"Das Testament der Götter" - читать интересную книгу автора (Жак Кристиан)

Sehet, was die Ahnen vorausgesagt haben, ist eingetreten: Das Verbrechen hat sich ausgebreitet, Gewalt ist in die Herzen eingezogen, das Unheil zieht durch das Land, Blut flie#223;t, der Dieb bereichert sich, das L#228;cheln ist erloschen, die Geheimnisse sind allen preisgegeben, die B#228;ume sind entwurzelt, die Pyramide ist gesch#228;ndet worden, die Welt ist so tief gesunken, da#223; eine kleine Zahl von Toren sich des K#246;nigtums bem#228;chtigt hat und die Richter davongejagt wurden. Doch entsinne dich der Achtung der Maat, der rechten Folge der Tage, der gl#252;cklichen Zeit, in der die Menschen Pyramiden bauten und Haine f#252;r die G#246;tter gedeihen lie#223;en, jener gesegneten Zeit, in der eine einfache Matte die Bed#252;rfnisse eines jeden befriedigte und ihn gl#252;cklich machte.
Mahnworte des Weisen Ipu-we

5. Kapitel

Brav schlief zu F#252;#223;en seines Herrn und tr#228;umte von einem Festschmaus, w#228;hrend Wind des Nordens, mit frischem Futter belohnt, vor der T#252;r der Amtsstube als W#228;chter diente, in der Paser seit der Morgend#228;mmerung die laufenden Vorg#228;nge bearbeitet hatte. Die Menge schwieriger F#228;lle entmutigte ihn nicht; im Gegenteil, er hatte beschlossen, den R#252;ckstand aufzuholen und nichts beiseite zu schieben. Gerichtsschreiber Iarrot kam mit aufgel#246;ster Miene in der Mitte des Morgens. »Ihr scheint niedergeschlagen«, bemerkte Paser. »Ein Streit. Meine Frau ist unertr#228;glich; ich hatte sie geheiratet, damit sie mir k#246;stliche Gerichte zubereitet, und sie weigert sich zu kochen! Das Dasein wird mir unertr#228;glich.«

»Sinnt Ihr #252;ber Scheidung nach?«

»Nein, wegen meiner Tochter; ich m#246;chte, da#223; sie T#228;nzerin wird. Meine Frau hat andere Vorhaben mit ihr, die ich nicht dulde. Weder sie noch ich sind bereit nachzugeben.«

»Eine unentwirrbare Lage, so f#252;rchte ich.«

»Ich auch. Eure Untersuchung bei Qadasch ist gut verlaufen?«

»Ich lege gerade letzte Hand an meinen Bericht: Der Ochse wurde aufgefunden, der G#228;rtner freigesprochen und der Verwalter bestraft. Meiner Meinung nach ist die Verantwortlichkeit des Zahnheilkundlers dabei ber#252;hrt, doch ich kann es nicht beweisen.«

»Wagt Euch an den nicht heran; er hat Verbindungen.«

»Wohlhabende Kundschaft?«

»Er hat die hochr#252;hmlichsten M#252;nder behandelt; die b#246;sen Zungen behaupten, da#223; er seine Geschicklichkeit verloren h#228;tte und es besser w#228;re, ihn zu meiden, wenn man gesunde Z#228;hne behalten m#246;chte.« Brav knurrte pl#246;tzlich; mit einem Streicheln bes#228;nftigte ihn sein Herr. Sein Verhalten deutete auf eine gem#228;#223;igte Feindseligkeit hin. Auf den ersten Blick schien er den Gerichtsdiener nicht sonderlich zu m#246;gen.

Paser setzte sein Petschaft unter den Papyrus, auf dem er seine Schlu#223;bemerkungen #252;ber den Fall des gestohlenen Ochsen festgehalten hatte. Iarrot bewunderte die feine und gleichm#228;#223;ige Schrift; der Richter zog die Hieroglyphen ohne das geringste Z#246;gern, zeichnete seine Gedanken mit Entschlossenheit auf. »Ihr habt doch trotz alledem Qadasch nicht mit hineingezogen?«

»Aber gewi#223; doch.«

»Das ist gef#228;hrlich.«

»Was bef#252;rchtet Ihr?«

»Ich … ich wei#223; nicht.«

»Werdet deutlicher, Iarrot.«

»Die Gerechtigkeit ist derart vielschichtig …«

»Der Meinung bin ich nicht: auf der einen Seite die Wahrheit, auf der anderen die L#252;ge. Wenn man letzterer nachgibt, und w#228;re es auch nur um die Breite eines Fingernagels, wird die Gerechtigkeit nicht l#228;nger herrschen.«

