"Das Testament der Götter" - читать интересную книгу автора (Жак Кристиан)
Sehet, was die Ahnen vorausgesagt haben, ist eingetreten: Das Verbrechen hat sich ausgebreitet, Gewalt ist in die Herzen eingezogen, das Unheil zieht durch das Land, Blut flie#223;t, der Dieb bereichert sich, das L#228;cheln ist erloschen, die Geheimnisse sind allen preisgegeben, die B#228;ume sind entwurzelt, die Pyramide ist gesch#228;ndet worden, die Welt ist so tief gesunken, da#223; eine kleine Zahl von Toren sich des K#246;nigtums bem#228;chtigt hat und die Richter davongejagt wurden. Doch entsinne dich der Achtung der Maat, der rechten Folge der Tage, der gl#252;cklichen Zeit, in der die Menschen Pyramiden bauten und Haine f#252;r die G#246;tter gedeihen lie#223;en, jener gesegneten Zeit, in der eine einfache Matte die Bed#252;rfnisse eines jeden befriedigte und ihn gl#252;cklich machte. Mahnworte des Weisen Ipu-we
4. Kapitel
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als der Gerichtsschreiber Iarrot mit schwerem Tritt in das Amtszimmer kam. Massig, pausb#228;ckig, mit rotem, von Kupferrose gezeichnetem Gesicht, tat er keinen Schritt, ohne seinem Gang den Takt eines mit seinem Namen gezeichneten Stocks aufzuerlegen, welcher ihn zu einer bedeutenden und geachteten Pers#246;nlichkeit machte. Iarrot, gut und gern um die Vierzig, war gl#252;cklicher Vater eines M#228;dchens, Ursache all seiner Sorgen. Alle Tage n#228;mlich stritt er sich mit seiner Gattin wegen der Erziehung des Kindes, das er unter keinerlei Vorwand hemmen und einschr#228;nken wollte. Das Haus erscholl st#228;ndig von ihrem zunehmend heftiger werdenden Gez#228;nk.
Zu seiner gro#223;en #220;berraschung r#252;hrte gerade ein Arbeiter Gips unter zersto#223;enen Kalk, um diesen wei#223;er zu machen, pr#252;fte dann die Beschaffenheit des Erzeugnisses, indem er es in einen Kalksteinkegel go#223;, und verstopfte schlie#223;lich ein Loch in der Vorderwand des richterlichen Wohnhauses.
»Ich habe keine Arbeiten angeordnet«, sagte Iarrot erz#252;rnt.
»Ich schon. Und besser noch, ich f#252;hre sie unverz#252;glich aus.«
»Mit welchem Recht?«
»Ich bin der Richter Paser.«
»Aber … Ihr seid sehr jung!«
»Solltet Ihr mein Gerichtsdiener sein?«
»In der Tat.«
»Der Tag ist schon recht weit vorgeschritten.«
»Gewi#223;, gewi#223; … doch ich wurde von h#228;uslichen Verdrie#223;lichkeiten aufgehalten.«
»Welche dringenden F#228;lle stehen an?« fragte Paser, w#228;hrend er mit dem Verputzen fortfuhr. »Die Klage eines Baumeisters. Er verf#252;gte #252;ber Ziegelsteine, doch es fehlte ihm an Eseln, um sie zu bef#246;rdern. Er beschuldigt den Verleiher, sein Bauwerk absichtlich zu behindern.«
»Das ist in Ordnung gebracht.«
»Auf welche Weise?«
»Ich habe den Verleiher heute morgen aufgesucht. Er wird den Gesch#228;ftsmann entsch#228;digen und die Ziegelsteine schon morgen bef#246;rdern; eine Verhandlung wurde abgewendet.«
»Seid Ihr auch Verputzer?«
»Ein kaum begabter Laie. Die uns vom Schatzhaus zugeteilten Mittel sind ziemlich d#252;rftig; daher werden wir uns in den meisten F#228;llen selbst helfen m#252;ssen. Weiter?«
»Ihr werdet zu einer Viehz#228;hlung erwartet.«
»Gen#252;gt der eigens daf#252;r geschulte Schreiber nicht?«
»Der Gebieter des Anwesens, der Zahnheilkundler Qadasch, ist davon #252;berzeugt, da#223; einer seiner Bediensteten ihn bestiehlt. Er hat um eine Untersuchung gebeten; Euer Vorg#228;nger hat diese so lange wie m#246;glich hinausgeschoben. Offen gesagt, ich habe ihn verstanden. Falls Ihr es w#252;nscht, werde ich Beweggr#252;nde finden, um sie noch weiter zu verz#246;gern.«
»Das wird nicht notwendig sein. #220;brigens … wi#223;t Ihr einen Besen zu handhaben?« Da der Gerichtsdiener stumm blieb, reichte der Richter ihm den kostbaren Gegenstand.
