"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Der Rauswurf von Severus Snape

Sobald ihr Finger das Mal berührte, brannte Harrys Narbe grausam, der Raum voller Sterne löste sich auf, und er stand auf einem Felsblock unter einer Klippe, die See umtoste ihn, und sein Herz war siegestrunken – Sie haben den Jungen.

Ein lauter Knall holte Harry dorthin zurück, wo er stand: Verwirrt hob er seinen Zauberstab, doch die Hexe vor ihm kippte schon vornüber; sie schlug so hart auf den Boden, dass die Scheiben der Bücherschränke klirrten.

»Ich hab noch nie jemand geschockt, außer in unseren DA-Stunden«, sagte Luna und klang dabei mäßig interessiert. »Das hat mehr Krach gemacht, als ich gedacht hätte.«

Und tatsächlich, die Decke hatte zu zittern angefangen. Das Geräusch hastiger, dröhnender Schritte drang immer lauter durch die Tür, die zu den Schlafsälen führte: Lunas Zauber hatte Ravenclaws geweckt, die oben schliefen.

»Luna, wo bist du? Ich muss unter den Tarnumhang!«

Lunas Füße erschienen aus dem Nichts; er trat eilends an ihre Seite, und kaum hatte sie den Tarnumhang über sie beide fallen lassen, ging die Tür auf und ein Strom von Ravenclaws, alle in Schlafanzügen, ergoss sich in den Gemeinschaftsraum. Sie keuchten und stießen überraschte Schreie aus, als sie Alecto ohnmächtig daliegen sahen. Langsam schlurften sie um sie herum wie um ein wildes Tier, das jeden Moment aufwachen und sie angreifen könnte. Dann schoss ein mutiger Erstklässler auf sie zu und stieß ihr mit seinem großen Zeh in den Hintern.

»Ich glaub, sie ist vielleicht tot!«, rief er vergnügt.

»Oh, sieh mal«, flüsterte Luna glücklich, während die Ravenclaws sich nun alle dicht um Alecto drängten. »Die freuen sich!«

»Jaah ... toll ...«

Harry machte die Augen zu, und während seine Narbe pochte, beschloss er, wieder in Voldemorts Geist einzutauchen ... er drang durch den Tunnel in die erste Höhle ... er hatte beschlossen, sich Gewissheit über das Medaillon zu verschaffen, bevor er kommen würde ... aber dafür würde er nicht lange brauchen ...

An der Tür des Gemeinschaftsraums klopfte es und alle Ravenclaws erstarrten. Von der anderen Seite her hörte Harry die leise, melodische Stimme, die von dem Türklopfer in Adlergestalt stammte: »Wo gehen verschwundene Gegenstände hin?«

»Was weiß denn ich? Halt's Maul!«, knurrte jemand, und Harry erkannte die ordinäre Stimme von Amycus, dem Bruder von Alecto Carrow. »Alecto? Alecto? Bist du dadrin? Hast du ihn? Mach die Tür auf!«

Die Ravenclaws tuschelten entsetzt miteinander. Dann, ohne Vorwarnung, knallten eine Reihe heftiger Schläge, als ob jemand mit einem Gewehr auf die Tür schießen würde.

»ALECTO! Wenn er kommt und wir haben Potter nicht -willst du das Gleiche erleben wie die Malfoys? ANTWORTE MIR!« Amycus brüllte und trommelte mit aller Macht gegen die Tür, die sich dennoch nicht öffnete. Die Ravenclaws wichen alle zurück, einige so verängstigt, dass sie die Treppe wieder hochhasteten zu ihren Betten. Dann, als Harry sich gerade fragte, ob er nicht die Tür aufsprengen und Amycus schocken sollte, ehe der Todesser noch etwas anderes unternehmen konnte, ertönte eine zweite, höchst vertraute Stimme hinter der Tür.

»Darf ich fragen, was Sie da tun, Professor Carrow?«

»Ich versuche – durch diese – verdammte Tür – zu kommen!«, rief Amycus. »Gehen Sie und holen Sie Flitwick! Holen Sie ihn, damit er sie öffnet, sofort! «

»Aber ist nicht Ihre Schwester dort drin?«, fragte Professor McGonagall. »Hat Professor Flitwick sie nicht auf Ihre dringende Bitte hin eingelassen, heute früher am Abend? Vielleicht kann sie Ihnen die Tür öffnen? Dann müssten Sie nicht das halbe Schloss aufwecken.«

»Die antwortet ja nicht, Sie alter Besen! Machen Sie doch auf! Na los!

Tun Sie's, und zwar sofort!«

»Gewiss, wenn Sie es wünschen«, sagte Professor McGonagall mit schneidender Kälte. Ein sanfter Schlag des Türklopfers war zu hören und die melodische Stimme fragte erneut: »Wo gehen verschwundene Gegenstände hin?«

»Ins Nicht-Sein, das heißt in alles«, antwortete Professor McGonagall.

»Hübsch gesagt«, erwiderte der Adler-Türklopfer und die Tür schwang auf.