»Ihr redet so, weil Ihr jung seid; wenn Ihr Erfahrung gesammelt habt, werden Eure Ansichten weniger entschieden sein.«

»Ich hoffe nicht. Im Dorf haben viele mir Euren Einwand entgegengehalten; er erschien mir nie stichhaltig.«

»Ihr m#246;chtet das Gewicht der Hierarchie au#223;er acht lassen.«

»Sollte Qadasch #252;ber dem Gesetz stehen?« Iarrot stie#223; einen Seufzer aus. »Ihr scheint klug und mutig, Richter Paser; t#228;uscht nicht vor, Ihr verst#252;ndet nicht, was ich meine.«

»Wenn die F#252;hrung ungerecht ist, eilt das Land seinem Untergang zu.«

»Sie wird Euch zermalmen wie die anderen; begn#252;gt Euch damit, die Fragen und F#228;lle zu l#246;sen, die Euch unterliegen, und vertraut die heiklen Angelegenheiten Euren Oberen an. Euer Vorg#228;nger war ein verst#228;ndiger Mann, der die Fallen zu meiden wu#223;te. Man hat Euch eine h#252;bsche Bef#246;rderung gew#228;hrt; verscherzt sie nicht.«

»Wenn ich hierher berufen wurde, dann geschah dies wegen meiner Vorgehensweisen; weshalb sollte ich davon abr#252;cken?«

»Greift nach Eurem Gl#252;ck, ohne die festgef#252;gte Ordnung zu st#246;ren.«

»Ich kenne keine andere Ordnung als die der Maat.«

Aufs h#246;chste verdrossen, schlug der Gerichtsschreiber sich an die Brust.

»Ihr rennt einem Abgrund entgegen! Ich habe Euch vorgewarnt.«

»Morgen werdet Ihr meinen Rechenschaftsbericht zum Haus des Gauf#252;rsten bringen.«

»Wie es Euch beliebt.«

»Eine Sache befremdet mich; ich zweifele nicht an Eurem Eifer, aber solltet Ihr allein meine gesamte Amtsdienerschaft darstellen?« Iarrot wirkte betreten. »Auf gewisse Weise ja.«

»Was bedeutet dieser Vorbehalt?«

»Es gibt wohl noch einen gewissen Kem …«

»Sein Amt?«

»Ordnungsh#252;ter. Ihm obliegt es, die Verhaftungen vorzunehmen, die Ihr anordnet.«

»Eine wesentliche Aufgabe, m#246;chte ich meinen!«

»Euer Vorg#228;nger hat niemanden festsetzen lassen; wenn er einen Misset#228;ter verd#228;chtigte, hielt er sich an einen besser gewappneten Gerichtshof. Da Kem sich in der Amtsstube langweilt, geht er auf Erkundung.«

»Werde ich das Vorrecht haben, ihn zu Gesicht zu bekommen?«

»Er schaut von Zeit zu Zeit herein. Behandelt ihn nicht von oben herab: Er hat ein abscheuliches Wesen. Ich jedenfalls habe Angst vor ihm. Baut nicht auf mich, um ihm irgend etwas Unfreundliches vorzuhalten.«

Die Ordnung in meinem eigenen Amtsbereich wiederherzustellen, wird nicht leicht sein, dachte Paser, w#228;hrend er feststellte, da#223; es bald an Schreibausr#252;stung fehlen w#252;rde. »Wo besorgt Ihr Euch Papyrus?«

»Bei Bel-ter-an, dem besten Hersteller von Memphis. Seine Preise sind hoch, doch sein Erzeugnis ist ausgezeichnet und unverw#252;stlich. Ich rate ihn Euch an.«

»Befreit mich doch von einem Verdacht, Iarrot – ist diese Empfehlung v#246;llig uneigenn#252;tzig?«

»Wie k#246;nnt Ihr es wagen!«

»Ich unterlag wohl einem Irrtum.«

Paser nahm Einblick in die k#252;rzlich eingegangenen Klagen; keine von ihnen bot ein Merkmal von Schwere oder Dringlichkeit. Dann ging er zu den Bedienstetenaufstellungen #252;ber, die er pr#252;fen, und zu den Ernennungen, die er guthei#223;en sollte; eine schlichte Verwaltungsarbeit, die lediglich das Aufdr#252;cken seines Petschafts verlangte. Iarrot hatte sein linkes Bein unter sich angewinkelt und sich daraufgesetzt, das andere mit dem Knie vor sich aufgestellt; eine Palette unterm Arm und ein Schreibrohr[20] hinter das rechte Ohr geklemmt, reinigte er Pinsel, w#228;hrend er Paser aus den Augenwinkeln beobachtete.

