine machen.«

»Oh, fang nicht wieder damit an!«, seufzte Hermine. »Ich dachte, wir hätten das geklärt.«

»Sich unter dem Tarnumhang beim Eingang herumzutreiben, ist das eine, aber das hier ist was anderes, Hermine.« Ron tippte mit dem Finger auf einen zehn Tage alten Tagespropheten. »Du bist auf der Liste der Muggelstämmigen, die sich nicht zum Verhör eingefunden haben!«

»Und du solltest eigentlich gerade im Fuchsbau an Griselkrätze sterben!

Wenn irgendwer nicht gehen sollte, dann Harry, auf seinen Kopf sind zehntausend Galleonen ausgesetzt -«

»Schön, dann bleib ich hier«, sagte Harry. »Gebt mir Bescheid, wenn ihr Voldemort besiegt habt, in Ordnung?«

Während Ron und Hermine lachten, fuhr ein Schmerz durch die Narbe auf Harrys Stirn. Seine Hand schnellte hoch: Er sah, wie sich Hermines Augen verengten, und tat so, als wollte er sich nur die Haare aus den Augen streichen.

»Also, wenn wir zu dritt gehen, müssen wir einzeln disapparieren«, sagte Ron gerade. »Wir passen nicht mehr alle unter den Tarnumhang.«

Harrys Narbe schmerzte immer mehr. Er stand auf. Sofort eilte Kreacher herbei.

»Der Herr hat seine Suppe nicht aufgegessen, hätte der Herr lieber den schmackhaften Eintopf oder die Siruptorte, für die der Herr ja eine Schwäche hat?«

»Danke, Kreacher, aber ich muss mal kurz verschwinden – ähm –

Badezimmer.«

Harry, der Hermines argwöhnischen Blick im Rücken spürte, eilte die Treppe zur Eingangshalle hinauf und weiter in den ersten Stock, wo er ins Badezimmer stürzte und wieder die Tür verriegelte. Stöhnend vor Schmerz sackte er über dem schwarzen Becken mit den Wasserhähnen in Form von aufgerissenen Schlangenmäulern zusammen und schloss die Augen ...

Er glitt eine dämmrige Straße entlang. Die Gebäude zu beiden Seiten hatten hohe Fachwerkgiebel; sie sahen aus wie Lebkuchenhäuser.

Er näherte sich einem davon, dann sah er das Weiß seiner langfingrigen Hand an der Tür. Er klopfte. Er spürte eine wachsende Erregung ...

Die Tür öffnete sich: Eine lachende Frau stand da. Ihre Miene erstarrte, als sie in Harrys Gesicht blickte, alle Fröhlichkeit wich einer grauenhaften Angst ...

»Gregorowitsch?«, sagte eine hohe, kalte Stimme.

Sie schüttelte den Kopf: Sie wollte die Tür zumachen. Eine weiße Hand hielt sie fest, hinderte sie daran, ihn auszusperren ...

»Ich will Gregorowitsch.«

»Er wohnt hier nicht mehr!«, schrie sie auf Deutsch und schüttelte den Kopf. »Er nicht hier leben! Er nicht hier leben! Ich ihn nicht kennen!«

Sie gab den Versuch auf, die Tür zu schließen, und begann in den dunklen Flur zurückzuweichen, und Harry folgte ihr, glitt auf sie zu, und seine langfingrige Hand hatte den Zauberstab gezückt.

»Wo ist er?«

»Das weiß ich nicht! Er weggezogen. Ich nicht wissen, ich nicht wissen!«

Er hob den Zauberstab. Sie schrie. Zwei kleine Kinder kamen in den Flur gerannt. Sie versuchte sie mit den Armen zu beschützen. Ein grüner Lichtblitz -

»Harry! HARRY!«

Er öffnete die Augen; er war zu Boden gesunken. Hermine hämmerte erneut an die Tür.

»Harry, mach auf!«

Er hatte einen Schrei ausgestoßen, das wusste er. Er stand auf und schob den Riegel zurück; Hermine stolperte sofort herein, fand das Gleichgewicht wieder und sah sich misstrauisch um. Ron war direkt hinter ihr, er wirkte entnervt, als er seinen Zauberstab in die Ecken des kühlen Badezimmers richtete.

