"Das Testament der Götter" - читать интересную книгу автора (Жак Кристиан)

Sehet, was die Ahnen vorausgesagt haben, ist eingetreten: Das Verbrechen hat sich ausgebreitet, Gewalt ist in die Herzen eingezogen, das Unheil zieht durch das Land, Blut flie#223;t, der Dieb bereichert sich, das L#228;cheln ist erloschen, die Geheimnisse sind allen preisgegeben, die B#228;ume sind entwurzelt, die Pyramide ist gesch#228;ndet worden, die Welt ist so tief gesunken, da#223; eine kleine Zahl von Toren sich des K#246;nigtums bem#228;chtigt hat und die Richter davongejagt wurden. Doch entsinne dich der Achtung der Maat, der rechten Folge der Tage, der gl#252;cklichen Zeit, in der die Menschen Pyramiden bauten und Haine f#252;r die G#246;tter gedeihen lie#223;en, jener gesegneten Zeit, in der eine einfache Matte die Bed#252;rfnisse eines jeden befriedigte und ihn gl#252;cklich machte.
Mahnworte des Weisen Ipu-we

15. Kapitel

»K#246;nntet Ihr mir den Ort angeben, wo Neferet arbeitet?«

»Du wirkst bek#252;mmert«, bemerkte Branir. »Es ist sehr wichtig«, beharrte Paser. »Ich verf#252;ge vielleicht endlich #252;ber ein stoffliches Beweismittel, aber ich kann es ohne die Mithilfe eines Heilkundigen nicht verwerten.«

»Ich habe sie gestern abend gesehen. Sie hat mit vollendeter Meisterschaft einer Ruhrseuche Einhalt geboten und an die drei#223;ig Krieger in weniger als einer Woche geheilt.«

»Krieger? Welchen Auftrag hatte man ihr anvertraut?«

»Eine von Neb-Amun aufgezwungene Drangsalierung.«

»Ich werde ihn durchbleuen, bis ihm alle Schlechtigkeit vergeht.«

»Stimmt dies tats#228;chlich mit den Aufgaben eines Richters #252;berein?«

»Dieser Tyrann verdient es, verurteilt zu werden.«

»Er hat sich nur damit begn#252;gt, seine Amtsgewalt auszu#252;ben.«

»Ihr wi#223;t, da#223; das nicht stimmt. Sagt mir die Wahrheit: Welche neuerliche Pr#252;fung hat dieser Unf#228;hige ihr auferlegt?«

»Er hat sich gel#228;utert, so scheint es; Neferet bekleidet nun das Amt einer Arzneiheilkundigen.« In den Wirkst#228;tten[42] der Arzneikunde nahe dem Tempel der G#246;ttin Sechmet wurden Hunderte von Pflanzen aufbereitet, die als Grundstoffe der nach Vorschrift zu bereitenden Heilmittel dienten. T#228;gliche Lieferungen gew#228;hrleisteten die Frische der den Stadt- und Land#228;rzten zugestellten Arzneien. Neferet #252;berwachte die genaue Ausf#252;hrung der Verordnungen. Gemessen an ihrem vorhergehenden Amt, handelte es sich bei dieser T#228;tigkeit um eine R#252;ckstufung; Neb-Amun hatte sie ihr als Pflichtabschnitt und Zeit der Ruhe dargestellt, bevor sie erneut Kranke pflegen durfte. Ihrer Lebensregel treu bleibend, hatte die junge Frau nicht aufbegehrt.

Am Mittag verlie#223;en die Arzneikundler die Wirkst#228;tten und begaben sich ins Haus der Speisung. Hier plauderte man gerne mit Berufsgenossen, besprach neue Heilmittel, beklagte die Mi#223;erfolge. Als Paser eintraf, unterhielten sich zwei Fachleute mit der l#228;chelnden Neferet; Paser war sich sicher, da#223; sie ihr den Hof machten.