Wind des Nordens war nicht unzufrieden dar#252;ber, erneut die Landluft zu kosten; als Tr#228;ger der richterlichen Ausr#252;stung schritt er kr#228;ftig aus, w#228;hrend Brav in der Gegend umherstreunte und freudig ein paar V#246;gel aufscheuchte. Wie gewohnt hatte Wind des Nordens sogleich die Ohren gespitzt, als der Richter ihm andeutete, da#223; sie sich zum Gut des Zahnheilkundlers Qadasch begeben w#252;rden, das zwei Stunden Fu#223;marsches s#252;dlich der Hochebene von Gizeh lag; der Esel hatte ohne Z#246;gern die rechte Richtung eingeschlagen.
Paser wurde #252;beraus herzlich vom Gutsverwalter begr#252;#223;t. Dieser war nur zu gl#252;cklich, einen befugten Richter empfangen zu k#246;nnen, welcher geneigt war, ein Geheimnis aufzukl#228;ren, das das Leben der Viehhirten vergiftete. Diener wuschen ihm die F#252;#223;e, boten ihm einen neuen Schurz an und machten sich dazu noch anheischig, ihm den, den er trug, zu s#228;ubern; zwei junge Burschen f#252;tterten den Esel und den Hund. Qadasch wurde #252;ber die Ankunft des Amtmannes benachrichtigt, und man errichtete in aller Eile einen erh#246;hten Bretterboden mit einem rotschwarzen, von Lotoss#228;ulchen getragenen Himmel dar#252;ber; vor Sonne gesch#252;tzt, w#252;rden sich hierunter Qadasch, Paser und der f#252;r die Herden zust#228;ndige Schreiber niederlassen.
Als dann der Gebieter des Anwesens erschien, mit einem langen Stab in der rechten Hand und von Tr#228;gern mit seinen Sandalen, seinem Sonnenschirm und seinem Prunkstuhl gefolgt, begannen Musikantinnen sistrum[19] und Fl#246;te zu spielen, und junge B#228;uerinnen reichten ihm Lotosbl#252;ten dar. Qadasch war ein Mann um die Sechzig mit #252;ppiger, wei#223;er Haarpracht; ein gro#223;er Mann mit einer auffallenden, von violetten #196;derchen durchzogenen Nase, niedriger Stirn und vortretenden Wangenknochen, der sich h#228;ufig die tr#228;nenden Augen wischte.
Paser wunderte sich #252;ber die rote Verf#228;rbung seiner H#228;nde; ganz ohne Zweifel litt der Zahnheilkundler an einem schlechten Blutkreislauf. Qadasch ma#223; ihn mit argw#246;hnischem Blick. »Also Ihr seid der neue Richter?«
»Zu Euren Diensten. Es ist erfreulich festzustellen, da#223; die Bauern fr#246;hlich sind, wenn der Gebieter des Anwesens ein edles Herz besitzt und den Stab fest in H#228;nden h#228;lt.«
»Ihr werdet es weit bringen im Leben, junger Mann, wenn Ihr die Hohen achtet.«
Der Zahnheilkundige, dessen Sprache ungelenk wirkte, war fein gewandet. Geschlitzter Prunkschurz, Wams aus Raubtierleder, eine Halskette von sieben Reihen blauer, wei#223;er und roter Perlen sowie Armreife an den Handgelenken verliehen ihm ein stattliches Aussehen.
»Setzen wir uns«, schlug er vor. Er selbst nahm auf seinem Lehnstuhl aus bemaltem Holz Platz; Paser lie#223; sich auf einem kubischen Sitz nieder. Vor ihm wie vor dem Schreiber der Herden stand ein kleiner, niedriger Tisch, der f#252;r das Schreibzeug vorgesehen war.
