"Schwarzer Valentinstag" - читать интересную книгу автора (Bentele Günther)BENFELDIn Scharen wanderten die Menschen zu den Resten des kleinen Turmes. In der ganzen Stadt wurde gerätselt, wie ein Turm sich über Nacht in Steinbrocken auflösen konnte. Zudem waren diese Brocken in geheimnisvoller Weise rundum in den Wiesen verstreut gefunden worden. Nur die Fundamente hockten im Boden, darüber waren noch einige kantige Mauerreste. »Als wären es Riesen gewesen, die mit dem Turm gespielt hätten«, sagte Herr Wangenbaum, »aber das waren keine Riesen! Ist denn niemand aufgefallen, wann der Turm verschwunden ist? Hat denn das wirklich niemand beachtet?« Und er fuhr fort, als die Zuhörer den Kopf schüttelten: »Es war genau in der Nacht, in der dieser Jude Menli aus Bern in unserem Diebsturm gestorben ist! Hält das jemand für einen Zufall?« Seine Stimme ging in Flüstern über: »Das sind die Juden, sie haben den Tod dieses sauberen Herrn Menli gerächt.« Und als jemand einwandte, dass der Tod des Juden doch erst am folgenden Morgen entdeckt worden sei und dass es deshalb kaum Rache gewesen sein konnte, wusste Herr Wangenbaum auch hier eine Antwort: »Zwei Dinge sind sicher: Zunächst hat der Jude Löb Baruch nach der Ratssitzung über den Juden Menli, die für uns und unsere Gäste aus der befreundeten Stadt Bern so schändlich ausgegangen ist, diesen Juden Menli in seine Familie aufnehmen wollen. Einen überführten Verbrecher! Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie er mit dem Judenfreund Dopfschütz darüber gesprochen hat.« »Die halten doch alle zusammen!« »Richtig«, fuhr der Bäckermeister fort, »zweitens weiß ich von dem Wächter, der seinen Dienst bei dem Turm hatte«, er machte eine lange Pause und schaute seine Zuhörer an, »dass mitten in der Nacht eine Delegation der jüdischen Gemeinde versucht hat den Wächter zu bestechen und den gefangenen Verbrecher zu befreien, der nicht einmal unserer Stadt gehört!« »Unglaublich!« »Der Rat hat es untersucht – und das Schönste, die jüdische Gemeinde streitet alles ab: Der Rabbi weiß von nichts, die Ältesten wissen von nichts! Niemand weiß etwas. Der Wächter muss ein Lügner sein. Und die Christen müssen sich womöglich bei den Juden entschuldigen.« Es wurde gelacht. »Ja, lacht nur. Es ist zum Lachen, wie wir uns aufs Kreuz legen lassen; sie haben nämlich Kinder geschickt, um den Wächter zu bestechen und den Juden zu befreien. Kinder!« »Kinder?« »Kinder! Der Sinn ist sonnenklar. Sie sagen, dass Kinder eben einfältig seien, dass sie nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. So haben sie sich abgesichert für den Fall, dass es schief geht. Und es ist ja auch schief gegangen, zum Glück. Aber das zeigt, wie schlau und verlogen dieses Pack ist.« »Das wäre eine schöne Schande gewesen vor den Gästen aus Bern.« »Das Schlimmste aber bedenkt niemand. Der kleine Turm. Sicher ist es nicht schade um ihn. Aber«, er fasste seine Zuhörer wieder scharf ins Auge, »niemand weiß, wie der Turm eigentlich zerstört worden ist. Bedenkt, in einer einzigen Nacht wurde er vollständig abgetragen, wozu man sonst viele Tage oder Wochen braucht, und er wurde nicht nur abgetragen, sondern auch in alle Winde zerstreut. Ihr habt es mit euren eigenen Augen gesehen: Die Trümmer liegen in weitem Umkreis in allen Wiesen. Wer kann das? – Welche Kräfte sind hier am Werk? – Ist es Zauberei?« Die Leute waren beeindruckt: »Was weiß man denn darüber? – Zauberer muss man verbrennen, das steht schon in der Bibel!« »Richtig«, stimmte Herr Wangenbaum zu, »ich sage euch, es sind die Juden. Sie haben, wie schon gesagt, den Tod des Juden Menli gerächt. Aber sie haben uns auch gewarnt.« »Gewarnt?« »Gewarnt vor der ungeheuren Kraft, die sie aus ihren alten Schriften schöpfen. Sie können alle lesen und schreiben, sie lernen es in ihren Schulen. Bei uns können fast nur die gelehrten Mönche lesen und schreiben, da weiß man, woran man ist. Aber die Juden sind voller Geheimbündelei. Jetzt haben sie es uns gezeigt: Wer den kleinen Turm in die Luft fliegen lassen kann, der kann auch bald die Gedeckten Brücken zerstören, unser Münster, ja, unsere ganze Stadt Straßburg.« »Und die Pest?« »Vorher machen sie die Pest, indem sie die Brunnen vergiften!