Die wenigen Ravenclaws, die noch da waren, spurteten zur Treppe, als Amycus, mit dem Zauberstab fuchtelnd, über die Schwelle stürmte. Er war gedrungen wie seine Schwester, hatte ein farbloses, teigiges Gesicht und winzige Augen, die sich sofort auf die reglos am Boden ausgestreckte Alecto richteten. Voll Zorn und Angst schrie er auf.

»Was haben sie getan, diese kleinen Bälger?«, schrie er. »Die kriegen alle miteinander den Cruciatus von mir zu spüren, bis sie mir verraten, wer das war – und was wird bloß der Dunkle Lord sagen?«, kreischte er über seiner Schwester stehend und schlug sich mit der Faust gegen die Stirn. »Er ist uns entwischt und die haben sie jetzt auch noch umgebracht!«

»Sie steht lediglich unter einem Schockzauber«, sagte Professor McGonagall ungeduldig, die sich gebückt hatte, um Alecto zu untersuchen.

»Sie wird bald wieder bei bester Gesundheit sein.«

»Nein, zum Henker noch mal, wird sie nicht!«, brüllte Amycus. »Nicht, wenn der Dunkle Lord sie zu fassen kriegt! Sie hat doch nach ihm gerufen, ich hab gespürt, wie mein Mal gebrannt hat, und er glaubt, dass wir Potter haben! «

»gt;Potter habenlt;?«, sagte Professor McGonagall scharf. »Was soll das heißen, gt;Potter habenlt;?«

»Er hat uns gesagt, dass Potter vielleicht versucht, in den Ravenclaw-Turm reinzukommen, und dass wir ihn rufen sollen, wenn wir ihn gefasst haben!«

»Warum sollte Potter versuchen, in den Ravenclaw-Turm hineinzukommen? Potter gehört in mein Haus!«

In ihrer Stimme voller Zweifel und Wut hörte Harry einen leisen Anflug von Stolz, und jähe Zuneigung für Minerva McGonagall flammte in ihm auf.

»Wir haben gesagt gekriegt, dass er vielleicht hier reinkommt!«, sagte Carrow. »Keine Ahnung, warum, woher auch?«

Professor McGonagall stand auf und suchte mit ihren glänzenden Knopfaugen den Raum ab. Zweimal wanderte ihr Blick direkt über die Stelle, wo Harry und Luna standen.

»Wir können es auf die Kinder schieben«, sagte Amycus und sein schweineähnliches Gesicht wirkte plötzlich verschlagen. »Jaah, das machen wir. Wir sagen, dass Alecto von den Kindern überfallen wurde, von diesen Kindern da oben«, er blickte hoch zu der Sternendecke in Richtung Schlafsäle, »und wir sagen, die hätten sie gezwungen, auf ihr Mal zu drücken, und deshalb hat er einen falschen Alarm gekriegt ... dann kann er die bestrafen. Paar Kinder mehr oder weniger, was macht das schon für 'n Unterschied?«

»Nur den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge, Mut und Feigheit«, sagte Professor McGonagall, die erblasst war, »kurz, einen Unterschied, den Sie und Ihre Schwester offenbar nicht zu schätzen wissen. Aber lassen Sie mich eines absolut klarstellen. Sie werden Ihre vielen Unzulänglichkeiten nicht den Schülern von Hogwarts in die Schuhe schieben. Das werde ich nicht zulassen.«

»Wie bitte?«

Amycus trat vor, bis er Professor McGonagall unangenehm nahe war, sein Gesicht Zentimeter von ihrem entfernt. Sie weigerte sich, zurückzuweichen, und blickte stattdessen auf ihn hinab, als wäre er etwas Widerliches, das sie an einer Klobrille klebend gefunden hatte.

»Es geht nicht darum, was Sie zulassen, Minerva McGonagall. Ihre Zeit ist vorbei. Jetzt haben wir hier das Kommando, und Sie werden mich unterstützen, oder Sie bezahlen den Preis.«

Und er spuckte ihr ins Gesicht.

Harry zerrte den Tarnumhang von sich, hob seinen Zauberstab und sagte: »Das hätten Sie nicht tun sollen.«

Als Amycus herumwirbelte, rief Harry: »Crucio!«

Der Todesser wurde von den Füßen gerissen. Er krümmte sich in der Luft wie ein Ertrinkender, schlug um sich und heulte vor Schmerz, und dann donnerte er mit einem Knirschen und Splittern in die Scheibe eines Bücherschranks und brach bewusstlos am Boden zusammen.

»Ich hab verstanden, was Bellatrix meinte«, sagte Harry, während ihm das Blut durch den Kopf schoss, »man muss es auch wirklich so meinen.«

»Potter!«, flüsterte Professor McGonagall und griff sich ans Herz.

»Potter – Sie sind hier! Was -? Wie -?« Mühsam rang sie um Fassung.

»Potter, das war töricht!«

»Er hat Sie angespuckt«, sagte Harry.