Sein Herz schlug schneller; dennoch wagte er, sie zu unterbrechen. »Neferet …« Sie hielt inne. »Sucht Ihr mich?«

»Branir hat mir von den Ungerechtigkeiten berichtet, die Ihr erduldet habt. Sie emp#246;ren mich zutiefst.«

»Ich hatte das Gl#252;ck, heilen zu k#246;nnen. Alles #252;brige ist nicht von Wichtigkeit.«

»Eure Wissenschaft ist mir unerl#228;#223;lich.«

»Solltet Ihr leidend sein?«

»Eine heikle Untersuchung, die die Mithilfe eines Heilkundigen erfordert. Eine einfache Begutachtung, nichts weiter.«


Kem lenkte den Wagen mit sicherer Hand; der niederkauernde Pavian vermied es, auf die Stra#223;e zu schauen. Neferet und Paser standen Seite an Seite, mit Riemen um die Handgelenke, die am Kasten des Gef#228;hrts befestigt waren, um einem Sturz vorzubeugen. Bei den Rucken und St#246;#223;en streiften sich ihre K#246;rper fl#252;chtig. Neferet schien das gleichg#252;ltig, w#228;hrend Paser eine so geheime wie heftige Freude versp#252;rte. Er w#252;nschte, diese kurze Reise m#246;ge nie enden und die Piste schlechter und schlechter werden. Als sein rechtes Bein das der jungen Frau ber#252;hrte, zog er es nicht zur#252;ck; er bef#252;rchtete einen Verweis, der jedoch nicht kam. Ihr so nahe zu sein, ihren Duft zu riechen, zu glauben, sie dulde diese enge F#252;hlung … Ein herrlicher Traum … Vor der Werkstatt des Balsamierers standen zwei Soldaten Wache.

»Ich bin Richter Paser. La#223;t mich durch.«

»Unsere Befehle sind ausdr#252;cklich: Niemand darf hinein. Die St#228;tte ist beschlagnahmt.«

»Niemand darf sich der Gerechtigkeit in den Weg stellen. Solltet Ihr vergessen haben, da#223; wir uns in #196;gypten befinden?«

»Unsere Befehle …«

»Tretet zur Seite.«

Der Pavian baute sich zu voller Gr#246;#223;e auf und fletschte die Z#228;hne; mit starrem Blick und angewinkelten Armen aufrecht dastehend, war er bereit loszuspringen. Kem lockerte zusehends die Kette. Die beiden Krieger gaben nach. Kem stie#223; die T#252;r mit einem Fu#223;tritt auf.

Djui sa#223; am Balsamierungstisch und a#223; D#246;rrfisch. »F#252;hrt uns«, befahl Paser.

Argw#246;hnisch durchforschten Kem und der Affe den dunklen Raum, w#228;hrend der Richter und die Heilkundige, denen Djui leuchtete, in das Gew#246;lbe hinabstiegen.

»Welch grauenhafter Ort«, murmelte Neferet. »Wo ich doch Luft und Licht so sehr liebe!«

»Um aufrichtig zu sein, auch ich f#252;hle mich nicht sonderlich wohl.«

Der Balsamierer setzte seine Schritte unbeirrt und mit gewohntem Gang in seine ausgetretenen Spuren. Die Mumie war nicht von der Stelle bewegt worden; Paser stellte fest, da#223; niemand sie anger#252;hrt hatte. »Hier ist Euer Kranker, Neferet. Ich werde ihn unter Eurer Aufsicht auswickeln.«

Der Richter nahm die Binden behutsam ab; auf der Stirn erschien ein Amulett in Form eines Auges. Am Hals eine tiefe Wunde, zweifelsohne durch einen Pfeil verursacht.

»Unn#246;tig, weiter fortzufahren; wie alt war der Verblichene Eurer Ansicht nach?«

»Ungef#228;hr zwanzig Jahre«, sch#228;tzte Neferet.


Monthmose sann dar#252;ber nach, wie die Frage der schwierigen Verkehrslage zu l#246;sen war, die das Alltagsleben der Memphiter verg#228;llte: Zu viele Esel, zu viele Ochsen, zu viele Wagen, zu viele fahrende H#228;ndler und zu viele Gaffer verstopften die engen G#228;#223;chen und versperrten die Durchwege. Jedes Jahr fa#223;te er Verordnungen ab, eine undurchf#252;hrbarer als die andere, und legte sie nicht einmal mehr dem Wesir vor. Er begn#252;gte sich damit, Verbesserungen zu versprechen, an die niemand glaubte. Von Zeit zu Zeit beruhigte eine Ma#223;nahme der Ordnungsh#252;ter die Gem#252;ter; dann r#228;umte man eine Stra#223;e frei, in der das Halten f#252;r einige Tage untersagt wurde, erlegte den Zuwiderhandelnden Bu#223;en auf, bis die schlechten Gewohnheiten schlie#223;lich wieder die Oberhand gewannen.