»Was machst du da?«, fragte Hermine streng.

»Was werde ich hier wohl machen?«, entgegnete Harry in einem schwachen Versuch, unbeeindruckt zu wirken.

»Du hast dir die Lunge aus dem Leib geschrien!«, sagte Ron.

»Ach jaah ... ich muss eingenickt sein oder -«

»Harry, ganz so dämlich sind wir nicht«, sagte Hermine schwer atmend.

»Wir wissen, dass deine Narbe unten in der Küche wehgetan hat, und du bist kreidebleich.«

Harry setzte sich auf den Rand der Badewanne.

»Na gut. Ich habe gerade gesehen, wie Voldemort eine Frau umgebracht hat. Inzwischen hat er wahrscheinlich ihre ganze Familie ermordet. Und es wäre gar nicht nötig gewesen. Es war wieder genau wie bei Cedric, sie waren einfach da ...«

»Harry, du sollst das nicht mehr zulassen!«

Hermine weinte, ihre Stimme hallte durch das Badezimmer. »Es war Dumbledores Wille, dass du Okklumentik einsetzt! Er hielt die Verbindung für gefährlich – Voldemort kann sie benutzen, Harry! Was bringt es, ihm zuzusehen, wie er tötet und foltert, wie kann uns das weiterhelfen?«

»Ich weiß dadurch, was er tut«, sagte Harry.

»Also willst du nicht einmal versuchen, dich gegen ihn zu verschließen?«

»Ich kann nicht, Hermine. Du weißt, ich bin miserabel in Okklumentik, ich hab nie den Dreh rausgekriegt.«

»Du hast es nie wirklich versucht!«, sagte sie hitzig. »Ich kapier es nicht, Harry – gefällt es dir etwa, diese besondere Verbindung oder Beziehung zu haben, oder was – was auch immer -«

Sie stockte bei dem Blick, den er ihr zuwarf, als er aufstand.

»Ob es mir gefällt?«, sagte er leise. »Würde es dir gefallen?«

»Ich – nein – tut mir leid, Harry, ich wollte nicht -«

»Ich hasse es, ich hasse die Tatsache, dass er in mich reinkann, dass ich ihm zusehen muss, wenn er am gefährlichsten ist. Aber ich werde es nutzen.«

»Dumbledore -«

»Vergiss Dumbledore. Das entscheide ich und sonst niemand. Ich will wissen, warum er hinter Gregorowitsch her ist.«

»Hinter wem?«

»Das ist ein ausländischer Zauberstabmacher«, sagte Harry. »Er hat Krums Zauberstab gemacht und Krum hält ihn für genial.«

»Aber du hast doch behauptet, dass Voldemort Ollivander irgendwo eingesperrt hat«, sagte Ron. »Wenn er schon einen Zauberstabmacher hat, wozu braucht er dann noch einen?«

»Vielleicht ist er derselben Meinung wie Krum, vielleicht hält er Gregorowitsch für besser ... oder er glaubt, dass Gregorowitsch erklären kann, was mein Zauberstab getan hat, als er mir nachgejagt ist, denn Ollivander wusste es nicht.«

Harry blickte in den gesprungenen staubigen Spiegel und sah, wie Ron und Hermine hinter seinem Rücken skeptische Blicke tauschten.

»Harry, du redest andauernd davon, was dein Zauberstab getan hat«, sagte Hermine, »aber du hast es doch bewirkt! Warum bist du so fest entschlossen, keine Verantwortung für deine eigene Macht zu übernehmen?«

»Weil ich weiß, dass ich es nicht war! Und das weiß Voldemort auch, Hermine! Wir wissen beide, was wirklich geschehen ist!«

Sie starrten einander finster an: Harry wusste, dass er Hermine nicht überzeugt hatte und dass sie schon dabei war, Argumente zu sammeln, sowohl gegen seine Theorie über seinen Zauberstab als auch dagegen, dass er es sich erlaubte, in Voldemorts Geist hineinzusehen. Zu seiner Erleichterung schritt Ron ein.