»Potter, ich – das war sehr – sehr ritterlich von Ihnen – aber ist Ihnen nicht klar -?«

» O doch«, versicherte ihr Harry. Irgendwie machte ihn ihre Panik ruhiger. »Professor McGonagall, Voldemort ist auf dem Weg.«

»Oh, dürfen wir jetzt den Namen sagen?«, fragte Luna mit interessierter Miene und zog den Tarnumhang aus. Dass noch ein zweiter Geächteter auftauchte, war offenbar zu viel für Professor McGonagall, die sich an den Kragen ihres alten schottengemusterten Morgenmantels klammerte, rückwärtswankte und in einen nahen Sessel fiel.

»Ich glaube, es ist egal, wie wir ihn nennen«, sagte Harry zu Luna, »er weiß schon, wo ich bin. «

Irgendwo tief in seinem Gehirn, in jenem Teil, der mit der entzündeten, brennenden Narbe verbunden war, konnte Harry sehen, wie Voldemort in dem geisterhaft grünen Boot schnell über den dunklen See fuhr ... fast hatte er die Insel erreicht, auf der das steinerne Becken stand ...

»Sie müssen fliehen«, flüsterte Professor McGonagall. »Sofort, Potter, so rasch wie möglich!«

»Ich kann nicht«, sagte Harry. »Es gibt etwas, das ich tun muss.

Professor, wissen Sie, wo das Diadem von Ravenclaw ist?«

»Das D-Diadem von Ravenclaw? Natürlich nicht – ist es nicht seit Jahrhunderten verschollen?« Sie setzte sich ein wenig aufrechter hin.

»Potter, es war Wahnsinn, heller Wahnsinn, dass Sie das Schloss betreten haben -«

»Ich musste es tun«, sagte Harry. »Professor, hier ist etwas versteckt, das ich finden soll, und es könnte das Diadem sein – wenn ich nur mit Professor Flitwick sprechen könnte -«

Ein Geräusch war zu hören, Glas klirrte: Amycus kam wieder zu sich.

Ehe Harry oder Luna etwas tun konnten, erhob sich Professor McGonagall, richtete ihren Zauberstab auf den schwer angeschlagenen Todesser und sagte: »Imperio.«

Amycus stand auf, ging hinüber zu seiner Schwester, hob ihren Zauberstab auf, schleppte sich dann gehorsam zu Professor McGonagall und überreichte ihr den Zauberstab mitsamt seinem eigenen. Dann legte er sich auf den Boden neben Alecto. Professor McGonagall schwang erneut ihren Zauberstab, und ein schimmerndes, silbernes Stück Seil erschien aus dem Nichts, schlang sich um die Carrows und band sie fest zusammen.

»Potter«, sagte Professor McGonagall und wandte sich wieder Harry zu, mit großartiger Gleichgültigkeit dem Geschick der Carrows gegenüber,

»wenn Er, dessen Name nicht genannt werden darf, tatsächlich weiß, dass Sie hier sind -«

Während sie sprach, loderte Zorn durch Harry wie körperlicher Schmerz, setzte seine Narbe in Brand, und für eine Sekunde blickte er hinab auf ein Becken, dessen Zaubertrank klar geworden war, und sah, dass kein goldenes Medaillon sicher unten am Boden lag -

»Potter, alles in Ordnung mit Ihnen?«, sagte eine Stimme und Harry kehrte zurück: Er klammerte sich an Lunas Schulter, um sich im Gleichgewicht zu halten.

»Die Zeit wird knapp, Voldemort kommt näher. Professor, ich handle nach Dumbledores Anordnungen, ich muss das finden, was ich für ihn finden soll! Aber wir müssen die Schüler rausschaffen, während ich das Schloss durchsuche – ich bin es, den Voldemort haben will, aber es wird ihn nicht kümmern, ob er ein paar mehr oder weniger umbringt, nicht jetzt -

« Nicht jetzt, da er weiß, dass ich Horkruxe angreife, beendete Harry den Satz im Stillen.

»Sie handeln nach Dumbledores Anordnungen?«, wiederholte sie, mit wachsender Verwunderung. Dann richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf.

»Wir werden die Schule gegen Ihn, dessen Name nicht genannt werden darf, sichern, während Sie nach diesem – diesem Gegenstand suchen.«

»Ist das möglich?«

»Ich denke schon«, sagte Professor McGonagall trocken, »wir Lehrer sind ziemlich gut in Zauberei, wissen Sie. Ich bin überzeugt davon, dass wir ihn eine Zeit lang aufhalten können, wenn wir alle unsere gesamten Kräfte einsetzen. Natürlich muss sich jemand um Professor Snape kümmern -«

»Lassen Sie mich -«

»- und wenn sich Hogwarts nun, da der Dunkle Lord vor den Toren steht, für eine Belagerung rüstet, wäre es tatsächlich ratsam, so viele Unschuldige wie möglich in Sicherheit zu bringen. Da das Flohnetzwerk unter Beobachtung steht und Apparieren auf dem Gelände unmöglich ist -«

»Es gibt einen Weg«, sagte Harry rasch und berichtete von dem Tunnel, der in den Eberkopf führte.

