"Das Testament der Götter" - читать интересную книгу автора (Жак Кристиан)
Sehet, was die Ahnen vorausgesagt haben, ist eingetreten: Das Verbrechen hat sich ausgebreitet, Gewalt ist in die Herzen eingezogen, das Unheil zieht durch das Land, Blut flie#223;t, der Dieb bereichert sich, das L#228;cheln ist erloschen, die Geheimnisse sind allen preisgegeben, die B#228;ume sind entwurzelt, die Pyramide ist gesch#228;ndet worden, die Welt ist so tief gesunken, da#223; eine kleine Zahl von Toren sich des K#246;nigtums bem#228;chtigt hat und die Richter davongejagt wurden. Doch entsinne dich der Achtung der Maat, der rechten Folge der Tage, der gl#252;cklichen Zeit, in der die Menschen Pyramiden bauten und Haine f#252;r die G#246;tter gedeihen lie#223;en, jener gesegneten Zeit, in der eine einfache Matte die Bed#252;rfnisse eines jeden befriedigte und ihn gl#252;cklich machte. Mahnworte des Weisen Ipu-we
3. Kapitel
Paser folgte Branir, der ihn in das Viertel des Ptah im S#252;den der alten Feste mit wei#223;en Mauern geleitete. #220;ber das Schicksal des Esels und des Hundes machte er sich keine Sorgen; um sein eigenes war dem jungen Mann schon eher bange. Unweit des Palastes waren mehrere Verwaltungsgeb#228;ude errichtet worden, deren Zug#228;nge von Soldaten bewacht wurden. Der ehrw#252;rdige Arzt wandte sich an einen Rangh#246;heren; nachdem dieser sein Ersuchen angeh#246;rt hatte, entfernte er sich f#252;r einige Augenblicke und kam im Beisein eines hohen Gerichtsbeamten, eines Beauftragten des Wesirs, zur#252;ck. »Hocherfreut, Euch wiederzusehen, Branir; dies also ist Euer Sch#252;tzling.«
»Paser ist sehr bewegt.«
»Eine keineswegs tadelnswerte Regung in Anbetracht seines Alters. Ist er gleichwohl bereit, seine neuen #196;mter auszuf#252;llen?«
Durch den leisen Spott der hohen Pers#246;nlichkeit verletzt, wandte Paser forsch ein: »Solltet Ihr daran zweifeln?«
Der Beauftragte runzelte die Augenbrauen. »Ich entf#252;hre ihn Euch, Branir; wir m#252;ssen zur Einsetzung schreiten.«
Der warmherzige Blick des alten Arztes fl#246;#223;te seinem Sch#252;ler den Mut ein, der ihm noch fehlte; welche auch immer die Schwierigkeiten sein mochten, er wollte Branir Ehre machen. Paser wurde in einen kleinen, rechteckigen Raum mit wei#223;en, nackten W#228;nden gef#252;hrt; der Bevollm#228;chtigte forderte ihn auf, sich im Schneidersitz auf einer Matte dem Ehrengericht gegen#252;ber niederzulassen, das sich aus ihm selbst, dem Gauf#252;rsten von Memphis, dem Vertreter des Hauses der Arbeit und einem der Gottesdiener des Ptah zusammensetzte, welcher einen hohen Rang in der geistlichen Obrigkeit einnahm. Alle vier hatten schwere Per#252;cken auf den H#228;uptern und waren mit weiten Schurzen gewandet. Die Gesichter dr#252;ckten keinerlei Regung aus.