»Hör auf damit«, ermahnte er sie. »Es ist seine Sache. Und wenn wir morgen ins Ministerium wollen, meinst du nicht, dass wir noch mal den Plan besprechen sollten?«

Die beiden anderen sahen, dass Hermine nur widerstrebend die Sache auf sich beruhen ließ, obwohl Harry ziemlich sicher war, dass sie bei der nächsten Gelegenheit wieder angreifen würde. Unterdessen kehrten sie in die Kellerküche zurück, wo Kreacher ihnen Eintopf und Siruptorte servierte.

Sie kamen in dieser Nacht erst spät ins Bett, nachdem sie stundenlang immer wieder ihren Plan durchgesprochen hatten, bis sie ihn Wort für Wort einander aufsagen konnten. Harry, der jetzt in Sirius' Zimmer schlief, lag im Bett, das Licht seines Zauberstabs auf das alte Foto von seinem Vater, Sirius, Lupin und Pettigrew gerichtet, und murmelte noch einmal zehn Minuten lang den Plan vor sich hin. Als er seinen Zauberstab löschte, dachte er jedoch nicht an Vielsaft-Trank, Kotzpastillen oder die marineblauen Umhänge der Zauberei-Zentralverwaltung; er dachte an Gregorowitsch und daran, wie lange es dem Zauberstabmacher noch gelingen würde, versteckt zu bleiben, während Voldemort ihn so entschlossen suchte.

Die Morgendämmerung schien ungebührlich rasch auf die Mitternacht zu folgen.

»Du siehst furchtbar aus«, lautete Rons Begrüßung, als er das Zimmer betrat, um Harry zu wecken.

»Nicht mehr lange«, sagte Harry gähnend.

Sie trafen Hermine unten in der Küche. Kreacher servierte ihr Kaffee und warme Brötchen, und sie hatte den leicht manischen Gesichtsausdruck, der Harry an das Büffeln vor den Prüfungen erinnerte.

»Umhänge«, sagte sie halblaut, nahm ihre Anwesenheit mit einem nervösen Nicken zur Kenntnis und kramte weiter in ihrer mit Perlen verzierten Handtasche herum, »Vielsaft-Trank ... Tarnumhang ...

Bluffknaller ... ihr solltet jeder ein paar davon nehmen, nur für den Fall ...

Kotzpastillen, Nasblutnugat, Langziehohren ...«

Sie schlangen ihr Frühstück hinunter, und als sie dann nach oben aufbrachen, geleitete Kreacher sie unter Verbeugungen hinaus und versprach, dass er ihnen eine Steak-und-Nieren-Pastete auftischen würde, wenn sie wiederkämen.

»Der Gute«, sagte Ron herzlich, »und wenn man bedenkt, dass ich mir immer vorgestellt hab, wie ich ihm den Kopf abschneide und ihn an die Wand hänge.«

Sie näherten sich mit größter Vorsicht der obersten Stufe vor dem Eingang: Ein paar Todesser mit geröteten Augen waren zu sehen, die von der anderen Seite des nebligen Platzes aus das Haus beobachteten. Hermine disapparierte zuerst mit Ron und kam dann zurück, um Harry abzuholen.

Nach der üblichen kurzen Dunkelheit, in der man fast erstickte, fand sich Harry in der kleinen Gasse wieder, wo der erste Teil ihres Plans wie festgelegt stattfinden sollte. Sie war noch verlassen, nur ein paar große Mülltonnen standen herum; die ersten Ministeriumsangestellten tauchten hier für gewöhnlich nicht vor acht Uhr auf.

»Also dann«, sagte Hermine und sah auf ihre Uhr. »In fünf Minuten sollte sie hier sein. Wenn ich sie geschockt habe -«

»Hermine, wir wissen es«, sagte Ron streng. »Und ich dachte, wir wollten die Tür aufmachen, ehe sie kommt?«

Hermine stieß einen spitzen Schrei aus.