»Potter, wir sprechen hier von Hunderten von Schülern – «

»Ich weiß, Professor, aber wenn Voldemort und die Todesser sich auf die Grenzen der Schule konzentrieren, wird sie jemand, der aus dem Eberkopf disappariert, nicht interessieren.«

»Da ist etwas dran«, stimmte sie zu. Sie richtete ihren Zauberstab auf die Carrows, und ein silbernes Netz fiel über ihre gefesselten Körper, schlang sich um sie und zog sie hoch unter die blau-goldene Decke, wo sie wie zwei große hässliche Meerungeheuer vor sich hin baumelten.

»Kommen Sie. Wir müssen die anderen Hauslehrer alarmieren. Sie ziehen am besten wieder diesen Umhang an.«

Sie marschierte zur Tür und hob dabei ihren Zauberstab empor. Aus seiner Spitze brachen drei silberne Katzen mit Brillenzeichnung um die Augen hervor. Die Patroni rannten geschmeidig voraus und erfüllten die Wendeltreppe mit silbrigem Licht, während Professor McGonagall, Harry und Luna nach unten zurückeilten.

Sie jagten durch die Korridore und ein Patronus nach dem anderen verließ sie; Professor McGonagalls schottengemusterter Morgenmantel raschelte über den Boden, und Harry und Luna hasteten unter dem Tarnumhang hinter ihr her.

Sie waren zwei weitere Stockwerke hinabgestiegen, als sich ein neues Paar Füße unauffällig zu ihnen gesellte: Harry, dessen Narbe immer noch ziepte, hörte es zuerst. Er stöberte in dem Beutel um seinen Hals nach der Karte des Rumtreibers, doch ehe er sie herausholen konnte, schien auch McGonagall zu bemerken, dass sie nicht mehr allein waren. Sie blieb stehen, hob ihren Zauberstab, bereit zum Duell, und sagte: »Wer da?«

»Ich bin es«, sagte eine leise Stimme.

Hinter einer Rüstung trat Severus Snape hervor.

Bei seinem Anblick kochte Hass in Harry hoch: Snapes Verbrechen waren so ungeheuerlich gewesen, dass Harry vergessen hatte, wie er genau aussah, er hatte vergessen, dass ihm die fettigen schwarzen Haare wie Vorhänge um das schmale Gesicht fielen, dass seine schwarzen Augen einen toten, kalten Ausdruck hatten. Er trug keinen Schlafanzug, sondern war in seinen üblichen schwarzen Umhang gekleidet, und auch er hielt seinen Zauberstab kampfbereit.

»Wo sind die Carrows?«, fragte er ruhig.

»Vermutlich dort, wo immer Sie die beiden auch hinbefohlen haben, Severus«, sagte Professor McGonagall.

Snape trat näher, und sein Blick huschte über Professor McGonagall und durch die Luft um sie herum, als ob er wüsste, dass Harry da war.

Auch Harry hielt seinen Zauberstab empor, bereit zum Angriff.

»Ich hatte den Eindruck«, sagte Snape, »dass Alecto einen Eindringling gefasst hätte.«

»Tatsächlich?«, sagte Professor McGonagall. »Und was vermittelte Ihnen diesen Eindruck?«

Snape winkelte leicht seinen linken Arm an, wo das Dunkle Mal in seine Haut gebrannt war.

»Oh, aber natürlich«, erwiderte Professor McGonagall. »Todesser wie Sie haben ihre ganz eigenen Mittel und Wege, miteinander in Verbindung zu treten, das hatte ich vergessen.«

Snape tat, als hätte er sie nicht gehört. Seine Augen suchten immer noch die Luft rund um sie ab, und er kam allmählich näher, scheinbar ohne richtig wahrzunehmen, was er tat.

»Ich wusste nicht, dass Sie heute Nacht an der Reihe sind, in den Korridoren zu patrouillieren, Minerva.«

»Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?«

»Ich frage mich, was Sie zu so später Stunde aus dem Bett geholt haben könnte.«

»Ich dachte, ich hätte eine Ruhestörung vernommen«, sagte Professor McGonagall.

»Wirklich? Aber es scheint alles still zu sein.«

Snape sah ihr in die Augen.

