"Kalle Blomquist" - читать интересную книгу автора (Линдгрен Астрид)NEUNTES KAPITELKalle fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Es war diese Stimme, die das verursachte. Äußerlich klang sie so weich, aber es war, als ob etwas sehr Unangenehmes und Gefährliches sich dahinter verberge. »Es scheint nicht so, als ob du dich besonders freust, uns zu sehen, alter Freund«, flötete die weiche Stimme. Onkel Einar griff mit beiden Händen um die Gartentür. »Doch«, sagte er, »ja, natürlich freue ich mich. Aber ihr kommt so unerwartet.« »Wirklich?« Der Blasse lachte. »Ja, du hast vergessen, uns deine Adresse zu hinterlassen, als du verschwandest. Zer-streutheit natürlich! Glücklicherweise hast du einen Brief an Lola mit einem einigermaßen deutlichen Poststempel geschrieben. Und Lola ist ein verständiges Mädchen. Wenn man ernsthaft mit ihr spricht, so ist sie nicht diejenige, die einem etwas vorenthält.« Onkel Einar atmete heftig. Er beugte sich über die Gartentür zu dem Blassen vor. »Was hast du mit Lola gemacht, du …?« »Ruhe, Ruhe!« Die weiche Stimme unterbrach ihn. »Reg dich nicht auf! Ruhe, Erholung und Ausspannung soll man in seinen Ferien haben. Denn das hier ist wohl ein kleiner Ferien-ausflug, soweit ich verstehe?« »Ja, ja«, sagte Onkel Einar. »Ich bin hierhergefahren, um mich ein bißchen auszuruhen.« »Das verstehe ich! Du hast in der letzten Zeit hart gearbeitet, was?« Es war die ganze Zeit über der blasse Ivar Redig, der das Wort führte. Der, den Kalle den Unangenehmen nannte, stand nur still da und lächelte, aber es war nicht das, was Kalle unter einem freundlichen Lächeln verstand. »Wenn ich dem in einer einsamen Straße begegnete, würde ich Angst bekommen«, dachte Kalle. »Obgleich es fraglich ist, ob es nicht noch schlimmer wäre, dem Blassen – Ivar Redig – zu begegnen.« »Was willst du eigentlich, Artur?« fragte Onkel Einar. »Artur – er heißt ja Ivar«, dachte Kalle. »Aber Schurken und Banditen – die haben ja wohl immer mehrere Namen.« »Du weißt verdammt gut, was ich will«, sagte der Blasse, und seine Stimme klang jetzt etwas härter. »Komm mit auf eine kleine Autofahrt, dann können wir die Sache besprechen.« »Ich habe nichts mit euch zu besprechen«, sagte Onkel Einar heftig. Der Blasse kam einen Schritt näher. »Nicht?« fragte er mild. Was war das, was er in der Hand hielt? Kalle mußte sich hin-unterbeugen, um besser sehen zu können. »Nee, nu schlägt’s ein«, flüsterte Kalle. Diesmal war es Onkel Einar, der vor einer Revolvermündung stand. Eigentümliche Gewohnheiten haben diese Leute! Laufen wochentags mit einem Revolver herum! Der Blasse ließ seine Hand zärtlich über das glänzende Metall gleiten, bevor er weitersprach: »Wenn du es dir etwas besser überlegt hast, so kommst du doch wohl mit?« »Nein«, rief Onkel Einar. »Nein! Ich habe nichts mit euch zu besprechen. Macht, daß ihr fortkommt, sonst …« »Sonst rufst du die Polizei, was?« Die beiden Männer vor der Gartentür lachten. »Ach nein, Einarchen, das läßt du wohl sein! Dir ist wohl ungefähr ebensowenig wie uns daran gelegen, die Polizei hineinzuziehen.