»Das hätte ich fast vergessen! Zurück -«

Sie richtete ihren Zauberstab auf die mit einem Vorhängeschloss versehene Feuertür neben ihnen, die voller Graffiti war, und mit einem Krachen flog sie auf. Der dunkle Korridor dahinter führte, wie sie von ihren sorgfältigen Erkundungstouren her wussten, in ein leeres Theater. Hermine lehnte die Tür wieder an, damit es aussah, als wäre sie noch verschlossen.

»Und jetzt«, sagte sie und wandte sich den beiden anderen in der Gasse zu, »ziehen wir den Tarnumhang wieder an -«

»- und warten«, beendete Ron den Satz, warf den Umhang über Hermines Kopf wie ein Tuch über einen Wellensittich und verdrehte, zu Harry gewandt, die Augen.

Gut eine Minute später war ein leises Plopp zu hören, und ein paar Meter von ihnen entfernt apparierte eine kleine Ministeriumshexe mit flatternden grauen Haaren, die in der plötzlichen Helligkeit ein wenig blinzelte; die Sonne war gerade hinter einer Wolke hervorgekommen. Die Hexe hatte jedoch kaum Zeit, die unerwartete Wärme zu genießen, ehe Hermines stummer Schockzauber sie auf der Brust traf und sie umknickte.

»Gute Arbeit, Hermine«, sagte Ron und kam hinter einer Mülltonne neben der Theatertür hervor, während Harry den Tarnumhang ablegte.

Gemeinsam trugen sie die kleine Hexe in den dunklen Korridor, der hinter die Bühne führte. Hermine zupfte ihr ein paar Haare vom Kopf und steckte sie in eine Flasche mit trübem Vielsaft-Trank, die sie aus der Perlentasche genommen hatte. Ron durchwühlte die Handtasche der kleinen Hexe.

»Sie heißt Mafalda Hopfkirch«, las er von einer kleinen Karte ab, die ihr Opfer als Hilfskraft in der Abteilung für unbefugte Zauberei auswies. »Am besten nimmst du das, Hermine, und hier sind die Marken.«

Er reichte ihr mehrere kleine Goldmünzen aus dem Geldbeutel der Hexe, in die die Buchstaben ZM geprägt waren.

Hermine trank den Vielsaft-Trank, der jetzt eine freundliche blauviolette Farbe hatte, und Sekunden später stand das Ebenbild von Mafalda Hopfkirch vor ihnen. Während Hermine Mafalda die Brille abnahm und sie selber aufsetzte, sah Harry auf seine Uhr.

»Wir sind spät dran, Mr Zauberei-Zentralverwaltung wird jeden Moment hier sein.«

Eilends verschlossen sie die Tür, hinter der die echte Mafalda lag; Harry und Ron warfen sich den Tarnumhang über, doch Hermine blieb sichtbar und wartete. Sekunden später war ein weiteres Plopp zu hören und ein kleiner, frettchenartiger Zauberer tauchte vor ihnen auf.

»Oh, hallo, Mafalda.«

»Hallo!«, sagte Hermine mit zitternder Stimme. »Wie geht es Ihnen heute?«

»Nicht so gut, um ehrlich zu sein«, antwortete der kleine Zauberer, der äußerst niedergeschlagen wirkte.

Als Hermine und der Zauberer in Richtung Hauptstraße losgingen, schlichen Harry und Ron ihnen hinterher.

»Das tut mir aber leid, dass Sie nicht ganz auf dem Damm sind«, sagte Hermine, indem sie mit fester Stimme den kleinen Zauberer übertönte, der sich über seine Probleme auslassen wollte; das Wichtigste war, dass er die große Straße nicht erreichte. »Hier, nehmen Sie sich ein Bonbon.«

»Hm? Oh, nein danke -«

»Ich bestehe darauf!«, sagte Hermine angriffslustig und wedelte mit der Pastillentüte vor seiner Nase herum. Der kleine Zauberer schien ziemlich beunruhigt und nahm eine.