»Haben Sie Harry Potter gesehen, Minerva? Wenn ja, muss ich nämlich darauf bestehen -«

Professor McGonagall bewegte sich schneller, als Harry ihr zugetraut hätte: Ihr Zauberstab peitschte durch die Luft, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Harry, Snape müsse bewusstlos zusammenbrechen, doch der war mit seinem Schildzauber so flink, dass McGonagall aus dem Gleichgewicht geworfen wurde. Sie schwang ihren Zauberstab zu einer Fackel an der Wand, die aus ihrer Halterung flog: Harry, der gerade im Begriff war, Snape einen Fluch aufzuhalsen, musste Luna von den herabschießenden Flammen wegziehen, aus denen ein Feuerring wurde, der den Korridor erfüllte und wie ein Lasso auf Snape zuflog -

Dann war es nicht länger Feuer, sondern eine große, schwarze Schlange, die McGonagall zu Rauch zersprengte, der sich in Sekundenschnelle umformte und verdichtete und zu einer Horde angriffslustiger Dolche wurde: Snape entging ihnen nur, indem er die Rüstung vor seinen Körper riss, und mit laut hallendem Klirren landete ein Dolch nach dem anderen in deren Brust -

»Minerva!«, sagte eine Quiekstimme, und als Harry, der immer noch Luna gegen vorbeifliegende Zauber abschirmte, hinter sich blickte, sah er die Professoren Flitwick und Sprout in ihren Nachthemden den Korridor entlang auf sie zurennen, während der gewaltige Professor Slughorn ihnen hinterherkeuchte.

»Nein!«, quiekte Flitwick und hob seinen Zauberstab. »Sie werden in Hogwarts nicht weiter morden!«

Flitwicks Zauber traf die Rüstung, hinter der Snape Schutz gesucht hatte: Scheppernd erwachte sie zum Leben. Snape kämpfte sich aus dem Zangengriff ihrer Arme frei und ließ sie auf seine Angreifer fliegen: Harry und Luna mussten seitwärtshechten, um ihr auszuweichen, dann krachte sie gegen die Wand und zersprang. Als Harry aufblickte, war Snape Hals über Kopf auf der Flucht, und McGonagall, Flitwick und Sprout donnerten ihm hinterher: Snape stürmte durch eine Klassenzimmertür, und Sekunden später hörte Harry, wie McGonagall schrie: »Feigling! FEIGLING! «

»Was ist passiert, was ist passiert?«, fragte Luna.

Harry zog sie auf die Beine, und sie rasten, den Tarnumhang hinter sich herschleifend, den Korridor entlang in das leere Klassenzimmer, wo die Professoren McGonagall, Flitwick und Sprout vor einem zertrümmerten Fenster standen.

»Er ist gesprungen«, sagte Professor McGonagall, als Harry und Luna in das Zimmer rannten.

»Sie meinen, er ist tot?« Harry stürzte zum Fenster, ohne auf Flitwick und Sprout zu achten, die bei seinem plötzlichen Auftauchen erschrocken aufschrien.

»Nein, er ist nicht tot«, sagte McGonagall bitter. »Im Gegensatz zu Dumbledore trug er immer noch einen Zauberstab ... und er hat offenbar ein paar Tricks von seinem Meister gelernt.«

Mit einem leisen Grauen sah Harry in der Ferne eine riesige fledermausartige Gestalt durch die Dunkelheit auf die Grenzmauer zufliegen.

Hinter ihnen waren schwere Schritte und heftiges Schnaufen zu hören: Slughorn war gerade angekommen.

»Harry!«, keuchte er und rieb sich die riesige Brust unter seinem smaragdgrünen Seidenpyjama. »Mein lieber Junge ... was für eine Überraschung ... Minerva, ich bitte Sie, erklären Sie ... Severus ... was ...?«

»Unser Schulleiter macht eine kurze Pause«, sagte Professor McGonagall und deutete auf das snapeförmige Loch im Fenster.

»Professor!«, rief Harry, die Hände an seiner Stirn. Er konnte den See voller Inferi unter sich dahingleiten sehen, und er spürte, wie das geisterhaft grüne Boot gegen das unterirdische Ufer stieß, und Voldemort sprang heraus, Mord im Sinn -

»Professor, wir müssen die Schule verbarrikadieren, er kommt jetzt!«

»Na schön. Er, dessen Name nicht genannt werden darf, ist auf dem Weg hierher«, erklärte sie den anderen Lehrern. Sprout und Flitwick stockte der Atem; von Slughorn war ein schweres Stöhnen zu hören.

»Potter hat auf Dumbledores Anordnung etwas im Schloss zu erledigen.

Wir müssen sämtliche Schutzzauber, die wir aufbieten können, in Stellung bringen, während Potter tut, was er tun muss.«

»Ihnen ist natürlich klar, dass nichts von alldem Du-weißt-schon-wen auf Dauer fernhalten kann?«, quiekte Flitwick.

»Aber wir können ihn aufhalten«, sagte Professor Sprout.

»Danke, Pomona«, sagte Professor McGonagall, und die beiden Hexen tauschten einen Blick von grimmigem Einverständnis. »Ich schlage vor, wir treffen die grundlegenden Schutzmaßnahmen rund um das Schloss, dann rufen wir unsere Schüler zusammen und versammeln uns in der Großen Halle. Die meisten müssen in Sicherheit gebracht werden, doch wenn von den Volljährigen welche bleiben und kämpfen wollen, sollten sie, denke ich, die Gelegenheit bekommen.«

»Einverstanden«, sagte Professor Sprout und eilte bereits zur Tür.