Monthmose lie#223; die Verantwortung auf den Schultern seiner Untergebenen lasten und h#252;tete sich wohlweislich, ihnen die M#246;glichkeiten an die Hand zu geben, die Schwierigkeiten zu beseitigen; indem er sich #252;ber dem Get#252;mmel hielt und nur seine Gefolgsleute sich hineinst#252;rzen lie#223;, bewahrte er seinen ausgezeichneten Ruf.

Als man ihm Richter Pasers Anwesenheit im Warteraum ank#252;ndigte, trat er aus seinem Arbeitszimmer, um ihn zu begr#252;#223;en. Solcherlei Achtungsbezeigungen trugen ihm einiges an Wohlwollen ein. Das d#252;stere Gesicht des Gerichtsbeamten verhie#223; nichts Gutes.

»Mein Morgen ist sehr ausgef#252;llt, doch ich will Euch gerne empfangen.«

»Ich glaube, es ist unerl#228;#223;lich.«

»Ihr scheint ersch#252;ttert.«

»Ich bin es auch.«

Monthmose kratzte sich an der Stirn. Etwas unsicher geleitete er den Richter in sein Amtszimmer, aus dem er seinen pers#246;nlichen Schreiber sofort verwies. Angespannt lie#223; er sich auf einem prachtvollen, von Stierf#252;#223;en gezierten Stuhl nieder. Paser blieb stehen. »Ich h#246;re Euch zu.«

»Ein Offizier der Streitwagenk#228;mpfer hat mich zu Djui, dem Einbalsamierer des Heeres, gef#252;hrt. Er hat mir die Mumie des Mannes gezeigt, nach dem ich suche.«

»Die des ehemaligen Oberaufsehers des Sphinx? Dann ist er tot!«

»Zumindest hat man mich das glauben machen wollen.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Da die allerletzten Rituale noch nicht vollzogen waren, habe ich den oberen Teil der Mumie unter der Aufsicht der Heilkundigen Neferet ausgewickelt. Der K#246;rper ist der eines jungen Mannes von ungef#228;hr zwanzig Jahren, der wahrscheinlich von einem Pfeil t#246;dlich verletzt wurde. Ganz offenkundig handelt es sich bei dem K#246;rper nicht um den des Altgedienten.«

Der Vorsteher der Ordnungskr#228;fte wirkte wie vor den Kopf geschlagen.

»Diese Geschichte ist unglaublich!«

»#220;berdies«, fuhr der Richter unersch#252;tterlich fort, »haben zwei Krieger versucht, mir den Zugang in die Balsamierungswerkstatt zu verwehren. Als ich wieder herauskam, waren sie verschwunden.«

»Und der Name dieses Offiziers der Streitwagentruppe?«

»Ist mir nicht bekannt.«

»Eine erhebliche Wissensl#252;cke.«

»Glaubt Ihr nicht, da#223; er mich angelogen h#228;tte?« Widerwillig pflichtete Monthmose bei. »Wo ist der Leichnam?«

»Bei Djui und unter seiner Bewachung. Ich habe einen ausf#252;hrlichen Bericht verfa#223;t; er beinhaltet die Aussagen der Heilkundigen Neferet, des Balsamierers und meines Ordnungsh#252;ters Kem.« Monthmose hob die Augenbrauen. »Seid Ihr mit ihm zufrieden?«

»Er ist vorbildlich.«

»Seine Vergangenheit spricht nicht zu seinen Gunsten.«

»Er steht mir auf wirkungsvolle Weise bei.«

»H#252;tet Euch vor ihm.«

»Kehren wir, wenn Ihr wollt, zu dieser Mumie zur#252;ck.«

Der Vorsteher der Ordnungskr#228;fte verabscheute es, sich in einer Lage zu befinden, die er nicht vollends beherrschte. »Meine M#228;nner werden sie holen gehen, und wir werden sie untersuchen; wir m#252;ssen seinen Namen und Stand herausfinden.«