« Christoph hatte den besonnenen Löb so noch nie gesehen. Er tobte: »Es geht nicht um unseren schönsten Diamanten, obwohl die geschäftliche Katastrophe unausdenkbar gewesen wäre, wenn er verloren gegangen wäre. Es hat nichts damit zu tun, dass ich ihn nicht gerne geopfert hätte, wenn wir damit das Leben des Juden Menli hätten retten können. Nein, das war euer Leichtsinn! Und euer Leichtsinn, so gut er gemeint war, hat der ganzen jüdischen Gemeinde geschadet.« »Vater«, sagte Nachum. »Du sagst jetzt besser nichts, und auch ihr schweigt«, wandte er sich an Esther und Christoph, die stumm dastanden. Er ging im Zimmer auf und ab: »Unsere Lage ist ernst, das weiß jeder – sehr ernst! Alles, was wir Juden machen, muss jetzt mit äußerster Vorsicht geschehen. Da ist die rätselhafte Zerstörung des kleinen Turmes, hinter der wir die Drahtzieher der Verbrechen an Christophs Familie vermuten müssen. Aber in der Stadt heißt es bereits, die Juden hätten es getan, und daran seid ihr schuld.« Er schwieg lange. Esther trat zu ihrem Vater und küsste ihm still die Hand. Nachum folgte, dann Christoph. »Wir müssen am Abend über alle diese geheimnisvollen Dinge der letzten Zeit sprechen«, fuhr Löb fort. »Sehr vieles ist mir nun klar geworden«, schloss Philo, der noch einmal ausführlich über die Zerstörung des kleinen Turms berichtet hatte. »Das leere Haus mit seinen Lichtern war eine Nachricht. Die Lichter sind erloschen, als der Turm zerstört war.« Löb sagte: »Wer einen Turm in einer Sekunde zerstören kann, wofür man Wochen brauchen würde, der kann auch die Gedeckten Brücken zerstören oder das Münster oder die ganze Stadt, wie Herr Wangenbaum das sagt. Er weiß nur nicht, wer die Urheber sind, und schiebt es auf uns Juden, oder er tut so, als wisse er es nicht. Sie haben ungeheure Macht, und wir wissen, dass sie diejenigen sind, die Christophs Familie verfolgen. Sie sind die Drahtzieher, die wir suchen!« »Für diese Macht haben sie meinen Vater ermordet! Er hätte nicht mitgemacht. Das weiß ich. Fünfundsiebzig – fünfzehn – zehn! Salpeter – Kohle – Schwefel! Sie haben eine neue Anwendung gefunden. Damit können sie in einem Augenblick riesige Gebäude, vielleicht ganze Städte zerstören. So können sie alles erlangen, was sie wollen. Sie haben eine unvorstellbare Macht. Aber wir wissen nicht, wer sie sind!« »Aber, Balthas, wie kommt es, dass ein so harmloses Mittel, das auf den Jahrmärkten gebraucht wird, eine solch ungeheure Kraft entfesseln kann?«, fragte Löb. »Ich weiß es nicht«, antwortete Balthas, »vielleicht sind die Mittel, die man oft für harmloses Spielzeug hält, in Wirklichkeit viel gefährlicher: Wer hätte es gedacht – ein geschnitzter Kopf auf einem hohlen Stecken fliegt in die Luft, und dann ist es vielleicht eine ganze Stadt, die in Trümmern liegt!« »Was ist eigentlich Salpeter?«, fragte Nachum. Löb wusste es: »Salpeter wird aus Persien eingeführt. Ich habe schon oft mit ihm gehandelt. Man kann ihn aber auch in unreinerer Form von den Wänden der Ställe kratzen. Er ist ein sehr wichtiger Ausgangsstoff, aus dem man im Bergbau Scheidewasser macht.« »Scheidewasser?« »Scheidewasser trennt edle von unedleren Metallen, indem es die unedleren auflöst, die edleren aber verschont.« »Man sollte es fast ausprobieren. Wir kennen ja die Zusammensetzung – « Nachums Augen begannen zu glühen. »Nachum, nein«, sagte der alte Abraham ruhig, »unsere Waffe ist das Wort. Wo Worte schweigen und Waffen sprechen, ist nicht unsere Welt. ›Du sollst den Fremdling lieben wie dich selbst!‹, steht in der Thora.« »Was das alles bedeuten wird, man kann es kaum absehen.« Löb legte Nachum ernst die Hand auf die Schulter. Der alte Abraham wiegte den Oberkörper: »Die ganze Welt wird sich ändern! Keine Ritterrüstung wird mehr schützen. Keine Tapferkeit, kein Turm, keine Mauer! Das Töten wird leicht werden, denn es geschieht nicht mehr mit der Hand. Kaiser und Könige werden stürzen, denn man wird die Macht kaufen können für Geld: Macht hat, wer Geld für Waffen hat – ganze Völker werden verschwinden! Neues, ganz Anderes wird entstehen, das wir nicht ahnen und das sich auf Zerstörung gründet – und wehe den Menschen, wenn sie diesem Neuen nicht gewachsen sind: Sie werden untergehen.« Er erhob sich. »Ich aber bin müde und froh, dass ich das, was kommen wird, nicht mehr erleben muss.« Langsam und gebeugt wie unter einer großen Last ging er zur Türe. Dort drehte er sich um: »Kinder, ich segne euch. Dich, arme Esther, und dich, armer Christoph, und dich, armer, reicher Philo, und ganz besonders dich, lieber, lieber Nachum, der du so voller Eifer bist.