Die Wirkung trat augenblicklich ein. Kaum hatte die Pastille seine Zunge berührt, fing der kleine Zauberer an, sich so heftig zu übergeben, dass er nicht einmal bemerkte, wie Hermine ihm eine Hand voll Haare oben vom Kopf riss.

»Du liebe Zeit!«, sagte sie, während er die Gasse mit Erbrochenem vollspritzte. »Vielleicht sollten Sie heute besser freinehmen!«

»Nein – nein!« Er würgte und spuckte und wollte unbedingt weiter, obwohl er nicht mehr gerade gehen konnte. »Ich muss – heute – muss hingehen -«

»Aber das ist wirklich unvernünftig!«, sagte Hermine beunruhigt. »Sie können in diesem Zustand nicht zur Arbeit – ich finde, Sie sollten ins St.

Mungo gehen, damit man Sie dort kuriert!«

Der Zauberer war zusammengebrochen und wollte nun keuchend und auf allen vieren in Richtung der Hauptstraße weiterkriechen.

»So können Sie einfach nicht zur Arbeit!«, schrie Hermine.

Endlich schien er einzusehen, dass sie Recht hatte. Er klammerte sich an die angeekelte Hermine, um sich wieder aufzurichten, drehte sich auf der Stelle und verschwand, und nichts blieb von ihm zurück als die Tasche, die Ron ihm im Vorbeigehen aus der Hand geschnappt hatte, und einige durch die Gegend fliegende Stückchen Erbrochenes.

»Igitt«, sagte Hermine und hob den Saum ihres Umhangs hoch, um den Kotzepfützen zu entgehen. »Es hätte viel weniger Sauerei gegeben, wenn wir den auch geschockt hätten.«

»Mag sein«, sagte Ron und kam mit der Tasche des Zauberers unter dem Tarnumhang hervor, »aber ich glaube immer noch, dass ein ganzer Haufen Bewusstlose stärker aufgefallen wäre. Der ist aber ziemlich scharf auf seinen Job, was? Dann gib mir mal die Haare und den Zaubertrank.«

Zwei Minuten später stand Ron vor ihnen, klein und frettchenartig wie der kranke Zauberer und in dem marineblauen Umhang, der zusammengefaltet in dessen Tasche gelegen hatte.

»Komisch, dass er ihn heute nicht getragen hat, oder, wo er doch unbedingt zur Arbeit gehen wollte? Aber egal, ich bin Reg Cattermole, wie's auf dem Aufnäher hinten draufsteht.«

»Du wartest jetzt hier«, sagte Hermine zu Harry, der noch unter dem Tarnumhang war, »und wir kommen dann mit ein paar Haaren für dich zurück.«

Harry musste zehn Minuten warten, die ihm jedoch viel länger vorkamen, während er sich allein in der mit Erbrochenem vollgespritzten Gasse herumdrückte, neben der Tür, hinter der die geschockte Mafalda verborgen lag. Endlich tauchten Ron und Hermine wieder auf.

»Wir wissen nicht, wer er ist«, sagte Hermine und reichte Harry ein paar gekräuselte schwarze Haare, »aber er ist mit schrecklichem Nasenbluten nach Hause gegangen! Hier, er ist ziemlich groß, du wirst einen größeren Umhang brauchen ...«

Sie zerrte einen alten Umhang hervor, den Kreacher für sie gewaschen hatte, und Harry zog sich zurück, um den Trank zu nehmen und sich umzuziehen.

Als die schmerzhafte Verwandlung vollendet war, war er über einen Meter achtzig groß und, nach seinen muskelbepackten Armen zu schließen, ziemlich kräftig gebaut. Außerdem hatte er einen Bart. Er stopfte den Tarnumhang und seine Brille in seinen neuen Umhang und kehrte zu den beiden anderen zurück.

»Teufel noch mal, du jagst einem vielleicht Angst ein«, sagte Ron und blickte zu Harry hoch, der ihn jetzt überragte.