»Desgleichen m#252;ssen wir wissen, ob wir einem Todesfall gegen#252;berstehen, der auf eine Kampfhandlung der Streitkr#228;fte oder ein Verbrechen zur#252;ckgeht.«

»Ein Verbrechen! Das denkt Ihr doch nicht im Ernst?«

»Von meiner Seite aus f#252;hre ich die Ermittlungen weiter.«

»In welcher Richtung?«

»Ich bin zum Schweigen verpflichtet.«

»Nehmt Ihr Euch etwa vor mir in acht?«

»Eine unangebrachte Frage.«

»Ich bin in diesem Wirrwarr genauso kopflos wie Ihr. Sollten wir nicht in bestem Einvernehmen zusammenarbeiten?«

»Die Unabh#228;ngigkeit der Rechtsprechung erscheint mir vorteilhafter.«


Monthmoses Zorn lie#223; die W#228;nde des Hauses der Ordnungskr#228;fte erzittern. Noch am selben Tag wurden f#252;nfzig hohe Beamte abgestraft und zahlreicher Vorrechte beraubt. Zum ersten Male seit seiner Eroberung des hierarchischen Gipfels der Ordnungskr#228;fte war er nicht auf einwandfreie Weise unterrichtet worden. Verurteilte ein solches Versagen sein Herrschaftsgef#252;ge nicht zum Untergang? Er w#252;rde sich jedoch nicht kampflos st#252;rzen lassen. Leider schien das Heer Anstifter all dieser R#228;nke zu sein, deren Gr#252;nde weiter unverst#228;ndlich blieben. Sich auf diesem Gebiet vorzuwagen, brachte Gefahren mit sich, die Monthmose nicht eingehen wollte; falls der Heerf#252;hrer Ascher, den seine k#252;rzlichen Bef#246;rderungen unangreifbar machten, der ma#223;gebliche Kopf war, bestand f#252;r den Vorsteher der Ordnungskr#228;fte keinerlei Aussicht, ihn zur Strecke zu bringen. Dem kleinen Richter freien Lauf zu lassen, bot etliche Vorteile. Er verstrickte sich nur selbst und lie#223; im Ungest#252;m der Jugend kaum Vorsicht walten. Er lief Gefahr, verbotene T#252;ren aufzusto#223;en und Gesetzm#228;#223;igkeiten, von denen er nichts wu#223;te, zu #252;bergehen. Wenn er ihm auf der Spur bliebe, k#246;nnte Monthmose die Ergebnisse seiner Ermittlung insgeheim ausnutzen. Deshalb konnte er ihn sich ebensogut zu einem sachlichen und unabh#228;ngigen Bundesgenossen machen, bis er ihn nicht mehr ben#246;tigen w#252;rde.

Eine verwirrende Frage blieb jedoch bestehen: Weshalb war dieser Vertuschungsversuch eingef#228;delt worden? Der Initiator hatte Paser jedenfalls falsch eingesch#228;tzt in der festen #220;berzeugung, da#223; die Fremdheit und erstickende Unheimlichkeit des Ortes, die beklemmende Gegenwart des Todes, den Richter davon abhalten w#252;rden, sich genauer mit dieser Mumie zu befassen, und ihn dazu br#228;chte, seine Petschaft anzubringen und flugs zu verschwinden. Das genaue Gegenteil war eingetreten; weit entfernt, die Angelegenheit gleichg#252;ltig auf sich beruhen zu lassen, hatte der Amtmann deren Ausma#223; sehr wohl erahnt.

Monthmose versuchte sich zu beruhigen: Das Verschwinden eines einfachen Altgedienten und Inhabers eines Ehrenamtes vermochte doch trotz allem das Land nicht zu ersch#252;ttern! Zweifellos handelte es sich um ein Verbrechen aus niederen Beweggr#252;nden, das irgendein Soldat begangen hatte, und ein Krieger hohen Ranges, Ascher oder einer seiner Gefolgsleute, sch#252;tzte ihn nun. In dieser Richtung w#252;rde man weitersuchen m#252;ssen.