"Sturmwarnung" - читать интересную книгу автора (Bell Art)
Für meine Mitmenschen, die erleben werden, wie sich die Werke der Menschheit entwickeln, während die Natur diesem Planeten sein Gleichgewicht zurückgibt.
Art Bell
Mögen die Kinder von morgen auf unsere Epoche als dasjenige Zeitalter zurückblicken, in dem die Heilung unserer Welt begann.
Whitley Strieber
Prolog. Der Sturm beginnt
Das erste Warnzeichen war so geringfügig, dass es kaum bemerkt wurde.
Boje 44011 des National Data Buoy Center, die vor der Georges Bank 270 Kilometer östlich von Hyannis, Massachusetts, stationiert war, sandte ein scheinbar falsches Signal. Dies war auf der ganzen Welt der einzige Hinweis eines wissenschaftlichen Instruments, dass zwei Milliarden Menschen in tödliche Gefahr geraten waren.
Die Warnung hätte schon mehrere Wochen, ja sogar Jahre früher kommen müssen. Einige Klimaforscher waren besorgt und hatten mit Untersuchungen begonnen, die zum Einsatz eines Frühwarnsystems geführt hätten. Aber es gab keinen Forschungsetat. Der US-Kongress hatte sich in eine sinnlose Debatte über die Frage verrannt, ob es so etwas wie eine Erwärmung der Erdatmosphäre überhaupt gab, und verweigerte die Finanzierung von Studien zum Verlauf des Nordatlantikstroms, obwohl dieser die Lebensader unserer Welt ist.
Was war vor der Georges Bank geschehen? Die Messung der sechs Meter langen Wetterboje hatte registriert, dass die Wassertemperatur über Nacht von 8,9 Grad auf 2,4 Grad gesunken war. Das ist für Meerwasser ein enormer Temperatursturz, und dementsprechend sah sich das National Data Buoy Center veranlasst, die Boje als defekt einzustufen. Man vermerkte die Sache und ersuchte die für die Erfassung von Meeresdaten zuständige National Oceanic and Atmospheric Administration, die Temperaturmessungen dieser Boje bis zur nächsten Routinewartung zu ignorieren.
Diese Standardnachricht erreichte niemanden, der sich vielleicht Gedanken über ihre wahre Bedeutung gemacht hätte.
Einige Tage später schien wieder eine Boje defekt zu sein. Sie war Teil des Global Ocean Observing System (System zur Beobachtung der Weltmeere), das das Australian Océanographie Data Centre (AODC; australisches Meeresdatenzentrum) von einer 1600 Kilometer vom Südpol entfernten Station aus mit Daten versorgte. Den Richtlinien des Global Temperature-Salinity Profile Program (Programm zur Erfassung der Temperatur und des Salzgehalts der Weltmeere) folgend, leitete das AODG die Daten an das kanadische Meeresdatenzentrum Marine Environmental Data Service weiter. Wieder wurde die Fehlfunktion einer Boje vermerkt, doch die Fehlermeldung erreichte natürlich nicht dieselben Menschen wie die der Boje vor der Georges Bank. Warum auch? Für die Wartungsarbeiten an der Boje in der Antarktis waren schließlich nicht die Amerikaner zuständig, sondern die Australier.
Die größte Zivilisation der Menschheitsgeschichte hatte nun nur noch wenige Wochen zu leben.
Hätten die Wissenschaftler, die im Rahmen des Atlantic Climate Change Experiment die Veränderung des atlantischen Klimas erforschten, von diesen Vorfällen erfahren, wären sie sicherlich beunruhigt gewesen. Aber ihr Plan zum Aussetzen von 100 Unterwasserbojen, um den Nordatlantikstrom zu untersuchen, steckte noch in der Vorbereitungsphase ohne gesicherte Finanzierung.
Obwohl es keine Datenquellen gab, denen zu entnehmen gewesen wäre, dass die größte Meeresströmung der Erde soeben ihren Verlauf verändert hatte, dauerte es nicht lang, bis die Menschen von Sydney bis Tokio, von Wladiwostok bis Düsseldorf und von London bis Los Angeles wussten, dass das Wetter auf schreckliche Weise aus den Fugen geraten war.
New York hatte den wärmsten Februar seit Menschengedenken erlebt. Die Temperatur stieg so hoch wie noch nie zuvor in diesem Monat: auf 32 Grad.
Früher hätten die Menschen gelacht. Doch jetzt lachte niemand mehr.
An der gesamten Südküste der USA – von Brownsville in Texas bis nach Cape Fear in North Carolina – setzte ungewöhnlicher Südwind ein. An sprießenden Bäumen in Südtexas zitterten zarte junge Blatttriebe. In Mississippi bogen sich alte Eichen. An der Küste von Carolina fegte der Wind durch Pinienwälder. Im winterkahlen Nordosten knirschten Äste und Dächer wie in strenger Kälte. Aber es war nicht kalt. Die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit stiegen sogar an. In den USA hatte mitten im Winter der Sommer begonnen.
In Australien und Neuseeland war das Gegenteil der Fall. Der australische Sommer, der im Januar noch ganz normal verlaufen war, ließ im Februar Anzeichen einer unerwarteten Veränderung erkennen, als in den Bergen der südlichen Insel von Neuseeland plötzlich Schneefall einsetzte. In Auckland herrschte eisige Kälte. Weiter im Norden lastete immer noch Rekordhitze auf Australien, aber der kommende Wetterumschwung war bereits abzusehen.