»Eurer Erkl#228;rung zufolge«, erinnerte der Richter, »besitzt Ihr einhunderteinundzwanzig St#252;ck Rindvieh, siebzig Schafe, sechshundert Ziegen und ebenso viele Schweine.«
»So ist es. Bei der letzten Z#228;hlung, vor zwei Monaten, fehlte ein Ochse! Nun ist aber mein Vieh von gro#223;em Wert; das magerste St#252;ck k#246;nnte leicht gegen ein Leinengewand und zehn Sack Gerste eingetauscht werden. Ich will, da#223; Ihr den Dieb festsetzt.«
»Habt Ihr Eure eigene Untersuchung durchgef#252;hrt?«
»Das ist nicht meines Amtes.« Der Richter wandte sich an den auf einer Matte sitzenden Schreiber der Herden. »Was habt Ihr in Euren Verzeichnissen vermerkt?«
»Die Anzahl der Tiere, die man mir vorgezeigt hat.«
»Wen habt Ihr befragt?«
»Niemanden. Meine Arbeit besteht im Schreiben, nicht im Befragen.«
Paser w#252;rde nichts weiter aus ihm herausbringen; gereizt zog er aus seinem Korb ein mit einer feinen Gipsschicht #252;berzogenes T#228;felchen aus Sykomore, einen zugeschnittenen Binsenpinsel von f#252;nfundzwanzig Zentimetern L#228;nge sowie einen Wasserbecher hervor, in dem er die schwarze Tinte anr#252;hrte. Als er bereit war, gab er dem Gutsverwalter einen Wink, die Vorf#252;hrung zu beginnen. Mit einem leichten Klaps auf den Hals des ungeheuren Ochsen an der Spitze trieb dieser den Zug an. Das Tier setzte sich beh#228;big in Bewegung, von seinen schweren und friedlichen Artgenossen gefolgt. »Herrlich, nicht wahr?«
»Ihr m#246;gt dem Z#252;chter meine Anerkennung ausdr#252;cken«, empfahl Paser.
»Der Dieb mu#223; ein Hethiter oder ein Nubier sein«, meinte Qadasch. »Es gibt viel zu viele Fremde in Memphis.«
»Ist Euer Name nicht libyschen Ursprungs?« Der Zahnheilkundler verbarg seine Ver#228;rgerung nur schlecht.
»Ich lebe seit langer Zeit in #196;gypten, und ich geh#246;re zur besten Gesellschaft; ist der Reichtum meines Anwesens nicht der augenscheinlichste Beweis? Ich habe die hochr#252;hmlichsten H#246;flinge behandelt, das solltet Ihr wissen. Bleibt an Eurem Platz!« Mit Fr#252;chten, Lauchbunden, K#246;rben voll Lattich und Gef#228;#223;en mit Duftstoffen beladene Tr#228;ger begleiteten die Tiere. Ganz offenkundig handelte es sich hier nicht um eine einfache #220;berpr#252;fung der Viehz#228;hlung; Qadasch wollte den neuen Richter blenden und ihm das Ausma#223; seines Verm#246;gens vorzeigen. Brav hatte sich ger#228;uschlos unter den Sitz seines Herrn geschlichen und betrachtete das nacheinander vorbeiziehende Vieh.
»Aus welchem Landstrich stammt Ihr?« fragte der Zahnheilkundler.
»Ich bin es, der hier die Ermittlung leitet.« Zwei angespannte Ochsen trotteten an den erh#246;ht Sitzenden vor#252;ber; pl#246;tzlich legte sich der #228;ltere auf den Boden und str#228;ubte sich weiterzugehen. »H#246;r auf, dich totzustellen«, sagte der Kuhtreiber; der Gescholtene sah ihn mit furchtsamem Blick an, bewegte sich jedoch nicht. »Schlag ihn«, befahl Qadasch. »Einen Augenblick«, forderte Paser, indem er von dem Bretterboden herabstieg. Der Richter streichelte die Weichen des Ochsen, bes#228;nftigte ihn und versuchte mit Hilfe des Kuhhirten, ihn wieder auf die Beine zu bringen. Beruhigt stand das Tier wieder auf. Paser ging an seinen Platz zur#252;ck. »Ihr seid recht empfindsam«, meinte Qadasch sp#246;ttisch.
»Ich verabscheue Gewalt.«
»Ist sie nicht bisweilen n#246;tig? #196;gypten hat sich gegen Eindringlinge schlagen m#252;ssen, M#228;nner sind f#252;r unsere Freiheit gestorben. Solltet Ihr sie etwa deswegen verdammen?«
Paser richtete sein Augenmerk wieder auf den Zug der Tiere; der Schreiber der Herden z#228;hlte. Zum Abschlu#223; der Z#228;hlung fehlte im Vergleich zu den Angaben des Eigent#252;mers ein Ochse. »Untragbar!« br#252;llte Qadasch, dessen Gesicht sich purpurn verf#228;rbte. »Man bestiehlt mich – auf meinem eigenen Grund und Boden –, und niemand will den Schuldigen verraten!«
»Eure Tiere d#252;rften doch gekennzeichnet sein.«
»Selbstverst#228;ndlich!«
»La#223;t die M#228;nner kommen, die die Brandmarkungen vorgenommen haben.«
Sie waren f#252;nfzehn an der Zahl; der Richter sonderte sie so voneinander ab, da#223; sie sich nicht besprechen konnten, und verh#246;rte sie einen nach dem anderen.