« Die Flocken fielen einzeln und still zur Erde. Sie fielen auf die Häuser der Christen und der Juden und machten alle Dächer gleichmäßig weiß. Sie fielen auf Straßen, Plätze und Gassen, wo sie zu einem bräunlichen Matsch wurden. Sie fielen auf die Stege an der Ill und machten ihr Wasser noch schwärzer. Christoph ging durch die weiß werdende Stadt und achtete kaum auf die Menschen, denen er begegnete. Er dachte an Weihnachten, wie die Mutter den Kindern, als die Geschwister noch gelebt hatten, am Morgen des Weihnachtstages Geschenke gegeben hatte. Er erinnerte sich an den gemeinsamen Gang zur Kirche, wo man warm zwischen Vater und Mutter saß. Weihnachten, das war zuerst die sanfte Hand der Mutter, die einen morgens geweckt hatte! Neben ihm ging Esther und erzählte vom bevorstehenden Chanukkafest: »Weißt du, da bekommen wir Geschenke, du bekommst auch welche, ich weiß das schon. Das Schönste aber ist der Chanukkaleuchter, der acht Kerzen hat. Jeden Tag wird eine Kerze mehr angezündet. Es ist die Erinnerung an die Einweihung des zweiten Tempels. Man hat damals eine kleine Flasche mit Öl gefunden, das höchstens für eine Stunde Licht in der Ampel reichen konnte. Aber es hat acht volle Tage lang gebrannt.« Christoph war stehen geblieben und starrte in einen Arm der Ill. Ein Stück Holz mit einer Haube aus Schnee schaute dort aus dem dunklen Wasser, obwohl das Wasser kaum einen Finger breit darunter floss. Wenn das Wasser auch nur geringfügig wuchs oder eine winzige Welle – »Sag mal, hörst du überhaupt zu? Ich rede und rede – « Christoph schwieg. Nach einiger Zeit nahm er ihre Hand und drückte sie lange an sein Gesicht: »Entschuldige bitte, ich war in Gedanken woanders.« Sie gingen Hand in Hand schweigend über die weißen Felder illabwärts zum Judenfriedhof. Dort zeigte ihm Esther die Gräber ihrer Vorfahren. Abraham hatte es erlaubt: »Ihr seid nicht allein – die Vorfahren sind mit euch.« »Es heißt, wir stammen aus dem Geschlecht der Kalomyniden. Mein Urahn Kalomynos ben Mose stammte aus Lucca in Italien, von wo er vor über fünfhundert Jahren von dem großen Kaiser Karl an seinen Hof nach Aachen geholt worden ist, wo er auch begraben liegt. Er war ein Rabbi und ein sehr bedeutender Gelehrter und hat viele Bücher geschrieben«, sagte sie stolz. »Vater soll dir einmal welche zeigen. Wir sind über den spanischen Teil unserer Familie auch mit Maimonides, dem größten Gelehrten der Juden, verwandt«, fuhr sie fort, »eigentlich heißt er Mosche ben Maimon und stammt aus Cordoba in Spanien. Er lebte vor zweihundert Jahren. Vater hat uns einmal aus seinen Büchern vorgelesen und vieles erklärt. Es ist wunderbar, wie klar und vernünftig auf einmal alles erscheint, was in den Schriften steht.« Esther zeigte ihm die Steine, die auf die Grabsteine der Verstorbenen gelegt waren. »Es ist ein uralter Brauch, der zeigt, dass wir Juden aus der Wüste kommen. Wenn in der Wüste jemand gestorben ist, so war meist keine Zeit den Toten tief einzugraben. Es ging im Sand wohl auch schlecht. Deshalb legte man Steine über das flache Grab des Toten, einen möglichst großen Haufen. So konnten die wilden Tiere den Toten nicht ausscharren. Wer nun an einem solchen Grab vorüberkam, der legte einen Stein dazu. Diesen Brauch haben wir beibehalten.« Es gab Grabsteine, die grau waren vor Alter, manche waren schon halb in den Boden versunken. Andere waren ganz neu. Die Grabsteine waren meist aufrecht gestellt und hatten alle hebräische Inschriften, die Christoph nicht lesen konnte. Esther las ihm einige vor und übersetzte sie. Es waren Stellen aus den Psalmen, die er manchmal schon gehört hatte. Auf alles fiel gleichmäßig der Schnee. Die beiden legten Steine auf alle Grabsteine, die zur Familie gehörten. »Es ist auch für meinen Vater«, sagte Christoph leise, »dem haben sie als einem verurteilten Verbrecher ein christliches Grab verweigert. Wir konnten ihn in dem gefrorenen Boden kaum wirklich unter die Erde bringen.« Esther legte einen Stein dazu. Dann scharrte sie den Schnee von einem Mäuerchen und setzte sich darauf, sie schwieg lange. »Was soll aus uns werden?«, sagte sie leise. »Ich gehe mit euch. Ich habe es gesagt, ist doch keine Frage.« »Wir gehen ja nicht fort.« »Umso besser. Ich bleibe bei dir.