»Ihr befindet Euch am Ort der ›Ermittlung des Unterschiedes‹[14]«, verk#252;ndete der Beauftragte des Wesirs und Vorsteher der Gerichtsverwaltung. »Hier werdet Ihr zu einem sich von anderen unterscheidenden Manne werden, der gehalten sein wird, #252;ber seinesgleichen zu richten. Wie Eure Amtsgenossen im Gau Gizeh werdet Ihr Ermittlungen f#252;hren, den unter Eurer Amtsgewalt stehenden #246;rtlichen Gerichten Vorsitzen und Euch Euren Vorgesetzten anheimstellen, wenn die Angelegenheiten Eure Befugnisse #252;bersteigen. Verpflichtet Ihr Euch dazu?«
»Ich verpflichte mich dazu.«
»Seid Ihr Euch bewu#223;t, da#223; dieses Ehrenwort nicht zur#252;ckgenommen werden kann?«
»Dessen bin ich mir bewu#223;t.«
»So m#246;ge dieses Gericht nun gem#228;#223; den Geboten der Maat verfahren und #252;ber den zuk#252;nftigen Richter richten.«
Der Gauf#252;rst hob mit dunkler und gemessener Stimme an: »Welche Art von Geschworenen werdet Ihr einberufen, um Euer Gericht zusammenzustellen?«
»Schreiber, Handwerker, Ordnungsh#252;ter, M#228;nner von Erfahrung, ehrw#252;rdige Frauen, Witwen.«
»In welcher Weise werdet Ihr in deren Beratungen eingreifen?«
»In keiner Weise. Ein jeder wird sich unbeeinflu#223;t aussprechen k#246;nnen, und ich werde jede Ansicht achten, um mein Urteil zu bilden.«
»Unter allen Umst#228;nden?«
»Mit Ausnahme eines einzigen: wenn einer der Geschworenen bestochen worden w#228;re. Dann w#252;rde ich die laufende Verhandlung unterbrechen, um ihn unverz#252;glich unter Anklage zu stellen.«
»Wie m#252;#223;t Ihr im Falle eines Verbrechens vorgehen?« fragte der Vertreter des Hauses der Arbeit. »Eine Voruntersuchung f#252;hren, einen Vorgang anlegen und diesen an das Amt des Wesirs weiterleiten.« Der Gottesdiener des Ptah legte seine rechte Hand quer #252;ber seine Brust, die geschlossene Faust gegen die Schulter gepre#223;t.
»Keine Handlung wird beim Gericht des Jenseits vergessen werden; dein Herz wird auf eine der Waagschalen gelegt und gegen die Maat gewogen werden. Wie wurde das Gesetz weitergegeben, dem du Achtung verschaffen mu#223;t?«
»Es gibt zweiundvierzig Gaue und zweiundvierzig Gesetzesschriftrollen; sein Geist jedoch wurde nicht aufgeschrieben und darf auch nicht aufgeschrieben werden. Die Wahrheit kann nur auf m#252;ndlichem Wege, aus dem Mund des Meisters zum Ohr des Lernenden, weitergegeben werden.« Der Diener des Ptah l#228;chelte; doch der Bevollm#228;chtigte des Wesirs war noch nicht zufrieden. »Wie legt Ihr die Maat aus?«
»Sie ist Brot und Bier.«
»Was bedeutet diese Antwort?«
»Gerechtigkeit f#252;r alle, f#252;r Hohe und Niedere.«
»Weshalb wird die Maat durch eine Strau#223;enfeder versinnbildlicht?«
»Weil Maat F#228;hrmann zwischen unserer Welt und der der G#246;tter ist; die Feder ist das Steuer, das Ruder des Vogels wie das des Wesens. Die Maat, der Hauch des Lebens, mu#223; in der Nase des Menschen verbleiben und das #220;bel der Herzen und der K#246;rper vertreiben[15]. Falls die Gerechtigkeit verschw#228;nde, w#252;rde das Korn nicht mehr gedeihen, die Aufst#228;ndischen w#252;rden die Macht #252;bernehmen, und die Gottesfeste w#252;rden nicht mehr begangen werden.« Der Gauf#252;rst erhob sich und legte vor Paser einen Kalkquader nieder.
»Legt Eure Hand auf diesen wei#223;en Stein.« Der junge Mann gehorchte. Er war vollkommen ruhig.
»M#246;ge er Zeuge Eures Eides sein; er wird sich auf ewig der Worte entsinnen, die Ihr ausgesprochen habt, und wird Euer Ankl#228;ger sein, falls Ihr Verrat an der Maat begeht.«
Der Gauf#252;rst und der Vertreter des Hauses der Arbeit stellten sich zu beiden Seiten des Richters auf.