»Mein Haus und ich erwarten Sie in zwanzig Minuten in der Großen Halle.« Und während sie davonrannte, konnten sie sie murmeln hören:

»Tentakula. Teufelsschlinge. Und Snargaluff-Kokons ... ja, ich würde zu gern sehen, wie die Todesser dagegen kämpfen.«

»Ich kann von hier aus agieren«, sagte Flitwick, und obwohl er kaum etwas durch das kaputte Fenster erkennen konnte, zielte er mit dem Zauberstab nach draußen und begann hochkomplizierte Beschwörungen zu murmeln. Harry hörte ein sonderbares Brausen, als ob Flitwick die Kräfte des Windes über dem Gelände entfesselt hätte.

»Professor«, sagte Harry und näherte sich dem kleinen Zauberkunstmeister, »Professor, Verzeihung, dass ich Sie unterbreche, aber es ist wichtig. Haben Sie eine Ahnung, wo das Diadem von Ravenclaw ist?«

»... Protego horribilis – das Diadem von Ravenclaw?«, quiekte Flitwick. »Etwas mehr Weisheit ist nie verkehrt, Potter, aber ich denke kaum, dass es in dieser Situation besonders nützlich wäre! «

»Ich meinte nur – wissen Sie, wo es ist? Haben Sie es je gesehen?«

»Gesehen? Niemand hat es seit Menschengedenken gesehen! Es ist schon seit langem verschollen, Junge!«

Harry verspürte eine Mischung aus verzweifelter Enttäuschung und Panik. Was sonst konnte der Horkrux sein?

»Wir treffen Sie und Ihre Ravenclaws in der Großen Halle, Filius!«, sagte Professor McGonagall und winkte Harry und Luna, ihr zu folgen.

Sie hatten gerade die Tür erreicht, als Slughorn mit polternder Stimme zu sprechen begann.

»Meine Güte!«, japste er, blass und verschwitzt und mit zitterndem Walrossbart. »Was für ein Theater! Ich bin mir gar nicht sicher, ob das klug ist, Minerva. Er findet ganz bestimmt einen Weg herein, verstehen Sie, und jeder, der versucht hat, ihn zu behindern, wird in schrecklichster Gefahr sein -«

»Ich erwarte auch Sie und die Slytherins in zwanzig Minuten in der Großen Halle«, sagte Professor McGonagall. »Wenn Sie mit Ihren Schülern fortgehen wollen, werden wir Sie nicht aufhalten. Aber wenn irgendwer von Ihnen versucht, unseren Widerstand zu sabotieren oder in diesem Schloss die Waffen gegen uns zu erheben, dann, Horace, werden wir uns auf Leben und Tod duellieren.«

»Minerva!«, sagte er entsetzt.

»Der Zeitpunkt ist gekommen, dass das Haus Slytherin entscheidet, wem seine Treue gilt«, unterbrach ihn Professor McGonagall. »Gehen Sie und wecken Sie Ihre Schüler, Horace.«

Harry blieb nicht, bis er Slughorn prusten sah: Er und Luna rannten Professor McGonagall hinterher, die sich in die Mitte des Korridors gestellt hatte und den Zauberstab hob.

»Piertotum – oh, um Himmels willen, Filch, nicht jetzt -«

Der alte Hausmeister war gerade herbeigehumpelt und rief: »Schüler nicht in ihren Betten! Schüler in den Korridoren! «

»Das hat auch seine Richtigkeit, Sie Armleuchter!«, rief McGonagall.

»Nun gehen Sie und tun Sie was Vernünftiges! Suchen Sie Peeves!«

»P-Peeves?«, stammelte Filch, als ob er den Namen noch nie gehört hätte.

»Ja, Peeves, Sie Dummkopf, Peeves! Beschweren Sie sich nicht schon seit einem Vierteljahrhundert über ihn? Gehen Sie und holen Sie ihn, sofort!«

Filch dachte offensichtlich, Professor McGonagall habe den Verstand verloren, humpelte aber dennoch mit eingezogenen Schultern und leise vor sich hin brabbelnd davon.

»Und jetzt – piertotum locomotor!«, rief Professor McGonagall.

Und im ganzen Korridor sprangen die Statuen und Rüstungen von ihren Sockeln, und aus dem dröhnenden Lärm in den höheren und tieferen Stockwerken schloss Harry, dass ihre Gefährten überall im Schloss das Gleiche getan hatten.

»Hogwarts ist in Gefahr!«, rief Professor McGonagall. »Besetzt die Grenzen, beschützt uns, erfüllt eure Pflicht unserer Schule gegenüber!«

Scheppernd und schreiend stürmte die Horde von Statuen an Harry vorüber: manche von ihnen kleiner, manche größer als lebendige Menschen. Es waren auch Tiere darunter, und die klirrenden Rüstungen schwangen Schwerter und Ketten mit Morgensternen.