« Esther hatte den Kopf an seine Schulter gelegt. Aber sie schwieg und starrte in den Schnee. Es war nun sicher, dass der Bischof von Straßburg einen Tag in Benfeld, seiner zweiten Residenz, ausgeschrieben hatte. »Er hält sich meist in Benfeld auf, in Straßburg hat er fast alle Macht eingebüßt«, sagte Löb abends, als die Stube schon dunkel war und nur der Schnee durch die Butzenscheiben hereinleuchtete. Löb berichtete weiter: »Er hat den ganzen Adel im Elsass eingeladen und alle Räte der Städte. Es geht ausschließlich um die Juden.« »Vater, noch ist Zeit – wir sollten gehen. Mendels sind vor vier Tagen abgereist und die Familie des Mosche ist dabei, ihre Sachen zusammenzupacken. Vater, was hält uns denn hier?« Nachum war aufgestanden. »Selbst wenn ich wollte. Es geht nicht mehr. Ich habe es schon einmal erklärt: Wenn wir jetzt gehen, geben wir erst recht einen Vorwand, dass sie über die Brüder herfallen, die bleiben.« »Alle müssen gehen. Du musst in der Gemeinde einen Aufruf machen. Sie hören auf dich. Vater!« »Noch einmal. Ich halte die Situation nicht für so gefährlich wie du. Es ist richtig, dass sie hetzen und dass der Bischof von Straßburg gegen uns ist. Aber er hat wenig Einfluss. Die einflussreichsten Persönlichkeiten in Straßburg sind zurzeit Herr Dopfschütz und Herr Schwarber und beide sind auf unserer Seite.« »Und was ist mit dem Bäcker Wangenbaum, der die Handwerker hinter sich hat, wie man hört?«, mischte Christoph sich ein. »Der Wangenbaum ist ein Spruchbeutel, die meisten im Rat nehmen ihn gar nicht ernst.« »Und dein Freund Dopfschütz – als du dem Menli helfen wolltest, da war er nicht bereit irgendetwas zu tun!« »Er konnte nicht, Nachum, ich habe das schnell eingesehen. Er musste nach den Vorschriften handeln, sonst hätte er uns noch mehr geschadet. Leute wie Wangenbaum warten doch nur darauf, dass Fehler gemacht werden. Am meisten habt ihr geschadet mit eurem Leichtsinn in der Nacht!« Die drei schwiegen. »Und der kleine Turm. Wer sind diese Leute, die nach der Macht streben und Christophs Vater getötet haben? Trotzdem, wir müssen wissen, was in Benfeld geschieht. Wir müssen wissen, was sie dort beschließen.« In der Stube war es nun fast ganz Nacht geworden. »Ich gehe nach Benfel?«, sagte Christoph, »seit meiner Ermordung bin ich nicht mehr so gefährdet, außerdem kann ich ja meine Haare wieder einmal scheren lassen.« »Oder du setzt eine Mütze auf«, sagte Esther und sah ihn besorgt an, »oder beides.« »Philo geht sicher mit dir«, nickte Löb, »ich habe auch gewisse Verbindungen, die mir Nachrichten zukommen lassen werden. Aber viele Augen sehen mehr.« »Ich gehe auch mit«, sagte Nachum. Aber der Vater verbot es ihm: »Wir brauchen dich hier.« Nachum wagte nicht zu widersprechen. Später sagte Christoph zu Philo: »Das Haus mit den vielen Kerzen – das begreife ich nicht. Du sagst, das sei eine Nachricht gewesen, als die Lichter ausgingen. Aber wer kann denn Tausende von Kerzen in so kurzer Zeit löschen?« Philo schaute ihn an, bis Christoph verlegen wurde und murmelte: »Klar, was soll’s, sie haben einfach die Läden geschlossen und die Kerzen nachher gelöscht.« Blutige Hälften von Schweinen und Ochsen wurden in den Hof der bischöflichen Residenz in Benfeld getragen. Dort brannten große Feuer, über denen von den Knechten des Bischofs an riesigen Spießen Schweine und halbe Ochsen langsam gedreht wurden. Der Schnee zerrann in Pfützen, in denen sich die Feuer spiegelten. Draußen vor den Gittern des Palastes drängten sich die Bewohner von Benfeld im Schnee und schauten in den rauchigen Hof, wo sich die Diener gegenseitig wegrempelten, um für die Herren die besten Stücke zu ergattern. Die fürstlichen Diener, die mit ihren Herren gekommen waren, wurden bevorzugt bedient. Auf den Dächern flatterten Krähen und Dohlen und warteten auf ihren Teil. Philo hatte sich als Diener anwerben lassen. Schließlich hatte sich auch für Christoph eine Stelle gefunden, bei der er den Saal übersehen konnte. Er half leere Teller und Trinkgefäße wegzutragen. »Volle sind für dich zu gefährlich«, hatte Philo den Kopf geschüttelt und gelacht. Früh am Morgen war in der Kirche von Benfeld in einem Gottesdienst des Bischofs um die »rechte Einsicht« gebetet worden. Ein gewaltiges Feuer brannte im riesigen offenen Kamin des großen Saales. Unter den Tischen der Herren standen