»Arbeitet Ihr schon lange?«

»Seit Sonnenaufgang.«

»Das ist wahrlich fr#252;h.«

»Die Gewohnheit eines D#246;rflers.«

»Eine … t#228;gliche Gewohnheit?«

»Mein Meister hat mich gelehrt, da#223; ein einziger Tag des M#252;#223;iggangs zum Verh#228;ngnis werde. Allein das Herz k#246;nne lernen, sofern das Ohr offen und der Verstand f#252;gsam sei; was gibt es Wirksameres als gute Gewohnheiten, um es dahin zu bringen? Andernfalls schickt sich der Affe, der in uns schlummert, zu tanzen an, und die Kapelle ist ihres Gottes beraubt.«

Der Tonfall des Gerichtsdieners wurde d#252;ster. »Das ist kein angenehmes Dasein.«

»Wir sind Diener der Gerechtigkeit.«

»Da f#228;llt mir ein, meine Arbeitszeiten …«

»Acht Stunden am Tag, f#252;nf Werktage auf zwei Ruhetage, zwei bis drei Monate freie Zeit wegen der verschiedenen Feste[21] … Sind wir uns einig?« Der Gerichtsdiener stimmte zu. Ohne da#223; der Richter darauf beharrte, begriff er, da#223; er hinsichtlich seiner P#252;nktlichkeit gewisse Anstrengung w#252;rde aufbieten m#252;ssen.

Eine d#252;nne Unterlage erregte Pasers Neugierde. Der mit der Bewachung des Sphinx von Gizeh betraute Oberaufseher war k#252;rzlich zu den Hafenbecken versetzt worden. Ein j#228;her Umschwung der Laufbahn: Der Mann mu#223;te eine schlimme Verfehlung begangen haben. Nun war jedoch diese, im Gegensatz zum #252;blichen Brauch, nicht vermerkt. Gleichwohl hatte der Oberste Richter des Gaus sein Petschaft aufgedr#252;ckt; es fehlte blo#223; noch das von Paser, da der Soldat in seinem Bezirk wohnte. Eine einfache Formsache, die er, ohne nachzudenken, h#228;tte vollziehen sollen.

»Ist die Stelle des Oberaufsehers des Sphinx nicht heftig begehrt?«

»An Bewerbern mangelt es nicht«, pflichtete der Schreiber bei, »aber der derzeitige Amtsinhaber entmutigt sie alle.«

»Weshalb?«

»Er ist ein Krieger mit Erfahrung und bemerkenswerten Dienstnachweisen und obendrein noch ein wackerer Mann. Er wacht #252;ber den Sphinx mit eifers#252;chtiger Sorgfalt, obwohl dieser alte L#246;we aus Stein doch beeindruckend genug ist, um sich allein zu verteidigen. Wem w#252;rde es in den Sinn kommen, ihn anzugreifen?«

»Ein Ehrenamt, so scheint es.«

»Ganz und gar. Der Oberaufseher hat weitere Altgediente angeworben, um ihnen einen kleinen Ruhesold zu sichern; zu f#252;nft haben sie die Nachtwache.«

»Wu#223;tet Ihr #252;ber seine Versetzung Bescheid?«

»Versetzung … Ihr scherzt?«

»Hier ist das amtliche Schriftst#252;ck.«

»#196;u#223;erst erstaunlich. Welchen Versto#223; hat er begangen?«

»Ich teile Euren Gedankengang; das ist nicht angegeben.«

»Sorgt Euch nicht darum; das betrifft zweifellos eine Entscheidung der Streitkr#228;fte, deren innerer Sinn uns entgeht.«

Wind des Nordens stie#223; einen eigenartigen Schrei aus: Der Esel meldete eine Gefahr. Paser erhob sich und ging hinaus. Er fand sich von Angesicht zu Angesicht einem riesigen Babuin gegen#252;ber, den sein Herr an der Leine hielt. Mit seinem angriffslustigen Blick, seinem massigen Kopf und der mit dichtem Fellkleid bedeckten Brust hatte dieser hundsk#246;pfige Affe den wahrlich verdienten Ruf unb#228;ndiger Wildheit. Nicht selten geschah es, da#223; ein Raubtier seinen Hieben und Bissen erlag, und man hatte L#246;wen bei der Ann#228;herung einer Horde blindw#252;tiger Paviane die Flucht ergreifen gesehen. Sein Herr, ein Nubier mit vorspringenden Muskeln, beeindruckte ebensosehr wie das Tier. »Ich hoffe, Ihr haltet ihn gut fest.«

»Dieser Pavian[22] untersteht Euren Befehlen, Richter Paser, wie ich selbst.«

»Ihr seid Kem.« Der Nubier nickte.