»Ich habe Euren Dieb«, verk#252;ndete er Qadasch endlich.
»Sein Name?«
»Kani.«
»Ich verlange die augenblickliche Einberufung eines Gerichts.«
Paser willigte ein. Er w#228;hlte einen Kuhtreiber, einen Ziegenhirten, den Schreiber der Herden und einen der W#228;chter des Gutes zu Geschworenen. Kani, der keineswegs zu fliehen beabsichtigt hatte, stellte sich aus freien St#252;cken vor dem Gericht ein und hielt dem zornigen Blick Qadaschs stand, der sich etwas abseits hielt. Der Beschuldigte war ein st#228;mmiger, vierschr#246;tiger Mann mit brauner, von tiefen Falten zerfurchter Haut. »Gesteht Ihr Eure Schuld ein?« fragte der Richter. »Nein.«
Qadasch schlug mit seinem Stab auf den Boden. »Dieser R#228;uber ist unversch#228;mt! Er soll auf der Stelle gez#252;chtigt werden!«
»Schweigt!« befahl der Richter. »Wenn Ihr die Sitzung st#246;rt, unterbreche ich die Verhandlung sofort.« Erregt wandte der Zahnheilkundige sich ab. »Habt Ihr einen Ochsen auf den Namen Qadasch gekennzeichnet?« fragte Paser. »Ja«, antwortete Kani. »Dieses Tier ist verschwunden.«
»Er ist mir entlaufen. Ihr werdet ihn auf dem Nachbarfeld finden.«
»Wie erkl#228;rt sich diese Nachl#228;ssigkeit?«
»Ich bin kein Kuhhirte, ich bin G#228;rtner. Meine eigentliche Arbeit besteht darin, kleine St#252;cke Land zu bew#228;ssern; den ganzen Tag #252;ber schleppe ich ein Tragejoch auf den Schultern und sch#252;tte den Inhalt schwerer Kr#252;ge auf den #196;ckern aus. Am Abend g#246;nne ich mir keine Ruhe; dann mu#223; ich die empfindlichsten Pflanzen gie#223;en, die Bew#228;sserungsrinnen unterhalten, die Erdd#228;mme verst#228;rken. Falls Ihr einen Beweis w#252;nscht, untersucht meinen Nacken; er tr#228;gt die Spuren zweier Geschw#252;re. Das ist die Krankheit des G#228;rtners, nicht die eines Kuhtreibers.«
»Weshalb habt Ihr den Beruf gewechselt?«
»Weil Herrn Qadaschs Verwalter sich meiner bem#228;chtigt hat, als ich Gem#252;se auslieferte. Ich bin gezwungen worden, mich um die Ochsen zu k#252;mmern und meinen Garten im Stich zu lassen.« Paser lud die Zeugen vor; die Richtigkeit von Kanis #196;u#223;erungen wurde best#228;tigt. Das Gericht sprach ihn frei; als Entsch#228;digung befahl der Richter, da#223; der entflohene Ochse sein Eigentum und ihm zum Ausgleich f#252;r die entgangenen Arbeitstage eine beachtliche Menge Nahrung von Qadasch geschenkt werde.
Der G#228;rtner verneigte sich vor dem Richter; in seinen Augen las Paser tiefe Dankbarkeit. »Die Entf#252;hrung eines Bauern ist ein schlimmes Vergehen«, erinnerte er den Gebieter des Anwesens. Dem Zahnheilkundler stieg das Blut zu Kopf. »Ich bin nicht daf#252;r verantwortlich! Ich wu#223;te dar#252;ber nicht Bescheid; mein Verwalter m#246;ge bestraft werden, wie er es verdient.«
»Ihr kennt den Umfang der Z#252;chtigung: f#252;nfzig Stockschl#228;ge und Verlust des Standes, um wieder zum einfachen Bauern zu werden.«
»Gesetz ist Gesetz.«
Vor das Gericht gebracht, stritt der Verwalter nichts ab; er wurde verurteilt und der Spruch unverz#252;glich vollstreckt.
Als Richter Paser das Gut verlie#223;, erschien Qadasch nicht, um ihn zu verabschieden.