»Nun, Potter«, sagte McGonagall, »Sie und Miss Lovegood kehren am besten zu Ihren Freunden zurück und bringen sie in die Große Halle – ich werde die anderen Gryffindors wecken.«

Sie trennten sich oben auf dem nächsten Treppenabsatz: Harry und Luna eilten zurück zu dem verborgenen Eingang des Raums der Wünsche.

Während sie rannten, kamen ihnen Scharen von Schülern entgegen, die meist Reiseumhänge über ihren Schlafanzügen trugen und von Lehrern und Vertrauensschülern in die Große Halle geführt wurden.

»Das war Potter! «

»Harry Potter!«

»Das war er, ich schwör's, ich hab ihn eben gesehen!«

Aber Harry blickte nicht zurück und endlich erreichten sie den Eingang zum Raum der Wünsche. Harry lehnte sich gegen die verzauberte Wand, die sich öffnete und sie einließ, und er und Luna stürmten wieder die steile Treppe hinunter.

»W-?«

Als der Raum in Sicht kam, schlitterte Harry vor Schreck ein paar Stufen abwärts. Er war proppenvoll, viel voller als beim letzten Mal, als er hier gewesen war. Kingsley und Lupin schauten zu ihm hoch, wie auch Oliver Wood, Katie Bell, Angelina Johnson und Alicia Spinnet, Bill und Fleur und Mr und Mrs Weasley.

»Harry, was geht hier vor?«, sagte Lupin, der ihn am Fuß der Treppe empfing.

»Voldemort ist auf dem Weg, sie verbarrikadieren die Schule – Snape ist geflohen – was macht ihr denn hier? Wie habt ihr davon erfahren?«

»Wir haben Botschaften an den Rest von Dumbledores Armee geschickt«, erklärte Fred. »Du hast doch nicht im Ernst geglaubt, dass sich alle den Spaß entgehen lassen würden, Harry, und die DA hat dem Phönixorden Bescheid gegeben, und irgendwie ist eine Lawine draus geworden.«

»Was passiert jetzt als Erstes, Harry?«, rief George. »Was geht ab?«

»Die jüngeren Kinder werden in Sicherheit gebracht, und alle kommen in der Großen Halle zusammen, um eingeteilt zu werden«, sagte Harry.

»Wir werden kämpfen.«

Ein lautes Gebrüll erhob sich und die Menge drängte zum Fuß der Treppe; er wurde an die Wand zurückgedrückt, als sie wild durcheinander an ihm vorbeirannten, die Mitglieder des Phönixordens, Dumbledores Armee und Harrys alte Quidditch-Mannschaft, alle mit gezückten Zauberstäben auf dem Weg in das Hauptgebäude des Schlosses.

»Komm, Luna«, rief Dean, als er vorbeilief, und streckte seine freie Hand aus; sie nahm sie und folgte ihm wieder die Treppe hoch.

Die Reihen lichteten sich: Nur eine kleine Gruppe von Leuten blieb unten im Raum der Wünsche und Harry trat zu ihnen. Mrs Weasley stritt mit Ginny. Um sie herum standen Lupin, Fred, George, Bill und Fleur.

»Du bist minderjährig!«, schrie Mrs Weasley ihre Tochter an, als Harry sich näherte. »Das erlaube ich nicht! Die Jungs, ja, aber du, du gehst gefälligst nach Hause!«

»Kommt nicht in Frage!«

Mit wehenden Haaren zog Ginny ihren Arm aus dem Griff ihrer Mutter.

»Ich bin in Dumbledores Armee -«

»- einer Teenagerbande!«

»Einer Teenagerbande, die ihm gleich einen Kampf liefern wird, was niemand sonst sich getraut hat!«, sagte Fred.

»Sie ist sechzehn!«, rief Mrs Weasley. »Sie ist noch nicht alt genug!

Was habt ihr beide euch dabei gedacht, sie mitzubringen -«

Fred und George sahen aus, als ob sie sich ein wenig schämten.

»Mum hat Recht, Ginny«, sagte Bill sanft. »Das kannst du nicht machen. Alle Minderjährigen müssen gehen, das ist nur richtig so.«

»Ich kann nicht nach Hause gehen!«, rief Ginny und Tränen der Wut glänzten in ihren Augen. »Meine ganze Familie ist hier, ich halte es nicht aus, allein dort zu warten und nichts zu wissen und -«

Ihr Blick traf zum ersten Mal den Harrys. Sie sah ihn flehentlich an, doch er schüttelte den Kopf, und sie wandte sich verbittert ab.

»Schön«, sagte sie und starrte auf den Eingang des Tunnels, der zurück zum Eberkopf führte. »Dann sag ich jetzt also Lebewohl und -«

Ein Schlurfen war zu hören und ein mächtiger dumpfer Schlag: Noch jemand war aus dem Tunnel geklettert, war ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten und gestürzt. Er zog sich am nächsten Stuhl hoch, sah sich durch seine verrutschte Hornbrille um und sagte: »Bin ich zu spät?