Im Meteorologischen Datenverarbeitungszentrum der Russischen Föderation in Obninsk empfing man von einem ENVISAT-Satelliten ein Bild, das die Berichte von Bodenbeobachtern bestätigte: Über der russischen Arktis hatte sich plötzlich ein äußerst ungewöhnliches Sturmtief gebildet. Ähnliche Wettersysteme waren davor nur wenige Male auf getreten. Das erste, das sich am Abend des 15. April 1999 über Duplin County in North Carolina formiert hatte, hatte die Bezeichnung »Tornadokan« erhalten. Es war eine massive, Tornado erzeugende Superzelle mit den Wirbeleigenschaften eines Hurrikans. Die Winde innerhalb dieses Systems hatten eine Geschwindigkeit von 265 Stundenkilometern erreicht. Und in der Nähe des Mesozyklons – des Tornado erzeugenden Bereichs im Sturmsystem – war sogar ein Auge entstanden.
Die russischen Wissenschaftler erkannten sofort die Ungewöhnlichkeit des Sturms und verständigten die World Meteorological Organization (WMO; Weltorganisation für Meteorologie). Auch das chinesische Wettersatellitenprogramm FY-1 über dem Nordpol beobachtete die Entwicklung des Sturms. Die Forscher sandten eine dringende Nachricht an die WMO: Die potenzielle Energie des Sturms schien rasant zu wachsen.
Was ein Sturm um diese Jahreszeit dort zu suchen hatte, wusste niemand, und noch weniger, warum er sich zu solcher Stärke entfaltete.
In ganz Südeuropa, von Madrid bis Istanbul, erhob sich vom Süden her ein scharfer, trockener Wind. In New York schoben sich seit zwei Tagen tief hängende Regenwolken nach Norden. In Atlanta hatte die durchschnittliche Windgeschwindigkeit 50 Stundenkilometer erreicht. In Houston lag die Windgeschwindigkeit bei 65 Stundenkilometern.
Überall auf der Welt beobachteten Meteorologen die Entwicklung. Bisher hatte jedoch niemand die Ereignisse an verschiedenen Orten des Globus miteinander in Zusammenhang gebracht. Die Einschätzungen orientierten sich noch immer vor allem an lokalen Gegebenheiten, obwohl zahlreiche Forschungseinrichtungen die Daten der russischen und chinesischen Satelliten empfangen hatten.
Dann tauchte im mittleren Pazifik ein Taifun auf. Er bildete sich innerhalb weniger Stunden – schneller als jeder zuvor beobachtete Taifun. Binnen einer Woche bedrohte dieser massive Sturm die Küsten von den Philippinen bis Japan. Er wurde als Sturm der Kategorie 4 auf der Saffir-Simpson-Skala eingeordnet und zum Supertaifun erklärt. Er erhielt den Namen Max.
Das National Severe Storms Laboratory (Institut zur Erforschung schwerer Unwetter) in den USA sammelte aus allen verfügbaren Quellen Daten über Max. Im Zentrum des Sturmsystems stieg die Windgeschwindigkeit auf über 320 Stundenkilometer. Für den gesamten Pazifikraum wurden Unwetterwarnungen ausgegeben.
Inzwischen beobachtete das Australian Bureau of Meteorology über der See südlich und westlich von Tasmanien ein weiteres Sturmsystem, das sich auf einer noch nie zuvor beobachteten Bahn bewegte.
Auch von diesem Sturm wurde die World Meteorological Organization in Kenntnis gesetzt. Als die WMO sah, dass sie nun Daten über drei äußerst ungewöhnliche Stürme in unterschiedlichen Teilen der Welt erhielt, wandte sie sich an das National Severe Storms Laboratory, um Hilfe bei der Einschätzung der Lage zu erhalten.
Die Windgeschwindigkeiten des Taifuns Max erreichten nun 320 Stundenkilometer; er wurde in die Kategorie 5 eingeordnet. Es bestand die Möglichkeit, dass er sich zum stärksten Sturm aller Zeiten entwickeln würde. Der »Tornadokan« über der russischen Arktis wurde Teil eines Systems ähnlicher Stürme, die sich über dem Nordpol als ungefährem Mittelpunkt bildeten.
Zur gleichen Zeit stiegen die Temperaturen in Paris auf über 30 Grad. In New York und Toronto verzeichnete man Südwinde mit einer Geschwindigkeit von über 65 Stundenkilometern.
Der Supertanker Exxon Invincible meldete, dass er vor Gape Race in Neufundland leckgeschlagen war und zu sinken drohte. Von Neufundland bis North Carolina wurde Alarm gegeben: Der gesamten Region drohte die größte Ölverschmutzung der Geschichte.
In Dallas konnte man den durchdringenden Salzgeruch aus dem 480 Kilometer entfernten Golf von Mexiko wahrnehmen. In London begannen die Temperaturen, die ein Rekordniveau erreicht hatten, wieder zufallen. Über ganz Europa tobten heftige Stürme, und in zahlreichen Städten wurde die Nacht von Blitzen erhellt.
Inzwischen hatten Klimaforscher und Meteorologen in aller Welt erkannt, dass das Wetter auf dem Planeten Erde in Aufruhr war. Am National Severe Storms Laboratory stellte man zuerst die entscheidende Frage: warum?