»Im Viertel spricht man bereits #252;ber Euch; angeblich wuselt Ihr viel herum f#252;r einen Richter.«

»Euer Ton mi#223;f#228;llt mir.«

»Ihr werdet Euch daran gew#246;hnen m#252;ssen.«

»Sicher nicht. Entweder Ihr zollt mir die einem Vorgesetzten schuldige Achtung, oder Ihr tretet zur#252;ck.« Die beiden M#228;nner sahen sich eine ganze Weile herausfordernd an; des Richters Hund und der Pavian des Ordnungsh#252;ters taten es ihnen gleich. »Euer Vorg#228;nger lie#223; mir v#246;llige Bewegungsfreiheit.«

»Das ist nun nicht mehr der Fall.«

»Ihr tut unrecht daran; wenn ich mit meinem Pavian durch die Stra#223;en schlendere, schrecke ich die Diebe ab.«

»Wir werden es #252;berdenken. Wo und als was habt Ihr gedient?«

»Ich will Euch lieber sofort vorwarnen: Meine Vergangenheit ist dunkel. Ich geh#246;rte einem Bogensch#252;tzenverband an, dem die Bewachung einer der S#252;dfesten oblag. Ich hatte mich aus Liebe zu #196;gypten verpflichtet, wie viele junge Leute meines Stammes. Mehrere Jahre lang bin ich so gl#252;cklich gewesen; eines Tages habe ich jedoch unbeabsichtigt einen Goldschmuggel unter Offizieren ans Licht gebracht. Die F#252;hrung hat mich nicht angeh#246;rt; w#228;hrend einer Rauferei habe ich dann einen der Diebe, n#228;mlich meinen unmittelbaren Vorgesetzten, get#246;tet. Bei der Verhandlung hat man mich mit Naseabschneiden gestraft. Jene, die ich heute besitze, ist aus bemaltem Holz. Ich f#252;rchte keine Schl#228;ge mehr. Die Richter haben indes meine Redlichkeit und Gesetzestreue anerkannt; und deshalb haben sie mir eine Stelle bei den Ordnungskr#228;ften gegeben. Wenn Ihr es nachpr#252;fen wollt, meine Unterlagen befinden sich in der Schriftenverwahrung des Heers.«

»Nun, dann la#223;t uns gehen.« Kem war auf diese Reaktion nicht gefa#223;t gewesen. W#228;hrend der Esel und der Gerichts­schreiber das Amtszimmer bewachten, wandten sich der Richter und der Ordnungsh#252;ter – von Pavian und Hund begleitet, die sich weiterhin beobachteten – zum Verwaltungssitz der Streitkr#228;fte. »Seit wann wohnt Ihr in Memphis?«

»Seit einem Jahr«, antwortete Kem. »Ich vermisse den S#252;den.«

»Kennt Ihr den Verantwortlichen f#252;r die Sicherheit des Sphinx von Gizeh?«

»Ich bin ihm zwei- oder dreimal #252;ber den Weg gelaufen.«

»Scheint er Euch vertrauensw#252;rdig?«

»Er ist ein ber#252;hmter Altgedienter; sein guter Ruf ist bis zu meiner Feste gelangt. Man vertraut ein derart ehrenvolles Amt nicht irgend jemandem an.«

»War dieses irgendwie gef#228;hrlich?«

»Keineswegs! Wer w#252;rde sich an den Sphinx heranwagen? Es handelt sich um eine Ehrenwache, deren Mitglieder vor allem die Versandung des Bauwerks im Auge behalten sollen.«

Die Vor#252;bergehenden traten vor ihnen zur Seite; ein jeder wu#223;te um die Schnelligkeit des Pavians, der imstande war, seine Rei#223;z#228;hne in das Bein eines R#228;ubers zu schlagen oder diesem gar den Hals zu brechen, bevor sein Herr noch einschreiten konnte. Wenn Kem und sein Affe ihre Erkundungsg#228;nge machten, verfl#252;chtigten sich b#246;se Absichten. »Kennt Ihr den Aufenthaltsort dieses Altgedienten?«

»Er bewohnt ein Diensthaus nahe der Hauptkaserne.«

»Mein Einfall war schlecht; kehren wir in die Amtsstube zur#252;ck.«

»M#246;chtet Ihr meine Unterlagen nicht mehr #252;berpr#252;fen?«

»Es waren die seinen, die ich nachsehen wollte; doch die werden mir keine weiteren Erkenntnisse bringen. Ich erwarte Euch morgen fr#252;h bei Sonnenaufgang. Wie ist der Name Eures Pavians?«

»T#246;ter.«