Hat es schon angefangen? Ich hab eben erst davon erfahren, also ich – ich -

«

Stotternd verstummte Percy. Offenbar hatte er nicht erwartet, den größten Teil seiner Familie hier anzutreffen. Eine ganze Weile lang herrschte Erstaunen, bis Fleur sich schließlich an Lupin wandte und einen absolut durchschaubaren Versuch unternahm, die Spannung zu lösen, indem sie sagte: »Nun – wie geht es dem kleinen Teddy?«

Lupin blinzelte sie verdutzt an. Das Schweigen zwischen den Weasleys schien fest zu werden wie Eis.

»Ich – o ja – es geht ihm gut!«, sagte Lupin laut. »Ja, Tonks ist bei ihm

– im Haus ihrer Mutter.«

Percy und die anderen Weasleys starrten einander nach wie vor frostig an.

»Hier, ich hab ein Bild!«, rief Lupin, zog ein Foto aus seiner Jacke und zeigte es Fleur und Harry, die ein winziges Baby mit einem Büschel helltürkisfarbigem Haar sahen, das mit seinen dicken Fäustchen in die Kamera winkte.

»Ich war ein Idiot!«, brüllte Percy, so laut, dass Lupin das Foto beinahe fallen ließ. »Ich war ein Idiot, ich war ein aufgeblasener Trottel, ich war ein

– ein -«

»Ministeriumsverliebter, familienverleugnender, machthungriger Schwachkopf«, sagte Fred.

Percy schluckte.

»Ja, das war ich!«

»Nun, netter kann man es beim besten Willen nicht ausdrücken«, sagte Fred und streckte Percy die Hand entgegen.

Mrs Weasley brach in Tränen aus. Sie stürmte vor, schubste Fred beiseite und zog Percy in eine würgende Umarmung, während er ihr den Rücken tätschelte und dabei seinen Vater ansah.

»Tut mir leid, Dad«, sagte Percy.

Mr Weasley blinzelte ziemlich schnell, dann eilte auch er, um seinen Sohn zu umarmen.

»Was hat dich zur Vernunft gebracht, Perce?«, erkundigte sich George.

»Es dämmert mir schon eine ganze Weile«, sagte Percy und tupfte sich mit einem Zipfel seines Reiseumhangs unter seiner Brille die Augen. »Aber ich musste einen Weg finden rauszukommen, und das ist nicht so einfach im Ministerium, die sperren andauernd Verräter ein. Ich hab es geschafft, Kontakt mit Aberforth aufzunehmen, und er hat mir vor zehn Minuten den Hinweis gegeben, dass Hogwarts kämpfen wird, und hier bin ich.«

»Also, wir erwarten von unseren Vertrauensschülern, dass sie in Zeiten wie diesen die Führung übernehmen«, sagte George, indem er Percys wichtigtuerischste Art treffend nachahmte. »Nun lasst uns nach oben gehen und kämpfen, sonst sind alle guten Todesser schon weg.«

»Du bist also jetzt meine Schwägerin?«, fragte Percy und schüttelte Fleur die Hand, als sie mit Bill, Fred und George zur Treppe eilten.

»Ginny!«, bellte Mrs Weasley.

Ginny hatte während der Versöhnung versucht, sich unbemerkt auch nach oben zu schleichen.

»Molly, wie wär's damit«, sagte Lupin. »Warum bleibt Ginny nicht einfach hier, dann ist sie zumindest am Ort des Geschehens und weiß, was vor sich geht, ist aber nicht mitten im Kampfgetümmel?«

»Ich -«

»Das ist eine gute Idee«, sagte Mr Weasley entschieden. » Ginny, du bleibst in diesem Raum, hast du mich verstanden?«

Ginny schien die Vorstellung nicht sonderlich zu gefallen, doch unter dem ungewöhnlich strengen Blick ihres Vaters nickte sie. Auch Mr und Mrs Weasley und Lupin steuerten nun auf die Treppe zu.

»Wo ist Ron?«, fragte Harry. »Wo ist Hermine? «

»Sie müssen schon in die Große Halle hochgegangen sein«, rief Mr Weasley über die Schulter.

»Ich hab sie nicht vorbeigehen sehen«, erwiderte Harry.

»Sie sagten irgendwas von einem Badezimmer«, sagte Ginny, »nicht lange nachdem du weg warst.«

»Einem Badezimmer?«

Harry schritt rasch quer durch den Raum zu einer offenen Tür, die aus dem Raum der Wünsche führte, und sah im Badezimmer dahinter nach. Es war leer.

»Bist du sicher, dass sie Bade-?«

Doch dann brannte seine Narbe und der Raum der Wünsche verschwand: Er blickte durch das hohe schmiedeeiserne Doppeltor, das von geflügelten Ebern auf Säulen flankiert wurde, blickte über das dunkle Gelände zum Schloss, das hell erleuchtet war. Nagini hing über seinen Schultern. Er war beherrscht von jenem kalten, grausamen Gefühl der Entschlossenheit, das dem Mord vorausging.