»Erhebt Euch«, forderte der Bevollm#228;chtigte des Wesirs.
»Hier, Euren Siegelring«, sagte er, indem er ihm eine kleine, rechteckige Platte mit einem daran verl#246;teten Reif #252;berreichte, den Paser #252;ber seinen rechten Mittelfinger streifte. Auf der glatten Fl#228;che der goldenen Platte war »Richter Paser« eingeschnitten. »Die Schriftst#252;cke, denen Ihr Euer Petschaft aufdr#252;ckt, werden amtliche Geltung haben und Eure Verantwortlichkeit ber#252;hren; bedient Euch dieses Rings nicht leichtfertig.«
Der Amtssitz des Richters befand sich in der s#252;dlichen Vorstadt von Memphis, in halber Entfernung zwischen dem Nil und dem westlichen Kanal und s#252;dlich vom Tempel der Hathor. Der junge Mann vom Lande, der eine beeindruckende Wohnstatt erwartet hatte, wurde bitter entt#228;uscht. Die Verwaltung hatte ihm lediglich ein niedriges Haus mit zwei Geschossen zugestanden.
Auf der Schwelle sa#223; ein schlummernder W#228;chter. Paser klopfte ihm auf die Schulter; der Mann fuhr hoch.
»Ich w#252;rde gerne eintreten.«
»Die Amtsstube ist geschlossen.«
»Ich bin der Richter.«
»Das w#252;rde mich wundern … Der ist tot.«
»Ich bin Paser, sein Nachfolger.«
»Aha, Ihr seid das … der Gerichtsschreiber Iarrot hat mir diesen Namen genannt, das ist wahr. Habt Ihr einen Beweis f#252;r Eure Behauptung?« Paser zeigte ihm den Petschaftsring.
»Ich hatte den Auftrag, diese St#228;tte bis zu Eurem Eintreffen zu bewachen; mein Auftrag ist also beendet.«
»Wann werde ich meinen Gerichtsschreiber sehen?«
»Das wei#223; ich nicht. Er mu#223; eine heikle Angelegenheit l#246;sen.«
»Welche?«
»Das Feuerholz. Im Winter wird es hier recht kalt; letztes Jahr hat das Schatzhaus es abgelehnt, Holz in diese Amtsstube zu liefern, weil das Gesuch nicht in dreifacher Ausf#252;hrung eingereicht worden war. Iarrot hat sich zum Amt der Schriftenverwahrung begeben, um die Lage ins reine zu bringen. Ich w#252;nsche Euch gutes Gelingen, Richter Paser; Ihr werdet nicht Gefahr laufen, Euch hier in Memphis zu langweilen.« Der Wachmann schn#252;rte sein B#252;ndel und ging davon.
Paser stie#223; die T#252;r seines neuen Reichs auf. Das Amtszimmer war ein recht gro#223;er Raum, mit Schr#228;nken und Truhen vollgestellt, in denen geb#252;ndelte oder gesiegelte Papyrusrollen verwahrt waren. Auf dem Boden lag eine nicht ganz geheure Schicht Staub. Angesichts dieser unerwarteten Not z#246;gerte Paser keinen Augenblick. Der W#252;rde seines Amtes zum Trotz ergriff er einen Besen, der aus langen, steifen, zopfartig gedrehten Faserb#252;scheln bestand, welche zwei Sechsfachverschn#252;rungen zusammenhielten; der starre Stiel erm#246;glichte eine geschmeidige und gleichm#228;#223;ige Handhabung.
Als die S#228;uberung beendet war, nahm er den Bestand der Schriftenkammer in Augenschein: Unterlagen des Amts f#252;r Liegenschaften und des Schatzhauses, verschiedene Berichte, Klagen, Buchhaltungsaufzeichnungen und Belege #252;ber Lohnzahlungen in Getreide, K#246;rben oder Stoffen, Aufstellungen von Bediensteten … Seine Befugnisse reichten in die unterschiedlichsten Gebiete.