« Der Blasse lachte wieder, ein merkwürdig unheimliches Lachen. »Denk mal an, wie gut du dir das ausgedacht hast, Einarchen! Eine kurze Zeit Ferien im tiefsten Inkognito hier, bis sich die schlimmste Aufregung gelegt hat. Viel schlauer, als zu versuchen, sofort ins Ausland zu kommen. Verständiger Bursche!« Er schwieg einen Augenblick. »Aber du bist doch etwas zu pfiffig gewesen«, fuhr er fort, und jetzt war die Stimme nicht mehr weich. »Es lohnt sich niemals, seine Teilhaber hintergehen zu wollen. Viele haben in jungen Jahren dran glauben müssen, die das versucht haben. So war es nicht gemeint, daß drei die Arbeit machen und einer die ganze Pinke für sich behält!« Der Blasse beugte sich über die Gartentür und betrachtete Onkel Einar mit einem so haßerfüllten Gesichtsausdruck, daß Kalle oben in seinem Baum zu schwitzen begann. »Weißt du, wozu ich Lust hätte?« sagte er. »Ich hätte Lust, dir eine Kugel durch den Leib zu jagen, so wie du hier gehst und stehst, du langes, feiges Reff!« Es schien, als ob Onkel Einar anfing, die Fassung wiederzu-gewinnen. »Und welchen Zweck soll das haben?« sagte er. »Willst du so gern wieder ins Kittchen zurück? Schieß mich nieder, und in fünf Minuten hast du die Polizei hier. Was ge-winnst du damit? Du glaubst wohl nicht, daß ich alles mit mir herumtrage? Nein, tu das kleine Spielzeug da weg« – er zeigte auf den Revolver –, »und laß uns vernünftig miteinander reden. Wenn ihr euch anständig benehmt, bin ich vielleicht bereit zu teilen.« »Dein Edelmut übersteigt alle Grenzen«, höhnte der Blasse. »Du bist bereit zu teilen! Schade, daß du etwas zu spät auf diese glänzende Idee gekommen bist! Ganz und gar zu spät! Denn siehst du, Einarchen, jetzt sind wir es, die nicht teilen wollen! Du bekommst eine kleine Weile Bedenkzeit – seien wir großzügig und sagen wir fünf Minuten –, und dann übergibst du uns den ganzen Rummel. Ich hoffe in deinem eigenen Interesse, daß du verstanden hast, was ich gesagt habe.« »Und wenn ich es nicht verstanden habe? Ich habe es nicht hier, und wenn du mich ins Jenseits beförderst, wird ganz bestimmt niemand dasein, der dir helfen kann, es zu finden.« »Einar, alter Freund, du glaubst wohl nicht, daß ich von gestern bin? Es gibt Mittel, Leute, die keine Vernunft annehmen wollen, zu zwingen, feine Mittel! Ich weiß, was du jetzt denkst. Ich weiß das ebensogut, als ob ich direkt in deinen verfaulten Schädel reingucken könnte. Du glaubst, du kannst uns noch einmal betrügen! Du glaubst, du kannst uns mit deinem Geschwätz von Teilung aufhalten, und dann haust du in aller Stille ab und schüttelst den Staub der Heimaterde von deinen Füßen, bevor wir es verhindern können! Aber ich will dir etwas sagen! Wir werden dich daran hindern, und zwar auf eine Weise, die du niemals vergessen wirst! Wir bleiben hier in der Stadt, Tjomme und ich. Und du sollst mal sehen, wie oft du uns treffen wirst. Jedesmal, wenn du versuchst, vor diese Gartentür zu gehen, wirst du deine lieben alten Freunde treffen. Und irgendwann werden wir wohl mal Gelegenheit haben, ungestört miteinander zu reden – meinst du nicht?