Pfützen aus Bier und Wein und lagen halb abgenagte Knochen. Reden wurden gehalten. Berthold II. der Bischof von Straßburg, redete über die Juden. Es klingt nicht anders als bei Herrn Wangenbaum, dachte Christoph. Herr Wangenbaum saß weit vorne und rieb sich den Bauch nach dem fetten Essen. Neben ihm saßen weitere Mitglieder des Straßburger Rates. Da saßen Herr Dopfschütz, Herr Schwarber, der dürre Herr Eisenhut, der unendlich dicke Herr Kropfgans, der so gemütlich aussah mit seinem wehleidigen Altweibergesicht, wie Philo einmal gesagt hatte. Herr Mühlendamm und Herr Lobsack waren der sechste und siebte der Straßburger Delegierten. Herr Lobsack hatte kein einziges Haar mehr auf dem Kopf. Philo turnte im Saal herum. Wenn jemand aufgepasst hätte, er hätte eine unglaubliche Gauklervorstellung zu sehen bekommen, und das umsonst: Es war unfassbar, mit wie vielen gefüllten Tellern und Platten gleichzeitig er sich durch den Saal schlängeln konnte. Der Bischof war noch nicht zu Ende. Aber im Saal war ein Gemurmel und Gesumme, eigentlich hörte ihm niemand richtig zu. Fast an allen Tischen redeten die Besucher miteinander und warfen nur gelegentlich einen Blick auf den Bischof, der mit seinem roten Gewand und goldenem Stab prächtig dastand. »Sie haben Jesus Christus an das Kreuz geschlagen. Wir können nicht so tun, als wüssten wir das nicht.« Christoph beugte sich vor, um mitzubekommen, was ein Mann, der wie ein Graf angezogen war, zu seinem Tischnachbarn sagte. Er tat so, als bemühe er sich, möglichst viel Geschirr auf einmal wegzutragen. »Wann kommt der endlich zur Sachen«, hörte er. »Das interessiert mich alles nicht – für mich zählen nur die Schulden, die ich bei den Juden in Colmar habe.« »He du, wie lange brauchst du eigentlich noch, um die paar Teller hier wegzuräumen?«, rief sein Nachbar Christoph zu. »Dir tret ich gleich ins Kreuz. Ein bisschen hoppla jetzt!« Christoph bemühte sich, etwas von den Gesprächen am Tisch der Straßburger zu hören. Aber Herr Dopfschütz saß da stumm wie aus Stein. Herr Schwarber flüsterte manchmal zu seinen Nachbarn, aber davon konnte Christoph nichts verstehen. Herr Wangenbaum redete unbekümmert laut auf Herrn Kropfgans ein. Aber da lohnte sich das Zuhören nicht. Jeder wusste, was Herr Wangenbaum über die Juden zu sagen hatte. Der Bischof redete immer noch. Später folgten weitere Redner. Sie sagten fast alle dasselbe: wie es Pflicht eines jeden Christen sei, sich von den Juden fern zu halten oder sie zur Taufe zu bewegen. Ein Mönch sprach lange darüber, dass man den Juden ihre kleinen Kinder wegnehmen müsse, um sie zu taufen und in den Klöstern christlich zu erziehen. Das sei verdienstvoll, und der Himmel sei einem sicher. »Blödsinn«, hörte Christoph einen Mann sagen, der angezogen war wie ein Ritter, »wer soll denn das bezahlen? Die Juden kosten uns auch so schon genug, wenn wir ihre Zinsen bezahlen sollen. Wen kümmern ihre Bankerte?« Ein Geistlicher, vielleicht ein Pfarrherr, redete nur kurz. Er begann damit, dass die Juden das auserwählte Volk Gottes seien und dass man dem Urteil Gottes nicht vorgreifen dürfe, dass dies auch die Auffassung des Papstes sei, der Morde an Juden verboten habe – noch alle Päpste hätten Morde an Juden verboten. Schließlich sagte er: »Gott will keine Menschenopfer, Abraham musste Isaak nicht opfern. Wir Christen haben als Erstes die Pflicht der Liebe.« Er hatte mit leiser Stimme gesprochen, so hatten ihn nur die vordersten Reihen hören können. Die begannen jetzt ein solches Geschrei, dass der Redner nicht mehr zu hören war. Der Bischof, der ihm zornig zugehört hatte, gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. Schließlich redete ein dürrer Herr im schwarzen Talar sehr lange. Er gab einen historischen Überblick: Wie die Juden in allen Ländern versucht hätten sich festzusetzen und wie ihnen das noch nie richtig geglückt sei dank der Wachsamkeit vieler Christen. Vor allem zurzeit der Kreuzzüge sei hier Vorbildliches geleistet worden – gerade auch in den Ländern um den Rhein, wo man die Juden zu Hunderten verbrannt habe. Vorbildliches habe aber vor allem der Papst geschaffen anno 1215, als er den Juden jede Arbeit verbot außer Kleinhandel und Geldverleih gegen Zinsen. »Keine jüdischen Handwerker mehr, keine jüdischen Bauern mehr, fast keine jüdischen Kaufleute mehr, man kann sich ja heute