Im gr#246;#223;ten der Schr#228;nke fand sich die unerl#228;#223;liche Ausr#252;stung des Schreibers: Paletten mit Aush#246;hlungen auf der Oberseite, um die rote und die schwarze Tinte darin aufzunehmen; feste Tuschesteine, Becher, Beutel mit zermahlenen Pigmenten, Beutel mit Pinseln, Schabmessern, Gummi; steinerne M#246;rser, Leinenschn#252;rchen; ein Schildkr#246;tenpanzer, um Mischungen vorzunehmen; eine irdene Pavianfigur, die Thot, den Herrn der Hieroglyphen, beschwor; Kalksteinst#252;cke, die f#252;r Entw#252;rfe benutzt wurden; Tafeln aus Ton, Kalk und Holz. Alles war von besonderer G#252;te.
In einem K#228;stchen aus Akazienholz ruhte einer der kostbarsten Gegenst#228;nde: eine Wasseruhr. Das kleine, kegelstumpff#246;rmige Gef#228;#223; war im Innern nach zwei unterschiedlichen Ma#223;einheiten durch zw#246;lf Kerben eingeteilt; das Wasser lief durch ein Loch im Boden der Uhr aus und ma#223; auf diese Weise die Stunden. Ohne Zweifel mu#223;te der Gerichtsschreiber es wohl als notwendig erachten, #252;ber die bei seiner Arbeit verbrachte Zeit genauestens zu wachen. Eine Pflicht dr#228;ngte sich vor allen anderen auf. Paser nahm einen feinst zugeschnittenen Binsenpinsel, tauchte die Spitze in einen mit Wasser gef#252;llten Becher und lie#223; einen Tropfen auf die Palette fallen, derer er sich bedienen wollte. Er murmelte das Gebet, das jeder Schreiber vor seinem Werk aufsagte: »Wasser des Tintensteins f#252;r deinen Ka[16] Imhotep«; auf die Art wurde der Sch#246;pfer der ersten Pyramide verehrt, der Baumeister, Heilkundige, Sterndeuter und Vorbild all jener, welche mit Hieroglyphen umgingen.
Hierauf stieg der Richter ins Obergescho#223;. Die Dienstwohnung war seit langem nicht mehr benutzt worden; Pasers Vorg#228;nger, der es vorgezogen hatte, ein kleines Haus am Rande der Stadt zu bewohnen, hatte vers#228;umt, die drei R#228;ume zu unterhalten, die nun Wanzen, Fliegen, M#228;use und Spinnen beherbergten.
Der junge Mann lie#223; sich nicht entmutigen; er f#252;hlte sich Manns genug, den Kampf aufzunehmen. Auf dem Lande mu#223;ten die Behausungen h#228;ufig entseucht und von solch unerw#252;nschten G#228;sten befreit werden.
Nachdem er sich die n#246;tigen Mittel aus einem kleinen Laden des Viertels besorgt hatte, machte Paser sich ans Werk. Er besprengte die W#228;nde und den Boden mit Wasser, in dem er Natron gel#246;st hatte, best#228;ubte sie dann mit einem Gemisch aus zersto#223;ener Kohle und der Pflanze bebet[17], deren kr#228;ftiger Geruch Geschmei#223; und Ungeziefer fernhielt. Endlich vermengte er Weihrauch, Myrrhe, Cinnamomum[18] sowie Honig und nahm eine Ausr#228;ucherung vor, die das Gem#228;uer l#228;uterte, indem es ihm einen angenehmen Duft verlieh. Um diese kostspieligen Stoffe zu erwerben, hatte er sich verschulden m#252;ssen und den gr#246;#223;ten Teil seines n#228;chsten Gehalts ausgegeben.
Ersch#246;pft entrollte er seine Matte und breitete sie auf dem Boden aus. Etwas st#246;rte ihn jedoch und hinderte ihn am Einschlafen: der Petschaftsring. Doch er nahm ihn nicht ab. Der Hirte Pepi hatte sich nicht geirrt: Er hatte keine Wahl mehr.