»Nimm eine von Mafaldas Marken«, sagte Hermine zu Harry, »und lasst uns gehen, es ist fast neun.«

Sie traten gemeinsam aus der Gasse heraus. Fünfzig Meter weiter den belebten Bürgersteig entlang führten zwei Treppen mit schwarzen Spitzengeländern in die Tiefe, über denen Schilder mit der Aufschrift

»Herren« und »Damen« angebracht waren.

»Dann also bis gleich«, sagte Hermine nervös und wankte die Treppe zu den »Damen« hinunter. Harry und Ron schlossen sich einigen seltsam gekleideten Männern an, die offenbar in eine ganz gewöhnliche unterirdische öffentliche Toilette mit schmutzigen schwarzweißen Fliesen hinunterstiegen.

»Morgen, Reg!«, rief ein weiterer Zauberer in marineblauem Umhang, der sich gerade Zugang zu einer Kabine verschaffte, indem er seine goldene Marke in einen Schlitz an der Tür steckte. »Das ist doch beschissen, oder?

Dass wir alle über diesen Weg zur Arbeit müssen! Wer, glauben die denn, soll hier auftauchen, Harry Potter vielleicht?«

Der Zauberer brüllte vor Lachen über seinen eigenen Witz. Ron ließ ein gepresstes Glucksen hören.

»Jaah«, sagte er, »bescheuert, was?«

Und er und Harry ließen sich in benachbarte Kabinen ein.

Harry hörte links und rechts das Geräusch von Wasserspülungen. Er kauerte sich nieder, spähte durch den Spalt am Boden der Kabine und sah gerade noch, wie ein Paar gestiefelte Füße in die Toilette nebenan stiegen.

Er schaute nach links und sah Ron zu sich herüberzwinkern.

»Müssen wir uns reinspülen?«, flüsterte er.

»Sieht so aus«, flüsterte Harry zurück; seine Stimme war tief und rau.

Sie standen beide auf. Harry, der sich ungeheuer albern vorkam, kletterte mühsam in die Toilettenschüssel.

Er wusste sofort, dass er das Richtige getan hatte; obwohl er scheinbar im Wasser stand, blieben seine Schuhe, seine Füße und sein Umhang völlig trocken. Er hob die Hand, zog an der Kette, und im nächsten Moment war er durch einen kurzen Schacht hinuntergerauscht und tauchte aus einem Kamin im Zaubereiministerium wieder auf.

Schwerfällig stand er auf; an so viel Körper, wie er jetzt hatte, war er nicht gewöhnt. Das große Atrium wirkte dunkler, als Harry es in Erinnerung hatte. Früher hatte ein goldener Brunnen die Mitte der Halle eingenommen und schimmernde Lichtflecken auf den polierten Holzboden und die Wände geworfen. Nun beherrschte ein gigantisches Denkmal aus schwarzem Stein die Szenerie. Sie wirkte recht beängstigend, diese riesige Skulptur einer Hexe und eines Zauberers, die auf kunstvoll geschnitzten Thronen saßen und auf die Ministeriumsangestellten herabschauten, die aus den Kaminen unter ihnen purzelten. Am Sockel des Denkmals waren in etwa dreißig Zentimeter großen Buchstaben die Worte MAGIE IST

MACHT eingraviert.

Harry bekam einen heftigen Schlag von hinten gegen die Beine: Ein anderer Zauberer war gerade aus dem Kamin hinter ihm geflogen.

»Platz da, kannst du nicht – oh, Verzeihung, Runcorn!«

Sichtlich verängstigt, eilte der Zauberer mit schütterem Haar davon.

Runcorn, dessen Gestalt Harry angenommen hatte, war offenbar ein einschüchternder Mann.

»Psst!«, ertönte eine Stimme, und als er sich umsah, erkannte er eine schmächtige kleine Hexe und den frettchenartigen Zauberer von der Zauberei-Zentralverwaltung, die von der anderen Seite des Denkmals zu ihm herüberwinkten. Harry ging rasch zu ihnen.

»Bist du denn gut reingekommen?«, flüsterte Hermine Harry zu.

»Nein, er steckt immer noch in der Scheiße«, sagte Ron.