schon kaum mehr vorstellen, dass es das alles einmal gegeben hat. Das hat sie getroffen bis ins Mark! Der Papst hat auch gute Vorschläge gemacht zum Äußeren der Juden. Aber die Stadt Straßburg hat unverständlicherweise ihre an Gorgon gegebenen Kleiderverordnungen wieder zurückgenommen. Kein Wunder, dass es noch immer Heiraten gibt zwischen Juden und Christen, Ehen, die selbstverständlich vor Gott ungültig sind von Anfang an. Damals, anno 1215, wurde ein Ende eingeleitet, und jetzt muss endlich Schluss sein damit. In Köln stand ihre Synagoge Wand an Wand mit dem christlichen Rathaus, der Bischof von Speyer hat vor vierhundert Jahren Juden in seine Stadt geholt, um den Ruhm der Stadt zu vermehren – das alles muss anders werden. Ich bitte Sie, meine Herren!« Christoph hatte das meiste schon von Löb gehört und wusste, dass es stimmte. Aber auch in den letzten Jahrzehnten seien immer wieder großartige Dinge geschehen. Er erinnere nur an die Verdienste des Ritters Rindfleisch in Franken, auf dessen Betreiben vor fünfzig Jahren über hundert Judengemeinden ganz ausgelöscht worden seien, nachdem Juden in Rötungen eine Hostie durchbohrt hätten, um Zauber gegen Christen auszuüben. »Tausende von Juden hat man zu ihrem Heil lebendig verbrannt! Heute wissen wir, dass die Juden die Brunnen vergiften, um die Pest unter den Christen zu verbreiten – « Herr Wangenbaum sprang auf und klatschte in die Hände. Christoph sah Philo, der in einer Ecke stand und mit vielen Bällen und Löffeln gleichzeitig jonglierte, auf der Stirn balancierte er dabei einen großen Kochlöffel. Er hatte Publikum. Ein Graf und einige Ritter hatten sich mit dem Rücken zum Redner gesetzt, um dem Jongleur zuschauen zu können. Herr Dopfschütz hatte das Kinn auf die Brust gesenkt und schlief. Am Nachmittag wurde unter viel Lärm und Streit ein kleiner Rat bestimmt, der die Beschlüsse zur Abstimmung am Abend vorbereiten sollte. »Ich glaube kaum, dass ich in diesen kleinen Rat hineinkann«, sagte Christoph zu Philo. »Das macht nichts«, sagte Philo lachend, »ich bin schon drin!« Christoph schaute ihn verwundert an: Wie ein Pfau stolzierte Philo plötzlich einher, ein Wappen auf die Brust gestickt. »Du siehst den Diener eines mächtigen Grafen vor dir.« »Aber der hat doch seine Diener. Wie – « »Der Graf von Reichenweiher hat mich eingestellt, auf Lebenszeit. Er will keinen anderen Leibdiener mehr und ich soll ihn mit Gaukeln unterhalten, so eine Art Hofnarr und Hofgaukler gleichzeitig. Er hat mir schon ein Handgeld von drei Gulden gereicht. Dabei musste er sich gegen zwei Mitbewerber durchsetzen. Aber das waren nur Ritter.« »Und – bleibst du bei ihm?« »Da kannst du sehen, welch einträgliche Möglichkeiten für eine Lebensstellung ich hätte, aber ich will noch nicht!« »Und die drei Gulden?« »Nun, ich denke, er hat die heutige Vorstellung gut bezahlt.« »Schreckliche Dinge habe ich gehört«, sagte Philo am Abend in der Küche. Als Diener eines Grafen konnte er sich überall unter dem Gesinde frei bewegen. Christoph hatte den ganzen Nachmittag rußige Kessel geschrubbt. Jetzt verzichtete er auf seinen Lohn und ging mit Philo hinaus. In den Gassen des kleinen Städtchens standen die Leute und warteten gespannt auf Nachrichten von dem großen Tag, der bei ihnen gehalten wurde, wie sie stolz erzählten. »Es wird schlimm werden für die Juden«, begann Philo bedrückt. Im kleinen Rat, in dem auch alle Vertreter der Stadt Straßburg saßen, war anders geredet worden als am Vormittag in der großen Versammlung. »Sie haben fast nur über Geld geredet, wie verschuldet alle seien, der Bischof, der Adel, die Städte, die Zünfte und die Handwerker. Alle müssten den Juden hohe Zinsen bezahlen. Die Juden aber seien reich, man glaube nicht, wie viel Geld in den Vierteln der Juden zu finden sein müsse.« »Es geht also um Geld?«, fragte Christoph und schnaubte verächtlich durch die Nase. »Du kannst dir denken, wie der Herr Wangenbaum geredet hat. Er ist ein armes Schwein, das die Juden aussaugen bis zum letzten Blutstropfen, wenn man ihm glaubt.« »War von der Pest die Rede?« »Nur am Anfang, auch vom Brunnenvergiften hat niemand mehr etwas gesagt, nicht einmal der Herr Wangenbaum, dessen Lieblingsthema das sonst ist.« »Geld!