« »Das ist richtig so, wie es immer in Büchern steht – ein unheilverkündendes Lächeln«, dachte Kalle und betrachtete nachdenklich das Gesicht des Blassen. Er beugte sich vor, um besser zu sehen, und im selben Augenblick knackte ein kleiner Zweig. Onkel Einar blickte hastig umher, um zu sehen, woher der Laut gekommen war, und Kalle wurde es eiskalt vor Schreck, und der Atem stockte ihm. »Wenn sie mich bloß nicht entdecken! Bloß nicht! Denn dann werde ich bestimmt liquidiert.« Er begriff, daß seine Situation äußerst gefährlich werden konnte, wenn man ihn entdeckte. Es war nicht anzunehmen, daß ein Mann vom Kaliber des Blassen viel Mitleid mit einem Zeugen haben würde, der das Gespräch der letzten zehn Minuten mit angehört hatte. Zum Glück schien keinem der drei Männer viel daran gelegen zu sein, näher zu untersuchen, wer die kleine Unterbrechung verursacht hatte. Kalle atmete erleichtert auf. Sein Herz war wieder an seinen normalen Platz zurückgesunken, als er plötzlich etwas zu sehen bekam, was es ihm wieder in den Hals Fahren ließ. Unten auf der Straße kam jemand. Eine kleine Gestalt in einem knallroten, viel zu großen Trainingsoverall. Es war Eva-Lotte. Sie schwenkte lustig ein nasses Kleid in der Hand und pfiff ihr Lieblingslied: »Es war einmal ein Mädchen, und die hieß Josefin.« »Wenn sie mich bloß nicht entdeckt«, wimmerte Kalle. »Nur nicht! Denn wenn sie ›Hallo, Kalle!‹ ruft, dann bin ich erledigt.« Eva-Lotte kam näher. »Klar, daß sie mich entdeckt. Klar, daß sie zu unserm Kundschafterplatz raufguckt! Ach, ach, warum hab’ ich mich bloß hier raufgesetzt!« »Hallo, Onkel Einar«, sagte Eva-Lotte. Onkel Einar freute sich immer, wenn er Eva-Lotte sah. Aber jetzt sah er nahezu verklärt aus. »Gut, daß du kommst, Eva-Lottchen«, sagte er. »Ich wollte gerade reingehen und sehen, ob Mutter das Mittagessen fertig hat. Komm, wir gehen zusammen.« Er winkte den beiden vor der Gartentür zu. »Auf Wiedersehen, Jungens«, sagte er. »Ich muß jetzt leider gehen.« »Auf Wiedersehen, lieber alter Einar«, sagte der Blasse. »Wir treffen uns wieder, da kannst du sicher sein.« Eva-Lotte sah Onkel Einar fragend an. »Willst du nicht deine Freunde bitten, mit reinzukommen und mit uns zu essen?« »Nein, weißt du, ich glaube nicht, daß sie Zeit haben.« Onkel Einar nahm Eva-Lottes Hand. »Ein andermal, kleines Fräulein«, sagte der Unangenehme. »Jetzt … jetzt kommt es drauf an«, dachte Kalle, als Eva-Lotte am Ahorn vorbeiging. »O Gott!« »Es war einmal ein Mädchen, und die hieß Josefin.« Eva-Lotte sang und warf gewohnheitsgemäß einen Blick zur Gabelung im Ahornbaum hinauf, dem Kundschafterplatz der Weißen Rose. Kalle blickte direkt in ihre lustigen blauen Augen. Während vieler Jahre hatte man den Krieg der Rosen mitgemacht. Man hatte auch an einer Menge furchtbarer Fehden zwischen Indianern und Bleichgesichtern teilgenommen. Man hatte als alliierter Spion während des Weltkrieges Dienst getan. Und man hat zwei Sachen gelernt: sich nicht überraschen lassen und den Mund halten, wenn es notwendig ist. Da sitzt ein Verbün-deter im Ahornbaum, aber er hält warnend den Finger vor den Mund, und seine ganze Miene ist ein einziges: »Sei still!« Eva-Lotte geht mit Onkel Einar weiter. »Das einz’ge, was sie hatte, das war ’ne Nähmaschin, Nähmaschin-schin-schin, Nähma-Nähma-Nähmaschin.« |
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