»Oh, sehr witzig ... das ist schrecklich, nicht wahr?«, sagte sie zu Harry, der zu der Skulptur hochstarrte. »Hast du gesehen, worauf die sitzen?«

Harry schaute genauer hin und erkannte, dass das, was er für zierreich gemeißelte Throne gehalten hatte, in Wirklichkeit Massen von Menschen waren, aus Stein gehauen: Hunderte und Aberhunderte von nackten Körpern, Männer, Frauen und Kinder, alle mit ziemlich dummen, hässlichen Gesichtern, krümmten sich und zwängten sich zusammen, um die Last der schön gekleideten Zauberer zu tragen.

»Muggel«, flüsterte Hermine. »An ihrem rechtmäßigen Platz. Kommt, wir müssen weiter.«

Sie schlossen sich den Zauberern und Hexen an, die auf die goldenen Tore am Ende der Halle zuströmten, und schauten sich dabei möglichst unauffällig um, doch von der markanten Gestalt von Dolores Umbridge war nichts zu sehen. Sie gingen durch die Tore in eine kleinere Halle, wo sich vor zwanzig goldenen Gittern, die ebenso viele Aufzüge bargen, Schlangen bildeten. Sie hatten sich kaum bei der nächsten hinten angestellt, als eine Stimme sagte: »Cattermole!«

Sie blickten sich um: Harrys Magen verkrampfte sich. Einer der Todesser, die dabei gewesen waren, als Dumbledore starb, schritt auf sie zu. Die Ministeriumsangestellten neben ihnen verstummten und senkten den Blick; Harry spürte förmlich, wie eine Welle von Angst sie erfasste.

Das finstere, etwas ungeschlachte Gesicht des Mannes passte irgendwie nicht zu seinem prächtigen wallenden Umhang, der mit vielen goldenen Fäden bestickt war. Jemand in der Menge rund um die Aufzüge rief kriecherisch: »Morgen, Yaxley!« Yaxley ignorierte es.

»Ich hatte jemanden von der Zauberei-Zentralverwaltung angefordert, der mein Büro in Ordnung bringen soll, Cattermole. Es regnet dort immer noch.«

Ron blickte umher, als hoffte er, dass irgendein anderer eingreifen würde, aber niemand sprach ein Wort.

»Es regnet... in Ihrem Büro? Das – das ist nicht gut, oder?«

Ron lachte nervös auf. Yaxleys Augen weiteten sich.

»Sie halten das für komisch, Cattermole, stimmt's?«

Zwei Hexen lösten sich aus der Schlange vor dem Lift und wuselten davon.

»Nein«, sagte Ron, »nein, natürlich -«

»Ist Ihnen klar, dass ich auf dem Weg nach unten bin, um Ihre Frau zu verhören, Cattermole? Tatsächlich bin ich ziemlich überrascht, dass Sie nicht dort unten sind und ihr das Händchen halten, während sie wartet.

Haben sie wohl schon als hoffnungslos aufgegeben, was? Ist wahrscheinlich das Gescheiteste. Passen Sie auf, dass Sie das nächste Mal eine Reinblütige heiraten.«

Hermine hatte vor Entsetzen ein leises Piepsen ausgestoßen. Yaxley sah sie an. Sie hüstelte und wandte sich ab.

»Ich – ich -«, stammelte Ron.

»Aber wenn meine Frau beschuldigt würde, eine Schlammblüterin zu sein«, sagte Yaxley, »- nicht dass irgendeine Frau, die ich heirate, je mit einem solchen Dreckstück verwechselt werden könnte –, und wenn der Leiter der Abteilung für Magische Strafverfolgung etwas erledigt haben wollte, dann würde ich das zuallererst erledigen, Cattermole. Haben Sie mich verstanden?«

»Ja«, flüsterte Ron.