« »Nicht nur Geld. Der Bischof hat sich verraten. Er sei auf der Seite der kleinen Leute in Straßburg, hat er behauptet. Also ist es für ihn eine Machtfrage: Er will die kleinen Leute auf seine Seite ziehen, die Angst haben vor der Pest, indem er die Juden verfolgt. So hofft er seine Macht in Straßburg wiederzuerlangen, die ihm die reichen Kaufleute weggenommen haben.« »Hast du die Beschlussanträge für heute Abend gehört?« Philo legte den Arm um Christoph: »Du wirst sie nachher hören, sie sind fürchterlich!« Christoph setzte sich auf einen Radabweiser. »Werden sie beschlossen?« »Insgesamt schon.« »Und Herr Dopfschütz und die anderen Straßburger Herren?« »Die haben fast nichts gesagt. Herr Schwarber hat sich einmal zu Wort gemeldet, er wurde aber von Herrn Dopfschütz sofort am Arm gefasst. Sie hecken etwas aus, das hat man gemerkt. Aber ich habe nicht herausfinden können, was. Vielleicht gibt es noch Hoffnung.« Christoph starrte in den Schnee. »Sie haben über diesen Beschlussantrag nicht lange gesprochen. Die meiste Zeit wurde darüber geredet, wer die Kosten tragen müsse.« »Kosten?« »Ja, sie sind sich einig gewesen, dass die Juden lebendigen Leibes verbrannt werden müssen wie vor ein paar Wochen in Basel. Am längsten haben sie sich gestritten, wer das Brennholz bezahlen muss!« »Wird es beschlossen?« »Ich weiß nicht, Herr Dopfschütz hatte so ein schlaues Lächeln.« Christoph schwieg. »Der Herr Bischof hat noch lange von der christlichen Verantwortung geredet. Man dürfe nur Juden verbrennen! Wer sich taufen lasse, sei zu verschonen! Ganz kleine Kinder müsse man den Müttern auf dem Weg zum Scheiterhaufen wegreißen, damit man ihre Seelen retten könne.« Der Himmel war grau an diesem Tag und es wurde rasch dunkel. Vor dem Gitter war es schwarz vor Menschen. Am Abend würde das Gitter für die Bewohner von Benfeld geöffnet und sie dürften sich an den Resten satt essen. Im großen Saal brannten Fackeln und verbreiteten einen rußigen Qualm, der sich langsam über die Tische zog und unter dem offenen Gebälk des riesigen Raumes lagerte. Der Bischof trat ein und alle erhoben sich von ihren Plätzen. »Wir sollten keine langen Reden mehr halten. Das Wichtigste ist schon heute Morgen gesagt worden. Viel Neues wird es nicht geben. Ich verlese jetzt die Beschlussanträge, wie sie im kleinen Rat für alle beraten worden sind: Ad eins: Die Juden im ganzen Elsass werden aufgefordert sich taufen zu lassen. Alle, die verstockt sind, werden als Ketzer zum Heile ihrer Seelen verbrannt. Ad zwei: Das Holz zur Verbrennung der Juden wird von den jeweiligen Gemeinden und Herrschaften zur Verfügung gestellt. Ad drei: Der Besitz der Juden wird zum allgemeinen Wohle verteilt. Ad vier: Die Herrschaften und Städte am übrigen Oberrhein schließen sich diesen Beschlüssen an. Gegeben am Sonntag nach Hilarius, am vierzehnten Tag des Monats Januar im Jahre des Heils dreizehnhundertneunundvierzig.« Raunen im Saal. Herr Dopfschütz erhob sich langsam und schaute auf die langen Bankreihen, dann hob er die Hand: »Meine Herren, ich spreche für die sieben Deputierten der freien und kaiserlichen Stadt Straßburg.« Er machte eine lange Pause. »Die Statuten der kaiserlichen und freien Stadt Straßburg erlauben keine Zustimmung.« Lärm im ganzen Saal, Rufe, Grölen. Herr Dopfschütz stand mit erhobener Hand. Dann wurde es wieder ruhig. »Die Statuten der Stadt Straßburg verlangen eigene Beschlüsse der Stadt. Was andere beschließen, geht die Stadt Straßburg nichts an.« »Dann geht nach Hause und beschließt es«, rief jemand. »Wir können hier bleiben«, sagte Herr Dopfschütz lächelnd, »wir sind zu einem Beschluss ermächtigt.« Christoph hatte die Hände ineinander verkrampft, die leeren Becher standen unbeachtet auf einem Tisch. »Das heißt, wir haben bereits beschlossen: Wir lehnen die Anträge des kleinen Rates in unserer Mehrheit ab. Ich bin ermächtigt auch für die Herren Wangenbaum und Mühlendamm zu sprechen. Sie heißen den Antrag gut, finden aber unter uns anderen Delegierten keine Mehrheit. Da es unsere Statuten verbieten, ist der Beschluss der Mehrheit in diesem Saale, sollte er unserem Beschluss widersprechen, nicht für uns gültig.« Er wölbte den breiten Leib vor und schwieg, der Saal war erfüllt von Zurufen: »Judenfreund, Judenknecht, Judensau!« Christoph hatte vor Erleichterung Tränen in den Augen. Dort drüben stand Philo, er sah ihm an, dass er genauso erleichtert war wie er. Am liebsten wäre Christoph hingerannt und hätte Herrn Dopfschütz umarmt. Ein Ritter erhob sich mit blaurotem Gesicht: »So wahr ich hier stehe, ich erkläre der Stadt Straßburg die Fehde.« Er torkelte. Es wurde gelacht: »Du kannst ja nicht einmal gerade stehen!« Einer schrie: »Ist in Straßburg das Brennholz so teuer?« Herr Wangenbaum erhob sich schwerfällig, sein feistes Gesicht war angelaufen: »Die Vernunft hat nicht gesiegt in Straßburg. Ich frage mich, ob ein verehrter Rat der Stadt sich über die Gefahr im Klaren ist, die von den Juden ausgeht. Die Pest! Sie vergiften die Brunnen und – « Herr Dopfschütz zog ihn zusammen mit dem dicken Herrn Kropfgans und Herrn Schwarber auf seinen Platz nieder. »Warum sind denn in Straßburg die Brunnen bewacht?«, rief jemand. Christoph wusste, dass in Straßburg nur die Brunnen der Juden bewacht waren. Sie waren bewacht, damit keine kleinen Kinder hineinfielen. Am liebsten hätte er es laut in den Saal geschrien. Ein anderer grölte: »Warum habt ihr dann in Straßburg die Eimer von den Brunnen genommen?« Christoph wusste, dass das einfach eine Lüge war, aber sie wurde im ganzen Raum aufgegriffen und sinnlos in die Menge gebrüllt. Der Bischof von Straßburg, der die Versammlung einberufen hatte, saß mit hochrotem Gesicht auf seinem erhöhten Sitz. Die Anträge des kleinen Rates wurden von den übrigen Teilnehmern am Tag von Benfeld einstimmig beschlossen. Löb freute sich: »Heute holt Herr Dopfschütz das Geld, die größte Summe, die ich jemals zusammengebracht und ausgeliehen habe. Wehe, wenn der Diamant weggewesen wäre – ich habe ihn beleihen müssen.« Das Haus wurde seit Tagen auf den Besuch des Herrn Dopfschütz vorbereitet. Obwohl es immer sauber war, wurde jede Ecke gekehrt und gefegt. »Vergesst nicht, Herr Dopfschütz ist unser Wohltäter. Er ist der Segen der Juden in Straßburg. Das Geschäft; das ich mit ihm mache, begründet vor allem eure und meine Sicherheit und damit die Sicherheit der ganzen jüdischen Gemeinde!« Er versammelte die Familie. »Nachum, du bist höflich, viel höflicher als sonst!« Er ging in der Stube auf und ab. »Esther, du begrüßt unseren Gast.« Am Nachmittag war es so weit. Herr Dopfschütz wurde in das Haus gebeten und begrüßt. Er hatte einen Diener mitgebracht, denn das Geld sollte zum Teil in bar ausgehändigt werden. Herr Dopfschütz war jovial, er lachte mehrfach dröhnend, dass man es im ganzen Haus hörte. Er fragte Nachum nach seinen Plänen: »Sicher wirst du ein ebenso guter Geschäftsmann wie dein Vater. Du kannst stolz auf ihn sein, ich kenne keinen besseren.« Als das Geschäftliche abgeschlossen war, bat Löb Herrn Dopfschütz vom Kontor in die Stube. Hier waren Abraham und die beiden Esther. Abraham erhob sich beim Eintritt des Gastes: »Mein Name ist Abraham. Ich bin der Älteste der Familie und es ist meine Pflicht, Euch, Herr, unserem Wohltäter, den Dank unserer Familie und der ganzen Gemeinde abzustatten. Ich stehe an der Schwelle des Todes und ich würdige, was Ihr für die hiesige Judenheit tut. Es ist schade, dass Eure Großherzigkeit die anderen Gemeinden am Rhein nicht ebenfalls retten kann. Umso mehr bauen wir auf Euch, dass die Gemeinde in Straßburg erhalten bleibe und weiter blühen kann.« Der alte Mann neigte sich tief und küsste Herrn Dopfschütz die Hand, was dieser geschehen ließ, indem er die Hand mit einem großen Siegelring aus seinem pelzverbrämten Gewand streckte. Unter die Türe trat Christoph. Herr Dopfschütz hatte sich Esther zugewandt: »Eine schöne Tochter habt Ihr da, Löb Baruch, bald heiratsfähig. Na, wie heißt denn der Glückliche?« Er strich ihr über die Wange. Zum Schluss segnete Abraham Herrn Dopfschütz: »Der Herr segne Euren Eingang und Ausgang, er gebe Euch Glück und Frieden.« Im Hinausgehen fiel der Blick des Herrn Dopfschütz auf Christoph. Er sah ihn scharf an: »Wen haben wir denn da?« Christoph war stumm. »Ich wusste gar nicht, dass Ihr einen weiteren Sohn habt, Löb Baruch. Warum wird er mir nicht vorgestellt?« »Das ist kein Sohn von mir. Es ist ein entfernter Verwandter meiner verstorbenen Frau und als Gast vorübergehend bei uns«, sagte Löb sichtlich verlegen. »Sechzehn? Siebzehn? Ein hübscher Junge«, sagte Herr Dopfschütz und ließ kein Auge von Christoph. Er wandte sich an Esther: »Das hat man selten.« Im Abgehen fügte er noch hinzu: »So schöne buschige schwarze Haare und dazu blaue Augen.« |
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