»Dann kümmern Sie sich darum, Cattermole, und wenn mein Büro nicht in einer Stunde vollkommen trocken ist, dann wird der Blutstatus Ihrer Frau noch zweifelhafter sein, als er ohnehin schon ist.«

Das goldene Gitter vor ihnen öffnete sich rasselnd. Mit einem Nicken und einem unfreundlichen Lächeln in Richtung Harry, von dem er offenbar erwartet hatte, dass er es gutheißen würde, wie Cattermole niedergemacht wurde, rauschte Yaxley zu einem anderen Aufzug davon. Harry, Ron und Hermine betraten den Lift vor ihnen, aber niemand kam hinterher: Es war, als ob sie ansteckend wären. Die Gitter schlossen sich krachend und der Lift begann nach oben zu fahren.

»Was soll ich jetzt machen?«, fragte Ron sofort die beiden anderen; er wirkte bestürzt. »Wenn ich nicht aufkreuze, wird meine Frau – ich meine, Cattermoles Frau -«

»Wir kommen mit, wir sollten zusammenbleiben -«, fing Harry an, aber Ron schüttelte fieberhaft den Kopf.

»Das wär verrückt, wir haben nicht viel Zeit. Ihr beide sucht Umbridge, ich geh und kümmer mich um Yaxleys Büro – aber wie schaffe ich es, dass es aufhört zu regnen? «

»Versuch es mit Finite Incantatem«, sagte Hermine sofort, »das müsste den Regen stoppen, falls es ein Bann oder ein Fluch ist; falls nicht, dann ist irgendwas mit einem Atmosphärischen Zauber schiefgegangen, was dann schon schwieriger zu reparieren ist, dann würde ich es als Übergangsmaßnahme erst mal mit Impervius probieren, um seine Sachen zu schützen -«

»Sag das noch mal langsam -«, bat Ron und suchte verzweifelt in seiner Tasche nach einer Feder, doch in diesem Moment ruckelte der Lift und blieb stehen. Eine geisterhafte Frauenstimme sagte: »Vierter Stock, Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe, mit der Tierwesen-, der Zauberwesen- und der Geisterbehörde, dem Koboldverbindungsbüro und dem Seuchenberatungsbüro«, und die Gitter glitten wieder zur Seite und gewährten ein paar Zauberern und mehreren blassvioletten Papierfliegern Einlass, die um die Lampe an der Decke des Lifts herumschwirrten.

»Morgen, Albert«, sagte ein Mann mit buschigem Schnurrbart und lächelte Harry an. Als der Lift quietschend wieder losfuhr, sah er kurz zu Ron und Hermine hinüber; Hermine flüsterte Ron gerade hektisch Anweisungen zu. Der Zauberer neigte sich zu Harry hinüber, grinste schmierig und murmelte: »Dirk Cresswell, was? Von der Koboldverbindung? Nett von Ihnen, Albert. Ich bin ziemlich sicher, dass ich jetzt seine Stelle kriege!«

Er zwinkerte. Harry lächelte zurück und hoffte, das würde genügen. Der Aufzug blieb stehen; die Gitter öffneten sich erneut.

»Zweiter Stock, Abteilung für Magische Strafverfolgung, mit dem Büro gegen den Missbrauch der Magie, der Aurorenzentrale und dem Zaubergamot-Verwaltungsdienst«, sagte die geisterhafte Hexenstimme.

Harry sah, wie Hermine Ron einen kleinen Schubs gab, worauf er eilends den Fahrstuhl verließ, gefolgt von den anderen Zauberern, so dass Harry und Hermine allein zurückblieben. Sobald sich die goldene Tür geschlossen hatte, sagte Hermine ganz schnell: »Eigentlich glaub ich, dass ich ihm besser hinterhergehen sollte, Harry, ich glaub nicht, dass er weiß, was er tut, und wenn er erwischt wird, dann ist alles -« »Erster Stock, Zaubereiminister und Assistenzkräfte.« Die goldenen Gitter glitten wieder auseinander und Hermine stockte der Atem. Vier Leute standen vor ihnen, zwei davon ins Gespräch vertieft: ein Zauberer mit langen Haaren und prächtigem schwarzgoldenem Umhang und eine untersetzte, krötenartige Hexe mit einer Samtschleife in ihrem kurzen Haar, die ein Klemmbrett an ihre Brust drückte.